Neue Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus in der Nähe von Minsk
Neue Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus in der Nähe von Minsk

Deportiert – Und jeder aus der übrigen Bevölkerung konnte es sehen. In Weißrussland entsteht eine Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus

Minsk. In Weißrussland entsteht eine neue große Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus. 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs soll in Maly Trostenez nahe der Hauptstadt Minsk an die massenhafte Ermordung europäischer Juden und Zwangsarbeiter erinnert werden.

Vertreter aus acht deutschen Städten sowie Wien und Theresienstadt übergaben Listen mit Tausenden von Opfernamen an die Stadt Minsk. Rund 22 000 Männer, Frauen und Kinder, die aus Köln, Düsseldorf, Berlin, Bremen, Hamburg, Frankfurt, Wien und Theresienstadt nach Trostenez deportiert wurden, sollen auf diese Weise ihren Namen zurückerhalten. Eine entsprechende Absichtserklärung zwischen der Stadt Minsk und dem Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund (IBB Dortmund) wurde am Pfingstsonntag feierlich unterzeichnet.

Für Köln übergab der Direktor des dortigen NS-Dokumentationszentrums, Dr. Werner Jung, die Liste mit 1158 Namen. Die jüdischen Männer, Frauen und Kinder, die seit 1942 aus Köln, Bonn, dem Siegkreis und weiteren des Rheinlandes von Köln aus deportiert wurden„ und jeder aus der übrigen Bevölkerung“, so folgerte Dr. Jung, „konnte und musste es sehen“..

Barbara Duden, Vize-Präsidentin der Hamburger Bürgerschaft, übergab 1300 Namen, Luise Scherf und die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Bremen, Elvira Noah, brachten 500 Namen nach Minsk. Weitere kamen aus Frankfurt/Main, Düsseldorf, Berlin und Theresienstadt.

In einer einzigartigen Kampagne haben sich Menschen aus diesen Städten für den europäischen Erinnerungsort eingesetzt. „Wir sind unserem Anliegen heute ein großes Stück näher gekommen“, sagte der Vorsitzende des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerks Dortmund (IBB Dortmund), Matthias C. Tümpel in Minsk. In der IBB „Johannes Rau“ in Minsk kamen Vertreter aus Politik, Kirchen und Zivilgesellschaft zusammen, um „Perspektiven für eine europaweite Gedenkkultur“ zu entwickeln.

„Als Antwort auf das massenhafte Sterben im Ersten und Zweiten Weltkrieg“, so sagte es der frühere Bremer Bürgermeister Henning Scherf, „können wir ein menschenfreundliches Europa formen.“ Der „Wahnsinn des Rassismus und Antisemitismus hat Millionen Menschen das Leben gekostet“, fuhr er fort. „Wenn der Hass durchschaut wird als Quelle von Krieg und Mord, dann kommt der Frieden.“

Kein Land habe unter den Nazis so gelitten wie Belarus, sagte Scherf, „keine Familie in Belarus ist ohne Opfer.“ IBB-Geschäftsführer Peter Junge-Wentrup zeigte sich „richtig dankbar“ dafür, dass „die Menschen in Belarus uns die Hand reichen“. Das „Geheimnis der Versöhnung“ sei die Erinnerung. Mit der Aufnahme von Blagowschtschina in das Gedenkstättenkonzept „sind wir einen ganz großen Schritt weiter“, sagte er unter Bezug auf die entsprechende Bekräftigung durch Alexander Lukaschenko, Präsident der Republik Belarus.

Im Wald von Blagowschtschina kamen die rund 400 Teilnehmer der IBB-Konferenz zu einer Gedenkfeier zusammen. An den Baumstämmen erinnerten gelbe Namenszettel an die Opfer. Die Aktion war von österreichischer Seite initiiert worden. Es gebe keinen anderen Ort, an dem so viele Österreicher ermordet worden seien wie hier, sagte Alexander Bayerl. Der Gesandte Österreichs in Belarus sagte, 13.000 Menschen seien dort von den Nazis ermordet worden. Angesichts der Gedenkfeier sprach er von einem „Tag des Sieges der europäischen Zivilisation über den Wahnsinn des Nationalsozialismus“.

Manfred Zabel trug seine Botschaft zu diesem Tag in Form eines Gebetes vor. „Wir stehen hier in der Gemeinschaft derer, die Schuld auf sich genommen haben, als sie zuließen, was im deutschen Namen hier geschehen ist“, sagte der Pastor der Evangelischen Kirche von Westfalen. „Unsere Kirche hat sich mitschuldig gemacht“, fügte er hinzu, „und dafür schämen wir uns.“ Zabel erinnerte an Dr. Hedwig Danielewicz, die am 10. November aus Düsseldorf nach Minsk deportiert wurde. „Sie war die Witwe des Malers Carl Jung-Dörfler aus meiner Heimat-Gemeinde Wilnsdorf-Oberdorf.“ Sie arbeitete als Ärztin mindestens sechs Monate im Ghetto in Minsk. Danach verliert sich ihre Spur. „Wann Hedwig Danielewisz ermordet wurde, ist nicht bekannt“, sagte Zabel, „vielleicht hier in diesem Wald“.

Tausende solcher Schicksale verbergen sich hinter den Namen, die erst in jüngster Zeit erforscht und nun in Minsk dokumentiert sind. Sie sollen Eingang in die Gedenkstätte finden, damit die Opfer ihre Namen zurückerhalten und ein würdiges Andenken erfahren. Der weißrussische Staatschef Alexander Lukaschenko, der Pfingsten den Grundstein für das Vorhaben legte, weckte unter den 130 deutschen Gästen die Erwartung, dass das Projekt realisiert wird. In seiner Rede warnte er vor einem Erstarken des Antisemitismus. Auch der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder, lenkte den Blick auf aktuelle besorgniserregende neonazistische Vorfälle in Europa.

Hochrangige Vertreter der Orthodoxen Kirche, der Katholiken und der Jüdischen Gemeinde würdigten in der IBB „Johannes Rau“ Minsk die Initiative für eine Gedenkstätte Trostenez. Übereinstimmend äußerten Metropolit Pawel, Bischof Kassabutzki und Galina Lewina, die Tochter des im Frühjahr verstorbenen Architekten Leonid Lewin und stellvertretende Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, ihre Hoffnung, das Mahnmal werde kommenden Generationen die Botschaft vermitteln, dass sich die Geschichte niemals wiederholen dürfe.

Bildquelle: Petra Kappe

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Die promovierte Medienwissenschaftlerin arbeitete mehr als 20 Jahre in der Politikredaktion der Westfälischen Rundschau. Recherchereisen führten sie u. a. nach Ghana, Benin, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, China, Ukraine, Belarus, Israel und in das Westjordanland. Sie berichtete über Gipfeltreffen des Europäischen Rates, Parteitage, EKD-Synoden, Kirchentage und Kongresse. Parallel nahm sie Lehraufträge am Institut für Journalistik der TU Dortmund sowie am Erich-Brost-Institut für Internationalen Journalismus in Dortmund wahr. Derzeit arbeitet sie als freie Journalistin.


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