1. Das Trumpsche Spiel mit dem Überraschungsmoment
US-Präsident Donald Trump war wieder einmal für Überraschungen gut. Sein Markenzeichen ist das Schleifen von Tabus.
Diesmal betraf es das sog. „targeted killing“ – so der US-offizielle Ausdruck für das, was rechtlich „Extra-Judicial Executions“ heißt. Es traf in den frühen Morgenstunden des 3. Januar zwei Befehlshaber von „Revolutionsgarden“ genannten Militärs, den Iraner Qasem Suleimani zusammen mit dem stellvertretenden Befehlshaber der vergleichbaren Garden im Irak, Abu Mahdi al-Muhandis. Mittel war eine Rakete, die von einer Drohne aus auf das Fahrzeug der beiden abgefeuert wurde – Anschlagsort war die Ausfahrt vom Internationalen Flughafen in Bagdad.
Suleimani hat die „Armee der Wächter der Islamischen Revolution“ angeführt. Das ist die „politische“ Armee des (revolutionären) Iran. Sie zählt etwa 125.000 Mann. Zusätzlich verfügt sie über paramilitärische Freiwilligenmilizen in der Größenordnung von mindestens einer Million Kräften. Die Revolutions-Garden stehen neben bzw. in Konkurrenz zur regulären Armee Irans, die rund 350.000 Mann umfasst und an deren Loyalität die Begründer der Islamischen Republik lange zweifelten – das bekannte Bild im Gefolge einer Revolution. Die Garden sollen die Errungenschaften der Islamischen Revolution schützen und unterstehen folglich nicht der Regierung, sondern dem Revolutionsführer Ali Khamenei, der in wichtigen Fragen der nationalen Sicherheit die Entscheidungen trifft.
Der Anschlag vom 3. Januar kam völlig überraschend – nicht dass die Methode unüblich sei; nein die Zielwahl war es, die bis dahin undenkbar schien. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Nachricht ließ sich ein Mitglied der Iranischen Garden in Teheran mit einer Vermutung zitieren. Er mutmaßte, Soleimani sei wahrscheinlich als Kollateralschaden eines Schlags gegen Abu Mahdi al-Muhandis ums Leben gekommen – so unvorstellbar war Suleimani als Ziel. Erwartet wurde, was man in militärischen Auseinandersetzungen normalerweise macht: Man reagiert mit einem „Gegenschlag“ – das Signal an den Gegner dabei ist, ob der eskalierend oder deeskalierend ist. Eine positive Eskalation, in der man zehn Treppenstufen auf einmal nimmt, ist militärisch unorthodox. So hat Trump aber gewählt aus dem Tableau von Optionen, welches der Verteidigungsminister und der Außenminister dem Präsidenten zusammengstellt und in dessen sylvesterliches Urlaubsdomizil gesendet hatten.
Die nächste Überraschung bestand in einem umgehenden gegenteiligen Signal: Trump bat, auf informellen Wegen, die iranische Führung, bei ihrem Gegenschlag nicht zu arg zuzuschlagen – es war die iranische Seite, die dies öffentlich machte. Trump selbst wiederum, das war die dritte Total-Überraschung, kündigte per Twitter an, dass die USA bei einer harten Reaktion der iranischen Seite gegen 52 Ziele im Iran militärisch zuschlagen würden. „State of the art“ der Kriegsführung qua Drohungsaustausch ist, den Gegner keine Kalkulation zu erlauben, seine eigenen Karten nicht aufzudecken. Das hat Trump nun anders gehalten. So der Anschein.
Der Vorteil von Trump ist, dass ihm eh nicht geglaubt wird, was er sagt. Insofern kann er sagen, was er will. Das Erratische ist sein Markenzeichen – er kann zugleich den Dicken Maxe markieren und im nächsten Moment so tun, als wenn er die Pose des Maxe nicht eingenommen hätte. Trump markiert ausgiebig „rote Linien“, da sie ihm aber kaum jemand als solche abnimmt, sind sie nicht wirklich „rote Linien“. Das Glaubwürdigkeitsdilemma, welches Obama beim Thema „Rote Linie beim Einsatz von Giftgas in Syrien“ hatte bzw. ihm absichtsvoll angeheftet wurde, kann Trump nicht haben, weil man eh nicht glaubt, was er sagt.
2. Tabu der Nicht-Enthauptung geschleift
Überraschend ist die Trumpsche Zielwahl vor allem, weil er damit ein Tabu gebrochen hat. Beide seiner Vorgänger hatten erwogen, Suleimani ins Visier zu nehmen – und hatten das verworfen.
Dass diese Option besteht, ist neu. Sie ist Ergebnis eines waffentechnichen Fortschritts im Gefolge der Digitalisierung. Die erlaubt eine personifizierte Zielverfolgung und zugleich Präzisionsschläge. Damit steht seit einem Jahrzehnt etwa die Verführung im Raume, militärische Schläge gegen Befehlshaber, bis hin zum Oberbefehlshaber, zu führen.
Verführerisch ist diese Option vor dem Hintergrund des Populismus, der Moralisierung und Personifizierung der Politik für’s Publikum. Das Narrativ des Populismus ist, dass individuelle Menschen Politik machen, gemäß ihrer Gesinnung, die entweder feindlich oder freundlich ist. Das Komplement, dass Personen auch nur Repräsentanten für Organisationen und Staaten sind, dass ihre Auswechselung am Verhalten der Körperschaft nichts ändert, also auch ihre gezielte Tötung nichts bringt, wird überspielt.
Bislang hielt das Tabu, dass führende Repräsentanten des Gegners nicht zum Ziel erklärt werden. Hintergrund ist die Einsicht, dass jede Einhegung eines eskalierenden Gewaltaustausches eines Gesprächsfadens bedarf – und dafür braucht es auf der Seite des Gegners Gesprächspartner. Die Alternative ist die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation. Schießt man die Gesprächspartner weg, folgt man der Strategie der „Enthauptung“ des Gegners, so verlängert man den Krieg unmäßig.
Zudem gilt „Wie ich Dir, so Du mir“.Ein Oberbefehlshaber macht sich selbst zur Zielscheibe, wenn er den Oberbefehlshaber des Gegners zum Ziel erklärt. Diese Selbstbedrohung stabilisierte bislang das Tabu. Das ist nun eingerissen. Ob der Riss wieder geflickt werden kann, ist offen. Jedenfalls gilt, dass die Führungspersonen in westlichen offenen Gesellschaften viel verletzlicher bzw. deutlich weniger nur zu schützen sind als die Führungskräfte in autoritären Regimen. Insofern hat der US-Präsident ein erhebliches Eigentor geschossen – und das nicht allein für sich selbst, als Person.
Dass Trump seine Amtszeit als Opfer eines Attentats beendet und Mike Pence zum Präsidenten wird, erwarten in Washington eh viele. Bislang meinte man, ein mutmaßlicher Täter käme aller Wahrscheinlichkeit nach von innen. Nun hat Trump für Motive eines Anschlags von außen gesorgt.
3. Das Motiv der Rache
All solche strategisch-außenpolitischen Erwägungen aber sind für das Verhalten Trumps in diesem Punkt unerheblich. Es geht um Gefühle im Publikum, und die sind atavistisch. Es geht um Rache.
Das erkennt man leicht an den „Begründungen“, die in Washington für dieses „targeted killing“ geboten werden. Es wird da die lange Liste von Taten mit US-amerikanischen Opfern präsentiert, für die die Revolutionsgarden des Iran unter ihrem langjährigen Befehlshaber verantwortlich sind. Das alles ist richtig. Es ist aber keine rechtlich tragfähige „Begründung“. Eine „Extra-Judicial Execution“, eine „Hinrichtung ohne Gerichtsverfahren“, ist nur statthaft, wenn von der Person selbst eine unmittelbare Gefahr ausgeht – implizit unterstellt Außenminister Pompeo, der die Vorgehensweise der USA im Frühstücksfernsehen zu verteidigen hatte, Suleimani sei wie ein Attentäter mit einem „Dolch im Gewande“ nach Bagdad geflogen, nicht als Oberbefehlshaber. Das ist so absurd, dass die Notifizierung des Vorgangs beim US-Kongress (erstmals) vollständig zur Verschlusssache erklärt wurde. Es passt deshalb sehr gut, dass Rolf Mützenich, der Verteidigunsexperte der SPD im Deutschen Bundestag, der auch ihr Fraktionsvorsitzender ist, in seiner Kritik an der Vorgehensweise der Trump-Administration die Bemerkung einfließen ließ: Im Fall Soleimani sei eine Verhaftung durch das US-Militär „offensichtlich noch nicht einmal erwogen“ worden. Zur Abwehr einer dringlichen Gefahr hätte die Festsetzung Soleimanis ausgereicht.
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Ein unaufgeregter Hintergrundbericht, der mir zuerst einmal erklärt, was da passiert ist. Es gibt noch so viel mehr zu erläutern: Sunniten, Schiiten, Schah, USA, Iran/Irak, Saudi Arabien, Syrien, IS, Kurden, Israel, dazu Russen und Türken – kann es friedliche Koexistenz geben wenn es keiner der Beteiligten möchte ? Um Öl geht es auch noch, Macht, Befindlichkeiten, systematische Benachteiligung von Frauen, Journalisten, … , meine auf Austausch und Konsens & Toleranz geeichte Skala reicht nicht aus, die aktuellen Entwicklungen im leider sehr nahen Osten auch nur ansatzweise einzuschätzen.