Vier Jahre war Franziska Schreiber Mitglied der AfD, war Vorsitzende der Jungen Alternativen in Sachsen, enge Vertraute von Frauke Petry, rückte in den Bundesvorstand der Rechtspopulisten auf und hatte 2017 genug. Zehn Tage vor der Bundestagswahl verließ die heute 28jährige Frau die Partei. Ihr Urteil: „Heute ist die AfD keine liberale Partei mehr, als die sie 2013 gegründet wurde, auch keine konservative. Sie ist reaktionär und ein beträchtlicher Teil der Mitglieder ist extrem nationalistisch. Die AfD ist die Partei der gelebten Fremdenfeindlichkeit. Sie lehnt das System ab und die maßgeblichen Führungsfiguren betreiben den Umsturz. Ich befürchte, dass viele Wähler das bisher nicht ernst nehmen.“ So steht es in dem Buch „Inside AfD“, das Franziska Schreiber vor wenigen Tagen in Berlin vorgestellt hat.
Die Autorin warnt davor, die AfD zu unterschätzen. Sie hält sie für „gefährlich, sehr gefährlich.“ Die Innenansichten einer Abtrünnigen beschäftigen sich auch mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, der Frauke Petry signalisiert haben soll, „wenn die Partei mit einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu rechnen habe und er sagte ihr, was sie dagegen tun müsse.“ Auch wenn Maaßen diese Beratung inzwischen dementiert hat wie übrigens auch Petry, der Vorwurf ist nicht vom Tisch, zumal Frau Schreiber behauptet, der Präsident sei gegenüber der AfD „wohlgesonnen“ gewesen, so habe es Petry geschildert. Das in der Tat wäre ein Skandal, wenn sich herausstellen sollte, dass eine Beobachtung der Partei unterblieb, weil Herr Maaßen quasi gewisse Sympathien für die AfD gehegt haben soll. Letzteres bestreitet er. Er wird sich auf Fragen im Innenausschuss einstellen müssen. Franziska Schreiber hat bisher von ihren Vorwürfen nichts zurückgenommen, und ihr Verlag steht hinter der Autorin.
Wie lange wurden Linke verdächtigt?
Dass die AfD bisher nicht vom Verfassungsschutz unter die Lupe genommen wurde, verwundert den Beobachter. Wie lange wurden Politiker der Linken verdächtigt? Wie rabiat ging der Staat seinerzeit mit linken Studenten um? Ich erinnere mich noch gut an den Radikalenerlass, der vielen Lehrern den Weg in den Schuldienst verweigerte, weil man sie für Kommunisten hielt, die angeblich nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Verfassung der Republik standen. Und die AfD hat man ohne weiteres in die Landtage und den Bundestag einziehen lassen. Man schaue in dem Buch von Frau Schreiber nach, um sich ein Urteil über die AfD zu bilden. Auf Seite 194 steht: „Würde die AfD alle Rechtsextremisten des Wortes und des Geistes ausschließen, sie wäre bald eine Partei ohne Mitglieder.“
Franziska Schreiber hält die AfD für „rückschrittlich, der Vergangenheit zugewandt, es scheinen nicht die Realos zu obsiegen, sondern die Fundamentalisten, die nationalkonservativen, radikalen Rechtsaußen. Ich war Zeugin und Opfer der Entwicklung.“ Spätestens seit 2017 werde die Partei von „undifferenzierten, rassistischen, nationalistischen, revisionistischen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Rednern bestimmt“. Wortverdrehereien eines Björn Höcke im sächsischen Landtag erinnerten sie an Joseph Goebbels, dessen Äußerungen über den „lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp“ verstören sie ebenso wie die Verbalfäkalien des „Maulhelds“ André Poggenburg, die er während einer Klamaukveranstaltung in einer großen Halle absondert und auf rasenden Beifall der meisten Anwesenden stößt, wenn vorn auf dem Podium von „Kümmelhändlern“, „Kameltreibern“ die Rede sei, die zurückzuschicken seien zu ihren „Lehmhütten und Vielweibern“. Das alles sei an Niedertracht nicht zu überbieten und zeuge von einem erschreckenden Mangel an Anstand und einem abstoßenden Ausbund an Zynismus und politischer Pflicht- und Verantwortungsvergessenheit.“
Die Autorin beschreibt den Weg der AfD von einer Partei, die mit Bernd Lucke und seinem Kampf gegen den Euro begann und die sich dann unter dem zunehmenden Einfluss von Nationalisten und anderen Rechten zu einer Partei radikalisierte, in der der Widerstand gegen den Islam und Muslime zur Pflicht wurde. Ihre Wortführer sammeln sich hinter Parolen wie „Ausländer raus“ und Abschieben“.
Angst als Lebenselixier der Rechten
Die Angst wachzuhalten, auch wenn Fakten sie nicht zu begründen vermögen, sei das Lebenselixier der AfD, schreibt Franziska Schreiber und schildert, wie auch sie mitgewirkt habe, Fakten zu verschweigen, etwas durch Weglassen absichtlich zu fälschen. So zur Einschätzung der Sicherheit in Deutschland. Der NDR hatte eine Umfrage dazu veröffentlicht, versehen mit einer Einschätzung des Kriminologischen Instituts in Niedersachsen. Danach hatte sich die Sicherheit im Lande über Jahre kontinuierlich verbessert und sei nach wie vor auf sehr hohem Niveau. Diese Einschätzung habe man aber unterschlagen, räumt die Autorin ein. Und sie gibt zu, dass Deutschland auch vor dem Eintreffen der Ausländer und Flüchtlinge kein friedlicherer Ort gewesen sei als danach. Aber der AfD sei es darum gegangen, Deutschland als weniger gefährlichen Ort zu beschreiben, wenn die Flüchtlinge zu Hause geblieben wären. In der Tat hat es Ängste immer schon gegeben, Ängste vor Diebstahl und Überfällen oder sexuellen Gewalttaten. Tatsächlich, so Frau Schreiber wörtlich, „sehnte sich eine Menge Leute in der AfD einen Terroranschlag geradezu herbei. Jetzt müsste es mal krachen, hörte ich immer wieder. Dann würden die Leute sehen, wie recht wir haben. Und nach dem Anschlag auf den Berliner Breitbachplatz im Dezember 2016 sei im Umfeld der AfD oft die Becker-Faust zu sehen gewesen. Bedauern und Mitleid für die Opfer habe es kaum gegeben.“ Wörtlich schreibt sie: „Wir mussten unsere Heißsporne zügeln, im Netz keine Häme und Schadenfreude zu äußern.“
Gegen Merkel und die Flüchtlinge richtete sich der Kampf auch in der Pressearbeit der JA der AfD, schildert Franziska Schreiber und sie beschreibt, wie man mit ständigen Wiederholungen von Behauptungen versuchte Meinungen zu produzieren. Beispiel: „Merkel hat die Grenzen geöffnet. Was Unsinn ist, weil die natürlich unabhängig von ihr längst geöffnet waren. Aber diese Behauptung konnten wir mit jedem beliebigen Thema verbinden: Hätte Merkel nicht so viel Geld für die Flüchtlinge ausgegeben, dann könnten wir die Schulen sanieren. Hätte Merkel nicht so viel Geld für die Flüchtlinge ausgegeben, dann könnten wir die Straßen reparieren.“ Unter diesem Dauerbeschuss entstünde Ausländerfeindlichkeit auch bei Menschen, die vorher weit davon entfernt waren. Andere hätten Angst entwickelt, die vorher keine kannten. „Offenbar wirkte unsere Gehirnwäsche.“
Hass gegen Andersdenkende
Zum Inhalt: „Die verbindenden Elemente in der AfD sind Trotz und Wut, ja Hass gegen Andersdenkende, der sich bis hin zu Gewalt- und Mordfantasien steigern kann.“ Im geheimen Wunschkatalog der Partei befänden sich Maßnahmen gegen Zuwanderung, die rechtlich nicht durchsetzbar seien, wie z.B. Staatsangehörigkeit per Abstammung, Einreise aus muslimischen Ländern ausschließen, Zuwanderung nur für Vermögende. Oder: „In der JA- also der Jugend der AfD- branden immer wieder Debatten darüber aus, wie Oppeln und Stettin, Königsberg und Danzig wieder heimkehren könnten.“ Schreiber zitiert aus der Rede des Bundesvorsitzenden der Jungen Alternativen Markus Frohnmaier im Oktober 2015 in Erfurt: „Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet, dann wird wieder Politik für das Volk und nur für das Volk gemacht- denn wir sind das Volk.“
AfD und NPD? Schreiber meint: „Der Weg der AfD zur NPD ist kurz. Wenn`s der Zukunftsfindung dient, wäre eine vorübergehende Koalition akzeptabel. Die AfD würde die Kröte NPD schlucken.“ Viel zu holen sei da allerdings nicht mehr, „weil die AfD die verwertbaren Teile dieser Partei längst inkorporiert hat: in Form von Wählern, Programmpunkten, Unterstützern, Rhetorik, Mitarbeitern und teilweise sogar schon Mitgliedern. Bald werden ehemalige NPD-Mitglieder in der AfD Funktionäre sein können.“ Oder an anderer Stelle: „Weil die heutige AfD und die NPD in ihren politischen Zielen grundsätzlich übereinstimmen, kann die AfD die NPD nahtlos ersetzen.“ Und die AfD? „Heute ist die AfD, was Kritiker ihr zu Unrecht schon in den ersten Monaten ihres Bestehens vorwarfen: eine nationalistische, rassistische, xenophobe Partei.“
Seit September 2017 sitzt die AfD im Bundestag und hat 94 Sitze, nach dem Austritt von Petry und Mieruch gehören 92 Frauen und Männer der AfD-Fraktion an, dazu mehr als 300 Mitarbeiter. Franziska Schreiber urteilt, dass darunter „anrüchige Parlamentarier“ seien. Beispiele: Siegbert Droese aus Leipzig. Sebastian Münzenmaier aus Rheinland-Pfalz, der ein Vorleben der islamfeindlichen Partei „Die Freiheit“ habe, so der bayerische Verfassungsschutz. Wilhelm von Gottberg aus Niedersachsen, der sei aufgefallen durch einen Beitrag in der Wochenzeitung „Das Ostpreußenblatt“. Darin habe er eine düstere Zukunft für Deutschland aufgezeigt und die Frage als bedeutend bezeichnet, „wie lange noch die nachwachsende Generation mit dem Makel der Schuld für zwölf Jahre NS-Diktatur belastet wird.“ Petr Bystron, der eine Zuneigung zur IB-gemeint Identitäre Bewegung- habe .
Eindeutig rechtsradikal bis rechtsextrem
Jens Maier, der gegen den Schuldkult wettert und die Herstellung von Mischvölkern, um die nationalen Identitäten auszulöschen. Stephan Brandner, der im Wahlkampf gesagt habe: „eine typische syrische Familie bestehe aus Vater, Mutter und zwei Ziegen.“ Detlef Spangenberg, der seine Kameraden einst für die Stasi bespitzelt habe, Enrico Kooning aus Mecklenburg-Vorpommern, Sympathisant der IB. Und dann zitiert Franziska Schreiber die „Zeit“, die sich mit den fast 300 Mitarbeitern der AfD-Fraktion befasst hatte. Darin heißt es: „Viele von ihnen verbreiten rassistische Kommentare und Verschwörungstheorien, besuchen Demonstrationen von Pegida oder folgen den Social-Media-Kanälen von fremdenfeindlichen Gruppierungen. Doch mindestens 27 der Fraktionsgemeinschaft und Abgeordnetenmitarbeiter der AfD haben einen eindeutig rechtsradikalen bis rechtsextremen Hintergrund…Unter ihnen sind Anhänger der NPD und der neonazistischen, verbotenen Organisation „Heimattreue Deutsche Jugend“, Aktivisten der Identitären Bewegung und der rechtsradikalen Gruppe „Ein Prozent“, extrem rechte Burschenschafter und neurechte Ideologen.“
Fazit für Franziska Schreiber: „Die AfD-Fraktion im Bundestag hat sich längst zu einer Brutstätte für Rechtsextremisten gemausert“ Und zur AfD insgesamt urteilt sie: „Heute besteht die AfD aus 15 Prozent Neonazis, 20 Prozent Nationalromantischen mit Kaiserreichaffinität und 15 Prozent Mitläufern.“
Und zu ihrem eigenen Befinden nach ihrem Parteiaustritt schreibt die Autorin: „Ich habe mich erholt von der Wut, dem Zorn und der Angst…Mein Bild klarte auf, es wurde heller. Deutschland steht gar nicht kurz vor dem Abgrund, es passiert sehr viel Positives und Gutes…ich hatte erwogen auszuwandern… heute will ich bleiben, wo ich bin, in Deutschland, das jetzt wieder viel klarer, heller und schöner ist.“
Franziska Schreiber: Inside AfD. Europaverlag München 2018. 221 Seiten. 18 Euro.
Bildquelle:Buchtitel, Europaverlag