Tafelbild mit Spruch: Jede Lüge braucht eine Zeitung, die sie schreibt!

„Bild“ – die Menschenjagd geht weiter

Der Westdeutsche Rundfunk mit seinem Intendanten Tom Buhrow ist eingeknickt, hat kapituliert: Die approbierte Medizinerin und preisgekrönte Journalistin Nemi El-Hassan darf dort nicht mehr arbeiten, weil „Bild“ ihr Antisemitismus andichtet. Sie ist Palästinenserin, bekennt sich dazu. Verdächtig, verdächtig …! Das „Hetzblatt“ – so kann man „Bild“ mit Fug und Recht nennen –  ist mächtig stolz auf sich und posaunt: „Bild hatte den Fall ins Rollen gebracht, jetzt hat der WDR den Schlussstrich gezogen: Der Sender hat sich endgültig gegen eine Zusammenarbeit mit der Journalistin entschieden.“ Ob sich Tom Buhrow wenigstens im Nachhinein ein wenig schämt, wie offen sich „Bild“ brüstet, ihm sein blamables Handeln diktiert zu haben ? Es ist eher nicht anzunehmen.

Aber „Bild“ hat noch nicht genug. Die Menschenjagd auf Nemi el-Hassan geht weiter, mit Perfidie und Furor. Jetzt wird das ZDF angegriffen, weil der erfolgreichste öffentlich-rechtliche Sender es wagt, die  Journalistin weiter zu beschäftigen – gegen das Verdikt der  selbsternannten Sittenwächter von „Bild“. Und damit ein Zeichen setzt gegen die Feigheit der größten ARD-Anstalt mit dem ARD-Vorsitzenden Buhrow an der Spitze.

Neuste Schlagzeile: „Trotz Antisemitismus – ZDF will Skandal-Moderatorin weiter beschäftigen“. Den Vorwurf des Antisemitismus haben Kenner der komplexen Materie längst widerlegt, aber das stört „Bild“ nicht. Zum Moderieren ist Nemi el-Hassan gar nicht gekommen. „Bild“ hat es ja „erfolgreich“ verhindert. Weil’s aber für Schlagzeile und Kesseltreiben so gut passt, ist sie für „Bild“ Antisemitin und „Skandal-Moderatorin“. Gezeigt wird die attraktive 28-jährige – offenkundig weil’s so hübsch bedrohlich wirkt – mit schwarzem eng anliegenden Kopftuch, obwohl sie das schon lange nicht mehr trägt.

Das ZDF demonstriert mit kühler Sachlichkeit, wie man „Bild“ zu begegnen hat. Die Begründung für die Weiterbeschäftigung von Nemi el-Hassan ist knapp wie aussagekräftig: Man stehe „im engen Austausch mit der Autorin und sieht aufgrund der bisherigen Zusammenarbeit keinen Anlass, an ihrer journalistischen Professionalität zu zweifeln“. Und nur darauf kommt es an. Auch aus dem WDR wurde nichts bekannt, was gegen die Arbeit von Nemi el-Hassan und ihre Weiterbeschäftigung gesprochen hätte – bis „Bild“ die Kampagne gegen sie lostrat.

Seit langem weiß man, „Bild“ hasst das geführenfinanzierte öffentlich-rechtliche Fernsehen. Sein eigener TV-Sender kommt über die kaum messbare Reichweite von 0,1 (in Worten: Null-Komma-Eins) Prozent nicht hinaus, trotz massiver und krawalliger Werbung. „Bild“ will ARD und ZDF sturmreif schießen. Dafür scheint jeder noch so abstruse Anlass und „Skandal“ recht. Nachgeben schafft keine Ruhe, im Gegenteil. Der Fall Nemi el-Hassan beweist es mal wieder. Nachgeben ermutigt „Bild“, noch entschiedener nachzusetzen. Umso wichtiger wäre es, dass die beiden großen öffentlich-rechtlichen Anstalten geschlossen gegen „Bild“ die Stellung halten. Und da ist die größte ARD-Anstalt nun weggebrochen.

Spinnen wir den Fall mal bis zu einem Ende weiter, zu dem es hoffentlich nie kommen wird, zu dem es nie kommen darf: Irgendwann findet Nemi El-Hassan auch beim ZDF keine Arbeit mehr, sitzt auf der Straße, ist auf’s Sozialamt angewiesen. Wie gesagt: Nur negative Spinnerei, um die „Bild“-Perfidie auf die Spitze zu treiben. Dann kann man die Schlagzeile erwarten: „Sozialamt finanziert palästinensische Antisemitin – und das von unseren Steuergeldern“. Zu fragen ist aber auch nach dem Mut der Kolleginnen und Kollegen in der ARD. Da sitzen doch so viele, die alle möglichen Skandale anprangern, die sich ihres eigenen „Mutes“ rühmen und dafür sogar Preise kassiert haben. Öffentlich war von denen bislang keine Solidaritätsbekundung für ihre geschasste Kollegin el-Hassan zu vernehmen. Mit einer Ausnahme: Der NDR-Fernsehjournalist Stefan Buchen, der öffentlich mit unglaublicher Faktensicherheit und Sachkenntnis aufzeigte, warum der WDR Nemi el-Hassan hätte halten müssen. Sein Bekenntnis ist umso mutiger, als er freier Journalist und jederzeit kündbar ist. Wer gibt ihm einen Preis ?

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Christoph Lütgert war Rundfunk-Korrespondent beim NDR, hat für Panorama gearbeitet und war später Chefreporter Fernsehen beim Norddeutschen Rundfunk. Lütgert wurde wegen seiner sozialkritischen Reportagen mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.


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