Gedenktafel
N `oublions jamais. Wir dürfen das nie vergessen.

Chirac übernahm die Mit-Verantwortung für die Judenverfolgung

Vom Tod des ehemaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac-Präsident von 1995 bis 2007- erfuhren wir auf einer Flusskreuzfahrt auf Saone und Rhone durch Frankreich. Wir ließen uns bei einer Fahrt durch Lyon gerade die Schönheiten dieser gepflegten Stadt an der Rhone erklären, als die Reiseleiterin Christel die Nachricht vom Tod des langjährigen Staatsmannes uns per Mikrophon mitteilte. Chirac, 86 Jahre alt, Bürgermeister, Premierminister, Präsident der stolzen Nation, hatte wie der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Amtszeit eine Mitwirkung am Irak-Krieg abgelehnt, was vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush unter Vortäuschung falscher Tatsachen angezettelt worden war. Aber ich erinnere mich noch an eine andere Geschichte, die sich für mich mit dem Namen Chirac verbindet: Er war der erste französische Präsident, der 1995, gerade im Amt, Frankreichs Mitverantwortung für die Verfolgung der Juden durch die Nazis während des 2.Weltkriegs klar und unmissverständlich benannte. Und damit der umstrittenen Tradition seiner Amtsvorgänger ein Ende bereitete, am Grab von Marschall Pétain einen Kranz niederzulegen. Und mit Chirac wurden auch Gedankenspiele und Forderungen der Pétain-Anhänger beendet, die Gebeine des einstigen 1.Weltkriegs-Generals und Chefs der Vichy-Regierung nach Verdun umzubetten.

Ohne Zweifel ist das Kapitel der deutschen Besatzungszeit in Frankreich immer mal wieder ein Thema, immer mal wieder flammt eine Diskussion über die Kollaboration von Franzosen mit den Nazis auf, über das historische Erbe von Philippe Pétain, der sich damals Hitler unterwarf und einen Waffenstillstand akzeptierte, auch weil er eingesehen hatte, dass diese Schlacht verloren war im Sommer 1940. Aber es ist auch wahr, dass der Marschall sich umgab mit Antisemiten und dass er mit den Nazis kollaborierte. Nach dem Krieg wurde er zum Tod verurteilt, das Urteil aber aufgrund seines hohen Alters nicht vollstreckt, Pétain musste ins Gefängnis, andere aus seiner Umgebung wie sein Regierungschef Laval dagegen wurden hingerichtet. Dagegen kam der Generaldirektor der französischen Polizei, René Bousquet, der an der Spitze des Repressionsapparates stand und der maßgeblich die Deportation der in Frankreich lebenden Zigtausenden von Juden zu verantworten hatte, im Grunde fast ungeschoren davon, weil er mit Francois Mitterrand befreundet war. Aber 1993 wurde er von einem angeblich unzurechnungsfähigen Menschen erschossen

Er genoß das Leben

Zahlreiche Staatsoberhäupter haben Chirac jetzt die letzte Ehre erwiesen, als er heute zu Grabe getragen wurde, darunter auch der deutsche Bundespräsidenrt Frank-Walter Steinmeier, der ihn erlebt hat als französischen Präsidenten. Steinmeier war damals Chef des Kanzleramtes unter Gerhard Schröder, den ein freundschaftliches Verhältnis mit Chirac verband und der sich einig war mit dem Franzosen im Nein zum Irak-Krieg, dessen schlimme Folgen heute noch in der Nahost-Region zu spüren sind. Chirac galt als autoritär, aber auch als nahbar, er lebte seinen Landsleuten auch vor, dass er das Leben genoss. Was ihn wiederum auch nicht viel unterschied vom deutschen Bundeskanzler aus jenen Jahren.

Aber er schloss auch ein bitteres Kapitel in der französischen Geschichte. Zur Erinnerung: Der sozialistische Präsident Francois Mitterrand hatte noch regelmäßig einen Kranz am Grab von Pétain niederlegen lassen, aus Respekt oder Ehrfurcht, man wird es letztendlich nie erfahren. Chirac, dieser auch umstrittene Präsident, der während seiner Amtszeit verurteilt worden war, weil er mit Steuergeldern Mitarbeiter für seinen Wahlkampf bezahlt hatte, dieser Chirac ließ keinen Zweifel an seiner Verantwortung für die Kollaboration des Vichy-Regimes mit den deutschen Besatzern aufkommen. „Die Kriminalität der Besatzer wurde von Franzosen und dem französischen Staat unterstützt. Frankreich hat die Schutzbedürftigen den Peinigern ausgeliefert. Wir tragen eine unbeschreibbare Schuld.“ Pétains Regime war eine Art Handlanger Hitlers.

So war es am 16. und 17. Juli 1942 zu Massenverhaftungen gekommen, 13000 Juden aus der französischen Hauptstadt wurden von der französischen Polizei festgenommen, sie wurden auf das Gelände einer Radrennbahn im 15. Arrondissement der Metropole gebracht, von dort aus wurden sie in französische Lager deportiert und von dort in Vernichtungslager. Chirac machte Schluss mit der Legende, die seine Amtsvorgänger mitvertraten, wonach Vichy nur ein von den Besatzern aufgezwungenes Regime gewesen sei. Das ist eben nur zum Teil richtig, denn es gab die Kollaboration. Pétain hat mitgemacht, zugelassen, ob er ein Verräter französischer Ideale war, sei dahingestellt. Seine Anhänger halten ihn sogar für den Retter Frankreichs, was seine Kritiker nie behaupten würden.

Brutales NS-Regime

GedenktafelTrotz des Waffenstillstands herrschten die Nazis in Frankreich mit großer Härte und Brutalität. Als Beispiel nenne ich nur die Ausrottung von Oradour sur Glane am 10. Juni 1944, nur wenige Tage vor der Landung der Alliierten in der Normandie. Die SS-Division „Das Reich“ sperrte 624 Männer, Frauen und Kinder in einer Scheune und eine Kirche ein, zündete die Gebäude an und erschoss, wer nicht verbrannte. Joachim Gauck besuchte als erster deutscher Bundespräsident diesen Ort im September 2013. Oder nehmen wir den Ort Tulle, ebenfalls in Mittelfrankreich gelegen. Hier hängte die Waffen-SS 99 Männer auf Balkonen der Gebäude auf, sichtbar für jeden. Geschehen ebenfalls im Juni 1944.

Eine Flusskreuzfahrt auf Saone und Rhone, das führt vorbei an Dijon, durch die Còte d´Or, man besichtigt Beaune und Macon, fährt durchs Beaujolais und Burgund, hört von großen Weinen, Grand Cru, großen Gewächsen, die die Flasche in der Spitze schon mal 15000 Euro kosten, man fährt in die traumhafte Ardèche, passiert Chateuneuf-du-Pape, was den Wein-Kenner ins Träumen geraten lässt, man begeistert sich an Avignon, ist erstaunt über den bombastischen Papst-Palast, betritt die Brücke, die keine mehr ist, weil sie mitten im Fluss aufhört und genießt eine Busfahrt durch die Camargue mit ihren weißen Pferden und den Flamingos. Entspannung pur, weil man gefahren und bekocht uud überhaupt bestens bedient wird. Aber das ist nicht alles, wenn man genauer hinschaut und zuhört.

Man begegnet der deutsch-französischen Geschichte auf Fahrten durch Frankreich an vielen Stellen. Deutsche und Franzoschen standen sich ja auch in einigen Kriegen gegenüber und schlugen sich die Köpfe ein. Unsere Reiseleiterin Christel meinte es gut mit ihren deutschen Touristen, die sie durch Lyon führte. „1870 haben wir Besuch bekommen von den Preußen“, umschrieb sie charmant den Einmarsch deutscher Truppen bis nach Paris. Um dann in die Neuzeit zu springen, voller Erleichterung: „Heute sind wir Freunde, starke, dicke Freunde.“ Was wäre Europa ohne diese Freundschaft? Was wären wir ohne Europa? 74 Jahre kein Krieg zwischen Frankreich und Deutschland, die Polen müssen sich nicht mehr fürchten vor den Deutschen, die Holländer auch nicht, nicht die Tschechen, wir sind von Freunden umzingelt.

Gedenktafel LyonWenn man durch Lyon fährt, darf bei einem geschichtlichen Rückblick der Name Klaus Barbie nicht fehlen, der Schlächter von Lyon, hieß der gefürchtete Gestapo-Chef, der sich an Grausamkeit gegenüber Menschen, die er zum Feind erklärt hatte, obwohl sie keine andere Schuld auf sich geladen hatten, als als Juden auf die Welt gekommen zu sein, von niemandem überbieten lassen wollte. Und es gehört der Name des Chefs der Résistance, George Moulin, dazu, den Barbie fassen und ermorden ließ. Dieser Moulin verriet seine Mitstreiter selbst unter Folter nicht. Lyon, diese wunderbare Stadt, sauber, gepflegt, die Stadt der Haute Cousine Frankreichs, hier lebte einst Antoine de Saint-Exupéry, hier kochte Paul Bocuse, war der Sitz des Widerstands gegen die Nazis. Man stößt bei einem Rundgang durch die Gassen von Lyon gelegentlich auf Plaketten, die an Häusern angebracht sind, auf Namen von Franzosen, „mort pour la Patrie“, heißt es da schon mal. „Antione Fonlupt“ steht auf der Tafel, assassiné le 18. März 1944 a 24 ans.“ Ermordet im Alter von 24 Jahren.

Klaus Barbie alias Altmann

Klaus Barbie war es, der die jüdischen Kinder eines Waisenhauses aus dem 80 Kilometer von Lyon entfernt liegenden Örtchen Izieu ins Vernichtungslager Auschwitz deportieren ließ, dort wurden sie vergast. Später nannte er sich Klaus Altmann, flog als Geschäftsmann nach Bolivien und beriet die dortige Regierung. Barbie alias Altmann entkam wie andere Nazi-Größen über die sogenannte „Rattenlinie“. Zeitweise arbeitete er auch für den Bundesnachrichtendienst. Erst nach einem Regierungswechsel in Bolivien wurde dieser Verbrecher 1983 nach Frankreich ausgeliefert und zu einer lebenslangen Haft verurteilt, wo er 1991 starb.

GedenktafelTafeln, auf denen an die Nazi-Zeit erinnert wird, habe ich auch in Macon(Saone) gefunden, ebenso in Avignon oder am Eingang zur Grotte im Archèche-Tal. Dort in der Grotte hatte sich eine Gruppe der Résistance vor den Nazis verstecken können. In Chalon-sur-Saone erinnert die Stadt der Menschen, die gestorben sind „pour la patrie“. Oder man erinnert an die 200000 Franzosen, die in den Nazi-KZs ermordet wurden. In Macon wurde ein Baum gepflanzt am 8. Mai 1945, um des ersten Jahrestages der Befreiung von Macon zu gedenken. Ebenfalls in Macon findet man Gedenktafeln, die an die Opfer durch die deutsche Besatzung wie die französische Miliz erinnern, womit die ganze Problematik aufgezeigt wird. Und nicht vergessen werden die jüdischen Opfer, ums Leben gekommen unter der Autorität des sogenannten „Gouvernement de l´État Francais“ 1940-1945. Heute leben in Avignon wieder 312 jüdische Familien, während der Besatzungszeit wurden 4000 Juden aus Avignon in die KZs deportiert

N `oublions jamais. Wir dürfen das nie vergessen. An einem Tag wie diesem, an dem mit Jacques Chirac ein großer Franzose beerdigt wurde, der auch für die europäische Idee stand, darf man daran erinnern.

Bildquellen: Blog der Republik, Foto Chirac, Schröder, Putin: http://en.kremlin.ru/events/president/news/29415

 

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arbeitete als stellvertretender Chefredakteur und Berliner Chefkorrespondent für die WAZ. 2009 gründete Pieper den Blog "Wir in NRW". Heute ist er Chefredakteur des Blogs der Republik.


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