Indem ich das Wort „Antisemitismus“ bei Google eingebe, bekomme ich eine „Übersicht mit KI“:
„Antisemitismus ist Judenfeindlichkeit, eine Form des Hasses und der Diskriminierung, die gegen Juden gerichtet ist. Es umfasst jede judenfeindliche Einstellung, Vorstellung und Handlung, wie Lügen, Beschimpfungen, Ungerechtigkeiten oder verbale und körperliche Gewalt.“
Es gibt also viele verschiedene Gesinnungen und Aktionen von Antisemiten. In diesem Artikel geht es mir um die Frage, welche Person die gesellschaftlich größte, die schlimmste Auswirkung auf Juden und insbesondere auf Israel hat. Dafür geht es mir also nicht um Gesinnung, sondern um das Ausmaß des Schadens, vor allem zur Untersuchung der Tragödie in Nahost. Sowieso lehnen es viele de facto effektive Antisemiten ab, sich als Antisemiten bezeichnen zu lassen.
Dafür muss ich die Liste der Kandidaten erweitern. Nicht nur erklärte Feinde von Juden, sondern im Grunde jeder Mensch, also auch ein Jude, kann den größten Schaden verursachen. Womöglich subjektiv sogar „in bester Absicht“ für die jüdischen Betroffenen. Ich nenne diesen Menschen den „effektivsten Antisemit“, eben weil er unmittelbar antisemitisch effektiv ist. Solange man gerade solche Kandidaten für diese Bezeichnung nicht ermittelt und nennt, bleibt die politische Sackgasse in Nahost bestehen.
„Sei ein Mensch!“
Üblich sind Formulierungen wie: Wer einen Antisemit von seinem Hass befreit, hat eine ganze Welt gerettet – zumindest in diesem Menschen. Dafür kam Inge Deutschkron im Alter von 88 Jahren zurück nach Deutschland. Ähnlich wie Papst Franziskus scheute sie keine Überanstrengung. Was würde sie, als eine rundum Liebende, einem staats-räsonierenden Benjamin Netanjahu sagen? Eben das jedem Juden verständliche, von Inge Deutschkron so behutsam friedlich betonte: „Sei ein Mensch“.
Eben dafür sieht sich Netanjahu als Beschützer. Er hat den Hass, dem er ausgesetzt war, verinnerlicht. Er bezeichnet seine Art von Abwehr und Gegenangriff als Verantwortung. Er sieht sich, und viele sehen ihn „natürlich“ als Mensch. Zugleich wird er global von vielen als ein Unmensch wahrgenommen, der den Antisemitismus deutlich verstärkt. Dazu tragen Bilder aus Gaza bei, vor allem bei zukünftigen Politikern, sprich heutigen Kindern. Wie lässt sich die Gefahr für Israel einschätzen, was wird historisch bleiben?
Seit 2.500 Jahren (Juden in Babylon), gibt es die Schwierigkeit, jemand als „den effektivsten Antisemit“ zu ermitteln und zu bezeichnen. Oft kann eine Eigenschaft, wie „stark einflussreich zu sein“, bewirken dass ein Politiker, ein Prediger usw. sowohl pro Juden/Israel als auch antisemitisch hohe Wirkung verursacht – sei es nun zugleich oder nacheinander. Optimal wäre „semitisch“ zu sein, also etwa in Nahost für Israeliten, Syrer, Iraner usw. vermittelnd zu wirken, in Richtung Frieden.
Eine deutsche Staatsräson begann vorbildlich, indem Adenauer und Ben Gurion einander menschlich verstanden haben. Das ergab effektive Wiedergutmachung durch pragmatische Hilfe zum Überleben. Die BRD, mit Hingabe insbesondere von Franz Josef Strauß, haben Israel für jene Kriegstüchtigkeit unterstützt, die damals unverzichtbar war – ganz im Sinne von Merkel in unserer Zeit. Allerdings, Adenauer nahm reihenweise Alt-Nazis in Ministerien und andere Behörden auf, wodurch er viel Antisemitismus für Jahrzehnte zementierte, verfestigte.
Das hatte Adenauer kurz gesagt mit Eisenhower (der mit „kriegstüchtigen Deutschen“ seine jungen US-boys vor Verlusten schützen wollte) gegen Stalin in Richtung NATO vereinbart. Ist also Adenauer ein Kandidat für den effektivsten Antisemit seiner Zeit? Meine Antwort ist nein – vielleicht für den umstrittensten. Denn immerhin, denn er konnte einigermaßen diplomatisch mit den Gefahren umgehen, auch mit „seinen Alt-Nazis“ bis hin zu Hans Maria Globke, einer Symbolfigur für die gezielt schlecht aufgearbeitete braune Vergangenheit des Landes.
Besänftigt, gar geliebt wurden die Juden nicht. Da hilft es auch kaum, wenn Kanzler Merz am 14. Mai in seiner Regierungserklärung die Freundschaft Israel/Deutschland als ein Wunder bezeichnet und er „unverbrüchlich“ an der Seite von Israel stehen will. Ein Wunder schafft man nicht, indem man realen Genozid schematisch leugnet.
Immerhin, vorbildlich ist eine jüdisch/deutsche Freundschaft gelungen, bis hin zur Feier des 60. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen, jetzt im Mai zelebriert durch wunderbar einfühlsame und wohlwollende Freundschaft von Israels Präsident Herzog mit unserem Bundespräsident Steinmeier. Ihnen gelingt die beste Vorsorge gegen Antisemitismus, nämlich durch feinfühligen Umgang mit Versuchen, das Leiden in Nahost für alle zu begrenzen. Die Herausforderung ist hart, so sagte Steinmeier: „Große Feierstimmung kann sich kaum einstellen“.
Was überhaupt könnten Liebende bei Hassenden ausrichten? Die Menschheit steckt nach dem Holocaust bis heute in einer Vorstufe von Zivilisation. Obwohl, als Menschen können wir uns seit Jahrtausenden eine rundum friedliche Welt vorstellen. Schwierig ist Übergang dorthin, hinaus aus unserer allzu gewaltbereiten Welt.
Zielführende Träume gibt es. Aber bestimmte – keineswegs alle – tierische Reflexe erschweren den Übergang: Einerseits, ähnlich wie bei den roten und schwarzen Ameisen, sobald man einander begegnet, beginnt ein Krieg. Andererseits können intelligente Wolfsrudel feinfühlig und diplomatisch eine Art „Leben und leben lassen“ erfolgreich zelebrieren. Ob KI und KE (Künstliche Emotion) helfen werden, bleibt vorläufig umstritten, zumindest solange beide vom Menschen mit überwiegend allzu gewaltstrotzenden Informationen „erzogen“ werden.
Können wir „Überliebensfähig“ werden?
Sobald die Menschheit einen ewigen Frieden tatsächlich erreicht, wäre all die Gewalt beendet. Es gäbe keine Rassisten, so sowieso keine Antisemiten – aber Nazis? Nun, rundum friedliche Nazis könnten die alten Germanen verehren. Sie würden auf keinem Fußballplatz randalieren. Das wird möglich, nachdem Gewalt, sowieso alle Kriege, jeglicher Hauch von Rache ins harmlos Spielerische übertragen worden sind.
Unsere spät geliebte Liebende Inge Deutschkron hat effektiv etwas gegen Antisemitismus erreicht. Jedoch die Mehrheit der Deutschen ist gemäß einer Umfrage der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) 2025 gegen einen Schlussstrich.
Vergessen ist Gnade und Gefahr zugleich
Beim Abitur 1958 gab es für das Schulfach „Deutsch“ ein von Theodor Heuss fein balanciertes Thema: „Vergessen ist Gnade und Gefahr zugleich“. Er hatte 1933 selbst zur Machtübernehme der Nazis beigetragen. Am 23. März 1933 stimmte er im Reichstag – unter massivem Druck der Nazis, insbesondere der SS – dem Ermächtigungsgesetz zu. Er hat dies lebenslang bitter bereut.
Er warnte nach 1945, es sei gefährlich die von Nazis ausgehende Gefahr zu vergessen. Zugleich deutete er im Grunde bereits einen „Schlussstrich“ an, niemand möchte quasi täglich zerknirscht an die fürchterliche Gewalt der Nazis denken, sowie an die Gnade eines Schicksals, welches ein eigenes Überleben bis 1945 ermöglichte. Immer wieder hat Heuss öffentlich betont: „Nie wieder Rassismus und Antisemitismus!“.
80 Jahre später ist in Deutschland der Antisemitismus nach wie vor breit präsent. Es gehört zwar zur Staatsräson den Antisemitismus zu bekämpfen und insbesondere Israel zu unterstützen – aber effektiv konnte dies die gesellschaftliche Realität nicht wie angedacht verändern. Zugleich konnte ein Schlussstrich nicht erreicht werden.
Statische Gedenkstätten zementieren Sackgassen dynamischer Versöhnungskultur.
Eine gigantische Menge von Dokumentationen zu Naziverbrechen konnte den Antisemitismus ebenso wenig verhindern, wie eine Fülle von Gedenkstätten. Und ebenso wenig gelang es, einen Schlussstrich zu setzen. Beides ist verbunden. Wer oder was ist da effektiv?
Kaum jemals konnten Täter historisch nach ihren Verbrechen einen Schlussstrich bewirken. Glaubwürdig und politisch wirksam käme es auf die Opfer an. Voraussetzung dafür wäre, dass diese sich in ihrer Gesellschaft akzeptiert, rehabilitiert, respektiert und einigermaßen wohlwollend integriert fühlen können. Das war leider seit Adenauer bis jetzt gewollt und unübersehbar die Ausnahme. Ein paar freundliche Einzelfälle wurden gerne angenommen, aber für Versöhnung war das bei weitem zu wenig. Indiz ist, dass die Polizei jüdische Stätten nach wie vor mit hohem Aufwand schützen muss.
Jene die überhaupt auf Gedenkstätten reagieren, wissen zumeist vorher was Nazis sind. Auch teure „Nazistätten“ wie das „Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände“ in Nürnberg bewirkten nichts gegen die rechtspopulistischen Bewegungen in Deutschland.
Im Grunde würden für fast alle Gedenkstätten ein paar wenige digitale Daten genügen. Beton anstatt digital ist in mehrfacher Hinsicht archaisch: So bleibt jeglicher Schlussstrich zementiert, unerreichbar. Immerhin, mit vorbildlichem Einsatz hat Lea Rosh das Denkmal der Stelen in Berlin gefördert und durch einen „Ort der Information“ unter den Stelen für dringend wichtige, effektive Aufklärung bereichert.
Ignatz Bubis bemühte sich in den 90er Jahren als Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland weitgehend vergebens um die Integration der jüdischen Deutschen, und er bekundete erbittert, er sei gescheitert. Er hätte gerne einen Schlussstrich gezogen, aber er musste zusehen, wie es Jahrzehnte dafür keine Grundlage gab. Hans Frankenthal kehrte aus Auschwitz zurück und niemand wollte von seinem Leid erfahren. Erst 1999 erschien sein Buch: „Verweigerte Rückkehr“. Eigentlich sollte allein schon so ein Buch, ähnlich wie zum Beispiel die Geschichte von Anne Frank, ausreichen, um ein ehrlich reuevolles Interesse mit Anteilnahme auszulösen. Gedenkstätten helfen, lösen aber auch Abwehr und Trotz aus.
Was immer noch weitgehend fehlt, ist eine objektive Aufklärung zu Nahost, jetzt!
Heute stecken wir mit der groben Forderung nach Schlussstrich bestenfalls in einer Vorstufe von Zivilisation.
Immerhin, durchaus neu und modern, öfters gefördert wird derzeit allmählich eine überfällige Umorientierung in Richtung „kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Gegenwart“. Denn wenn der Zulauf für die AfD zu sehr ignoriert wird, kann das wie 1933 unsere Demokratie gefährden.
Fast jegliche Vorstellungskraft für eine gemeinsame und wechselseitig wohlwollende Zukunftsgestaltung fehlt: Wie kann man die Erfahrung des Holocaust auf die Realität in Gaza anwenden? Wie könnte, sollte, würde eine „Deutsche Staatsräson“ aussehen, die genau jene regelbasierte Ordnung ernst nimmt, die bei Gedenken vage erwähnt wird?
Historisch seit 1945 hatten immer nur Täter und deren Nachfolger einen Schlussstrich gefordert – und selbst verhindert. Indem jetzt eine Mehrheit der Deutschen einen Schlussstrich fordert, bezeichnet sie auch nur, was ihr lästig ist – nicht zuletzt auch, weil ihr der Sachverhalt durchaus bekannt ist. Nachfragen zeigen Verdrängung wegen Überdruss. Sowieso, jeglicher „Schlussstrich“ mitten in zu viel „gesichert rechtsextremistischer Umgebung“ wäre irreführend:
Wenn Hitler ein Vogelschiss war, was wäre dann ein Gaulandschiss?
Währenddessen gibt es eine liebevolle und liebenswerte Minderheitsraison von Israelis und Deutschen zueinander. Mehr davon könnte eine fake-Staatsräson von innen her auflösen. Bis dann gilt:
Was ein Staat ist, definiert das Völkerrecht
Eine Staatsräson, bei der ein de facto Nicht-Staat, (der das Völkerrecht bewusst krass provozierend verletzt) von einem Nicht-Staat unterstützt wird (der offiziell die Einhaltung des Völkerrechts ablehnt) kann es nicht geben. Es wäre eine faschistische Hilfe, die gegeben und empfangen wird. Politiker, welche eine schematische Bekennung zu einer „Staatsräson für Israel“ fordern, zelebrieren eine Beihilfe zu Mord, und zementieren einen schier endlosen Antisemitismus. Per fake „kann“ man sich zu einer „Wahrheit durchlügen“. Man kann Israel helfen, aber nicht per fake, welches zähneknirschend pflichtschuldigst absolviert wird.
Völlig anders wären die Reaktionen, wenn man anstatt einer statischen, monoton die Vergangenheit wiederholenden Erinnerungskultur endlich eine Zukunftskultur gestalten würde, Motto: „Was kann ich aus den Erinnerungen gezielt für die Zukunft lernen und umsetzen?“ Das wird bisher geradezu systematisch vermieden.
Städtepartnerschafft Tel Aviv / Berlin
Von daher ist die gut gemeinte Städtepartnerschafft Tel Aviv / Berlin schwer realisierbar. Sie hätte einen Schlussstrich bei den Opfern zur Voraussetzung gebraucht, das hätte der vorausgehende Schritt sein müssen. Es gab zwar positive Ansätze, so fühlten sich Studenten aus Israel in Berlin besonders frei und wohl. Das wurde nachhaltig zerstört, besonders an Universitäten: Solange Professoren den anerkannten Stand der Wissenschaft und der Menschenrechte mit Beispielen aus Nahost gar nicht mehr lehren können, solange sie sich einer für sie selbst klar in sich widersprüchlichen Staatsräson anpassen sollen – da finden sie sich als in sich widersprüchliche „künstliche Antisemiten“ ihrer eigenen Identität beraubt. 2000 israelische Opfer der Hamas-Täter am 23. Oktober 2023 waren ein spontan ausuferndes Verbrechen, als Reaktion auf jahrzehntelang weit höheren, als Verbrechen wahrgenommenen Verlusten davor. Außerdem gibt es akut 2 Millionen extrem Leidende Opfer in Nahost durch Israel, man kann einen derart offensichtlichen Genozid nicht verleugnen.
Wo könnte eine vertrauensbildende Maßnahme beginnen? Jeder darf jeden Kontrahenten auf Wahrnehmung von Verfehlungen hinweisen, sei es beim Völkerrecht, bei fake und real, bei Ethik usw. Ein Eindruck auf der persönlichen Ebene, selten, man muss vorsichtig sein, aber vor kurzem war es möglich: In einer S-Bahn in Berlin kam ich in freundlichen Kontakt mit einem arabischen Paar. Bei unserer Diskussion zu „Wer hat mit Gewalt angefangen“ gerieten wir rasch in längst vergangene Zeiten. Was mich beeindruckte war die Emotion: „Palästinenser, überhaupt wir Araber sind nicht so sündig wie die Israelis. Auch wir könnten jeden Tag Druck ausüben, etwa indem wir eine Person der Geiseln steinigen, wie es im Koran gefordert wird, aber wir sind eben nicht so grausam, wie die Israelis mehrfach in Gaza“. Von mir wurde nicht erwartet, zuzustimmen – aber doch wenigstens ruhig zuzuhören. Mir zeigt das Beispiel, wie weit und wie grundlegend der Weg zu VBM ist, der unverzichtbar gemeinsame Weg. Von der Scharia wende ich mich mit Grausen ab – aber ich kann mir vorstellen, dass moralisch starke Gläubige des Islam damit eines Tages weitaus vorsichtiger und behutsamer umgehen, als gewohnt. Und solange die drei Abrahamitischen Religionen (Judentum, Christentum und Islam) nicht harmonieren, wie soll es da die Menschheit?
Deutsche Familienraison
Was wäre es zum Beispiel für eine „Deutsche Familienräson“, wenn ein Mitglied meiner eigenen Familie eine offensichtlich kriminelle Tat nach der anderen begeht und ich diesem Mitglied nicht Bescheid gebe: „Nein, so geht das nicht.“ Nun ja, fast jeder Täter war auch mal Opfer, und spontane, kontrollierte Aggression kann man vielleicht mal (!) als „natürlich“ bewerten – nicht aber schier endlose Rache: Soll ich vielleicht auch noch Waffen liefern? Nein, das wäre keine „Familienräson“. Eskalierende Rache ist weder privat noch staatlich eine regelbasiert lebensfähige Ordnung.
Zu den meisten Juden die ich kenne bin ich gerne solidarisch. Das ist von Mensch zu Mensch. Es könnte breit gesellschaftlich gelingen, „Wohlwollen“ ist das Zauberwort für ein Gelingen. Ja, eine ehrliche Reue wegen den Verbrechen der Nazis könnte sich zauberhaft auswirken. Hingegen ist jeder Versuch absurd, eine wache ethische Haltung durch blindwütige Automatiken, schematische verlogene Ideologien zu ersetzen. Deshalb, die globale Gewalt belastet. Worum man sich selbst bemühen kann ist, trotz allem fake ringsum nicht politisch verwirrt zu werden. Was mit hilft: Notfalls frage ich meine 1944 ermordete Mutter, ich kenne ihre klare Haltung.
Der effektivste Antisemit
Kann ein Beauftragter für Antisemitismus bemerken, wer global der effektivste Antisemit ist? Wohl selten. Denn dabei geht es weder um Gesinnung, noch um Zionismus (sei es nun Glauben oder Abscheu), noch um Rechtsfragen. Es geht fast immer um die Willkür, die zunächst eine Gruppe erdulden musste (etwa in Babylon), und um Reaktionen der Gruppe, die dann zu starken Gegenmaßnahmen, also erneut zu eigenen Leiden der Gruppe, geführt haben. Darunter mussten die Juden 2.500 Jahre leiden und es kann wieder passieren. Das kann sehr ungerecht sein – außer man ist als Opfer selbst auch eine wesentliche Mit-Ursache.
Worauf es ankommt, ist die effektiven Ursachen, die faktischen Verursacher zu erkennen. Im fake-Zeitalter wird das immer gewollt umstritten sein. Plausibel ist zu Beispiel, dass sich ein Verursacher als Beschützer von Israel bezeichnet, und sich über Antisemitismus beklagt.
Worauf es zum Überleben ankommt, ist das Überwinden von Gewalt. So bei Krieg; erzieherischer Kinderschändung, etwa wenn Kinder die Vernichtung in Gaza emotionsnah mit-erleben; so bei tödlicher Überschreitung von Kipppunkten des Klimas usw. Ein ehrlich räsonierender Staat versucht es aus der regelbasierten Ordnung heraus. Fake und/oder de facto, es gibt verschleiernde, verheerende Zwischenstufen. Diese können keine regelbasierte Ordnung etablieren. Derzeit überwiegt ein weithin ungeregelter Streit um mehr oder weniger fake. Weitaus besser wäre der Versuch, aus „Sei ein Mensch“ heraus zumindest die Willkür einzuschränken.
Global ist viel Einstellung mit „sei kein Mensch“ wirksam. Die akute globale Erbitterung der Menschen, auch überwiegend der Staaten in der UNO, richtet sich gegen Israel. Was droht sind weitere 2.500 Jahre Antisemitismus, diesmal global und einprägsam begründet und allzu nachvollziehbar. . Ein leider höchst überzeugender Kandidat für den historisch de facto wirksamsten, sprich „effektivsten Antisemit“ ist Benjamin Netanjahu. Historisch eindeutig, offiziell in einem globalen Konsens festgelegt wird es vielleicht in zehn, womöglich erst in hundert Jahren. Aber man kann versuchen, es zu erahnen, denn eingreifen müsste man jetzt. Netanjahu züchtet laufend weitaus (!) mehr zukünftige Terroristen als er jemals töten könnte. Der Internationale Strafgerichtshof hat einen Haftbefehl gegen Netanjahu erlassen, das ist vorläufig nur ein weiteres Indiz für den global krassen Eindruck. Milliarden Kinder und Jugendliche wundern sich bis hin zum lebenslangen Entsetzen über die Fernsehberichte aus Nahost.
Stand der Wissenschaft ist: Föten im Mutterleib von israelischen und palästinensischen Müttern spüren ab der 9. Schwangerschaftswoche das Entsetzen mit. Es ist das exakte Gegenteil von VBM (Vertrauensbildenden Maßnahmen), die für jeglichen Schlussstrich erforderlich wären. Rache mag in einer Vorstufe von Zivilisation nachvollziehbar sein, da sind Tiere vergleichsweise zivilisiert, indem sie in freier Natur und prinzipiell im Rahmen von Evolutions-Räson weitgehend nur aus Hunger oder in Notwehr tödlich kämpfen.
Was wir brauchen ist ein Startsignal für Bedenkstätten mit Zukunftskultur.