Unser Willi, unsere Ilse – die sollen es einmal besser haben. So lautete das Credo von Eltern, die die beiden Weltkriege überlebt hatten und mit neuem Lebensmut an den Aufbau unserer Republik zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts gingen. Zum einen wollten sie alles daransetzen, einen weiteren Krieg zu vermeiden. Zum anderen ging es ihnen um bessere Zukunftschancen für die jüngere Generation. Mit der Einführung der Sozialen Marktwirtschaft eröffneten sich dafür gute Perspektiven für den ökonomischen und sozialen Aufstieg.
Die wichtigste Ressource: Das Humankapital
Schnell wurde schon vor mehr als einem halben Jahrhundert deutlich, dass Deutschland nur über sehr geringe Rohstoffressourcen verfügt. Selbst die einst so geschätzte Steinkohle aus deutschen Flözen spielte keine Rolle mehr; die letzten Zechen werden Ende 2018 geschlossen – ebenso wie schon viel früher der Erzbergbau. Das wichtigste Kapital Deutschlands sind die Menschen, innovative Köpfe, qualifizierte Facharbeiter, Handwerker, Ingenieure, kluge Kaufleute und gute Dienstleister. Damit wurde bereits vor vielen Jahrzehnten deutlich, dass die Bildung und Ausbildung des sog. „Humankapitals“ die wichtigsten Faktoren für den individuellen Aufstieg und für die Erfolge unserer Volkswirtschaft sind. Sie werden es gerade mit Blick auf die großen Herausforderungen der Digitalisierung auch in Zukunft bleiben. Gleiche Bildungschancen für alle sind zudem die beste Voraussetzung, um jedem Einzelnen je nach seinen Begabungen den sozialen Aufstieg zu ermöglichen und so der Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken.
Aufstieg durch Bildung
Allerdings wird heute mehr als deutlich, dass der Bildungspolitik seit langem nicht die höchste Priorität eingeräumt wurde und immer noch nicht zugestanden wird. Vom Tellerwäscher zum Firmenboss, vom Untertage-Kumpel zum Diplom-Ingenieur und ähnliche Berufskarrieren sind nur noch sehr selten. Insbesondere der Aufstieg aus sozial schwachen Schichten scheint inzwischen schwerer denn je zuvor, wie es die jüngsten Fakten zeigen.
Mehr Förderung für Nichtakademiker-Kinder!
So ist die Zahl der Schulabgänger, die ein Studium aufnahmen, zwar von 267.000 im Jahr 2000 auf 437.000 in 2017 geradezu explodiert. Doch von dieser Bildungsexplosion profitierten vor allem die jungen Menschen aus Akademikerfamilien. 79 von 100 Jugendlichen mit studierten Eltern fanden den Zugang zu den Hochschulen, während gerade einmal 27 von 100 Kindern aus Nichtakademikerhaushalten diesen Weg erreichten. Damit haben sich die Chancen, mit Bildung über das Eltern-Niveau aufsteigen zu können, nicht verbessert. Die Herkunft bestimmt also, was aus einem wird. Haben die Eltern bereits gehobene und höhere Positionen, so ist die Wahrscheinlichkeit auf einen entsprechenden Posten für deren Kinder mehr als fünfmal so hoch wie für Arbeiterkinder. Experten haben in einer aktuellen Studie dargelegt, dass der Aufstieg in den letzten 3 Jahrzehnten zunehmend schwieriger geworden ist. Kinder von un- oder angelernten Arbeitern oder gar aus Hartz IV-Haushalten schaffen es immer weniger, einen Job mit einem höheren Status und damit in der Regel mit einer besseren Bezahlung zu erreichen.
Gute Erträge für Bildungsinvestitionen
Die Ursachen für diese gesellschaftspolitischen Diskrepanzen sind vielfältig. Das deutsche Schulsystem ist offenbar nicht flexibel und durchlässig genug, um insbesondere Kindern aus unteren und bildungsfernen Schichten den Weg zum Abitur und damit zum Studium zu eröffnen. Die Förderung und Begleitung dieser Kinder sind einfach nicht ausreichend. Experten stellten jüngst dazu fest, dass „Familien mit geringer ökonomischer Ausstattung und einer höheren Distanz zu weiterführender Bildung dazu neigen, Bildungskosten zu überschätzen und Bildungserträge zu unterschätzen“. Selbst wenn Kinder von Nichtakademikern das Abitur machen, beginnen gerade einmal 50% davon ein Studium; bei Kindern von Akademikern sind es 87%.
Besonders groß sind die Unterschiede bei Migranten-Kindern, die heute etwa ein Drittel der Schülerschaft ausmachen. Wenn sie aus Nichtakademiker-Familien stammen, finden von ihnen gerade einmal ein Viertel den Weg zur Hochschule. Dagegen ist der Anteil der Studierenden aus Akademikerhaushalten mit Migrationshintergrund sogar höher als der von Nicht-Migranten.
Gleiche Bildungschancen für alle!
Die Ungleichheit der Bildungschancen muss die Politik aufschrecken. Zum einen werden dadurch große Potenziale an „human ressources“ missachtet und nicht ausgeschöpft. Gerade angesichts des bereits bestehenden Mangels an Fachkräften sollte so rasch wie möglich umgesteuert werden. Zur Zeit fehlen den deutschen Firmen allein 315.000 qualifizierte Mitarbeiter im Mint-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik). Dieses Defizit wäre noch um fast 150.000 höher, wenn nicht die Beschäftigung von Ausländern in den vergangenen Jahren stark zugenommen hätte, so stellte es das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) gerade fest: „Alle Mint-Zuwanderer tragen jährlich mit 170 Mrd. Euro zur Wertschöpfung in Deutschland bei. Rund 15% der Erwerbstätigen in den Forschungsabteilungen der Unternehmen sind Zuwanderer.“
Zum anderen wird sich die mehr und mehr zunehmende Spaltung der Gesellschaft nicht durch neue Maßnahmen zur Erlangung größerer Verteilungsgerechtigkeit, sondern nur durch die Erhöhung der gleichen Chancen zur Bildung für alle Schichten überwinden lassen. Dafür müssen das Schulsystem durchlässiger gestaltet, die Bildungsberatung intensiviert und die Probleme bei der Studienfinanzierung gelöst werden. Der Weg zu der von Angela Merkel angestrebten „Bildungsrepublik“ ist richtig, doch sollten Bund und Länger mutige Schritte wagen, nachhaltig in Bildung investieren und so die Zukunft Deutschlands im internationalen Wettbewerb sichern. Sozialer und wirtschaftlicher Aufstieg ist indessen nicht nur über das Abitur und Hochschulstudium möglich, sondern insbesondere auch durch die duale Ausbildung etwa im Handwerk und Handel, im Pflegesektor oder in der Sozialarbeit.
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