Social Media

Die „Umweltsau“ als Lehrstück, wie naiv die klassischen Medien und die Politik mit der Internetkommunikation umgehen

„Das Internet ist für uns alle Neuland“, das sagte Angela Merkel vor über 6 Jahren spontan auf eine Nachfrage zum Überwachungsprogramm Prism. Sie erntete über diesen Satz viel Spott. Dass diese Aussage offenbar nach wie vor, auf Politiker, Medienschaffende und sogar auf Rundfunkintendanten zutrifft, dass zeigt der öffentliche Wirbel um das Schmählied über die Oma als „alte Umweltsau“ im Westdeutschen Rundfunk.

Die öffentliche Aufregung um das Spaß- bzw. Spottlied „Unsre Oma ist ne alte Umweltsau“, ist ein Beispiel dafür, wie – angestoßen durch das Internet – von Minderheiten, hochaktiven Nutzern, ein einzelner Beitrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu einem Politikum hochgespielt werden kann. Der Vorgang zeigt auch, wie bedroht die demokratische Meinungsbildung durch  „(A-)Soziale Medien“ schon ist.

Der vermeintliche Skandal zeigt, wie eine Minderheit im Netz, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk feindlich gesonnen ist, mögliche Fehlleistungen – über die man in Ruhe diskutieren kann und muss – zu einer Kampagne, in diesem Fall gegen den WDR missbraucht, bei der sich ganz unterschiedliche Motive miteinander vermischen:

– Da sind zunächst die „Klima-Leugner“ bzw. „Klima-Skeptiker“, meist von der politischen Rechten. Klimathemen sind bei der politischen Mobilisierung gerade auch für die AfD und ihr rechtsextremes Spektrum sehr wichtig; Greta Thunberg ist für sie geradezu ein Feindbild. https://www.spiegel.de/netzwelt/web/wdr-umweltsau-skandalisierung-die-empoerungsmaschine-laeuft-heiss-a-1303164.html

 – Da sind die Rechtsextremen, mit ihren Kampagnen gegen die „Lügenpresse“, die die „Systemmedien“ von ARD und ZDF schon lange bekämpfen und abschaffen wollen, dazu gehören aber auch die Gebührengegner oder Beitragsboykottierer. Aber selbst bürgerliche Politiker, die eine Beschränkung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf eine Grundversorgung und eine Beitragssenkung anstreben, sollten bedenken, in welchem politischen Umfeld sie sich bewegen.

– Da ist sicherlich auch eine Minderheit, darunter auch Opas und Omas, die keinen Humor hat und sich beleidigt fühlt und beklagt, dass so ein „Mist“ im öffentlich-rechtlichen Rundfunk produziert wird. (Ich selbst habe in meinem großelterlichen Umfeld eigentlich nur Menschen getroffen, die sich gefragt haben, ob wir denn keine anderen Probleme hätten.)

– Und weil das Lied von einem Chor mit 9 bis 13-jährigen Mädchen gesungen wurde, passt das so gut in das Schema der Kritiker von „Fridays for Future“, die in dieser Bewegung einen Kampf Jung gegen Alt sehen und kritisieren, dass dort Jugendliche die ältere Generation verunglimpften.

Der umgedichtete Kinderlied-Klassiker war ja schon zuvor, am 9. 11. 2019 über den Hörfunk auf WDR 5 und am 27.12. 2019 über WDR 2 ausgestrahlt. Erst nachdem der Sender das Video der Aufnahme auf seinem Facebook-Kanal verbreitete, erntete das Lied auf Facebook und vor allem auf Twitter Kritik und Empörung.

Schon aufgrund der ersten kritischen Stimmen im Netz wurde der Lied-Beitrag vom zuständigen WDR-Redakteur in voreiliger Ängstlichkeit schon am Abend seiner Ausstrahlung im Internet gelöscht. Was schon deutlich macht, dass das Internet nicht verstanden wurde, denn natürlich ist dieses Lied bis heute im Internet abrufbar. Dabei entwickelte sich erst am Tag darauf ein sog. Shitstorm im Netz. Dadurch wurden offenbar auch Anrufe und offene Briefe echter und gesteuerter Empörung an die Adresse des WDR provoziert. Der Sender distanzierte sich dann zunächst noch von einem freien Mitarbeiter, mehrere WDR-Mitarbeiter erhielten Drohungen und Demonstrationen vor dem Haus eines Journalisten wurden über Videos verbreitet. Der WDR sah sich am nächsten Abend zu einer Sondersendung veranlasst. Es  demonstrierten ein Häuflein aus der rechten Szene (ein Großteil von der „Bruderschaft Deutschland“) und ein Bündnis von „Köln gegen Rechts“ vor dem WDR.

Der Intendant des WDR – derzeit auch ARD-Vorsitzender – meinte, sich im Verlauf der Sondersendung vom Krankenbett seines Vaters „ohne wenn und aber“ entschuldigen zu müssen. Er wurde aufgrund seines Verhaltens auch gegenüber seinen WDR-Mitarbeitern – senderintern und extern – in seiner Funktion als Intendant in Frage gestellt. Politiker wie der Ruprecht Polenz, ein Vertreter der „Union der Mitte“ empörten sich, und selbst der höchste Repräsentant der Landespolitik, Ministerpräsident Armin Laschet, sah sich aufgerufen den Landessender zu kritisieren, zunächst per Twitter, dann über die Presse. Trotz seines vorgeblichen Eintretens für den WDR verschaffte er damit den Protesten von Gegnern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nachträglich noch ihre Legitimation. Jan Böhmermann, eine Gruppe von Satirikern und Journalisten kritisieren den Intendanten scharf.  Mitglieder der WDR-Redakteursvertretung, die Deutsche Umwelthilfe und das Kinderhilfswerk stellen sich hinter den WDR-Chor und kritisieren die Löschung des Videos.

Zur Sache selbst an dieser Stelle nur so viel: Der Song war auch schon seit Generationen ein weit verbreitetes Spaß-Lied, in dem die Omas nicht gerade gut weg kommen. Wer im Hühnerstall Motorrad fährt, hat sie doch nicht mehr alle….

Es gibt andere Lieder, die Gruppen angreifen, und über die sich offenbar niemand öffentlich aufregt, z.B. „Männer sind Schweine“ von der Band die „Ärzte“. Ich wüsste nicht, dass dieser Song im Radio gelöscht worden wäre. Und Rezo hat Recht, wenn er darauf hinweist, dass bisher auch andere Spottlieder unbeanstandet blieben, etwa „Von den blauen Bergen kommen wir“ und dabei „unser Lehrer so doof wie wir“ besungen wird. Oder man denke an das beliebte Kinderlied von der „Weihnachtsbäckerei“ wo ein Kind als „Schwein“ vorkommt. https://www.zeit.de/kultur/2020-01/wdr-oma-umweltsau-lied-social-media-youtube-twitter

Die Affäre zeigt, wie bedenklich, ja bedrohlich die Internetkommunikation zumal über Twitter oder Facebook für eine rationale  öffentlichen Debatte geworden ist. (Siehe dazu ausführlich Wolfgang Lieb, Digitalisierung der Demokratie oder Demokratisierung des Digitalen).  Die öffentliche Aufwallung belegt, wie schnell ein an sich banaler medialer Beitrag, über den man inhaltlich streiten kann, den man gut oder schlecht, überzogen oder satirisch zutreffend finden kann, beleidigend oder ironisch nennen mag, vor allem über die sozialen Medien zu einem Politikum inszeniert werden kann.

„Das ‚Oma-Gate‘ ist ein ganz typisches Beispiel rechter Empörung und Mobilisierung – sowohl, was die Struktur, als auch, was die Themen und Argumente anbelangt“, sagt der Journalist und Autor Patrick Stegemann.

Der Medienexperte Martin Hoffmann hat in einem Twitter-Thread analysiert, wie sich der #Omagate-Shitstorm entwickelte. Von Einzelpersonen schwappte die Empörung zu rechten „influencern“ (was ein Blick auf einzelne Profile belegt hätte) und zu „alternativen Medien“ und danach griffen auch die etablierten Medien die Geschichte auf. In der Online-Szene wurden von den „autoritären Nationalradikalen“ (Wilhelm Heitmeyer) „offene Briefe“ angeboten, Anleitungen zu Beschwerden an den Rundfunkrat verbreitet und Telefonnummern für Protestanrufe angeboten.

Nach einer anderen Twitter-Auswertung des Social-Media-Analysten Luca Hammer twitterten die ersten Accounts schon am Abend der Aussendung des Spottliedes; diese bekamen jedoch kaum Aufmerksamkeit. Erst als der Funke zu reichweitenstarken Accounts, die dem rechten Spektrum zuordenbar sind, übersprang, entwickelte sich ein Shitstorm. Viele Tweets kritisierten die „Instrumentalisierung von Kindern“ und schimpften auf den „Staatsfunk“. Luca Hammer schreibt weiter, dass sich die Empörung schnell verbreitete, bis sie schließlich rechtskonservative Multiplikatoren erreichte und daraufhin auch die ersten Medienberichte erschienen. Die klassischen Medien, die die Empörung aufgriffen, sorgten für weitere Empörungsschleifen.

Hammers Analyse zeigt zwei große Empörungs-Cluster, die sich kaum berühren – sich aber untereinander retweeten und verbreiten. Der Empörung der eher rechten Szene folgte eine Gegenwelle aus dem eher linken politischen Spektrum – bis zum Morgen des 30. Dezember ist die Gesamtzahl der Tweets mit Hashtags wie #Umweltsau oder #Nazisau (so der Hashtag auf eine Gegen-Polemik eines WDR-Jounalisten) auf auf rund 210.000 gestiegen.

Im Facebook-Post vom 12. Januar 2020 bekennt sich daraufhin die Bundes-AfD offen zum Gebührenboykott: „Das Fernsehvolk lässt sich nicht mehr alles bieten. Und das Prinzip des GEZ-Funks ist nicht bis in alle Ewigkeit festgeschrieben. Alle Gegner der gebührenverschlingenden Riesen-Anstalten haben darin einen Verbündeten, der immer größer wird: Die AfD. (…) Das ist unser Versprechen an alle Deutschen: Wir machen Schluss mit GEZ und Meinungsmache. Deutschland braucht einen schlanken, kostenorientiert arbeitenden Rundfunk, der neutral und ohne linksgrüne Scheuklappen berichtet. Und dann schauen wir uns auch mal das Gehalt von Herrn Buhrow an.

Man sollte doch inzwischen wissen, dass hochaktive Accounts (häufig in Verbindung zur politischen Rechten) regelmäßig digitale Shitstorms gegen demokratische Institutionen provozieren. Man hat doch in vielen wissenschaftlichen Untersuchungen nachgewiesen, dass die Orientierung an den Meinungen und Trends auf Twitter Stimmungsbilder suggerieren können, die wenig weder etwas mit der Wirklichkeit noch mit der Meinung in der Gesamtbevölkerung zu tun haben. (Sascha Hölig, Eine meinungsstarke Minderheit als Stimmungsbarometer?!)Es ist doch auch nicht erste Mal, dass trolllastige Kommunikation für echte Empörung gehalten wird. Man erinnere sich doch an die erfundene Vergewaltigung im „Fall Lisa“, der sogar zu diplomatischen Spannungen zwischen Deutschland und Russland führte.

Vor allem die politische Rechte wirft doch im Internet immer wieder Köder aus und wenn dann ein Thema verfängt, dann geht die Jagd los. Zuerst ein Sturm auf Twitter oder Facebook, danach greifen Journalisten die Hashtags als Recherchematerial und angebliche Volkesstimme  auf. (Fast dreiviertel der Journalisten und Kommunikationsexperten in Deutschland (72%) nutzen soziale Medien für ihre Arbeit. Sascha Hölig a.a.O.). Und wenn die klassischen Medien über die angebliche Empörung berichten, sorgen sie damit nur für weitere Empörungsschleifen, auf die dann letztlich auch Politiker einsteigen, wovon wiederum die politisch rechten Hetzer politisches Kapital schlagen.

Zahlreiche Studien konnten doch zeigen, dass sich die Twitter-Hashtags in vielen wichtigen Themen erheblich von der öffentlichen Meinung unterscheiden. Das hängt vor allem damit zusammen, dass der Anteil der Twitter-Nutzer an der Gesamtbevölkerung sehr klein ist und auch die Zusammensetzung der Netzaktivisten nicht dem Bevölkerungsdurchschnitt entspricht. Laut ARD/ZDF-Onlinestudie 2019 nutzen gerade mal 4 Prozent der Gesamtbevölkerung Twitter (6% Männer, Frauen kaum, 14-29-Jährige 6% S. 383 ; Hölig a.a.O. zitiert auch noch ältere Studien mit ähnlichen Befunden) Von den 2 Prozent sind wiederum nur wenige aktiv. Es hat sich allerdings gezeigt, dass ein  Prozent von den sog. „Lead Usern“ 60 Prozent des gesamten Traffics ausmachen können und 10 Prozent von den wenigen aktiven Nutzern 90 Prozent des Hashtag-Aufkommens erzeugen. Diese Minderheit ist also für die „Trending Topics“ bei Twitter verantwortlich. (Dazu ausführlicher Sascha Hölig, a.a.O) Facebook benutzen laut ARD/ZDF-Onlinestudie 2019 zwar 21 Prozent der Gesamtbevölkerung, aber auf diesem Portal setzt  gleichfalls nur ein Bruchteil der User Kommentare zu öffentlichen Angelegenheiten ab.

Aber nicht bloß, dass nur ein kleiner Anteil der Bevölkerung Twitter oder Facebook nutzt und dass ein noch kleinerer Anteil auf den sozialen Medien aktiv ist, alle bisherigen Studien zeigen, dass darüber hinaus die dort aktiven Nutzer sich in ihren Persönlichkeitscharakteristiken und ihren politischen Präferenzen von der Gesamtbevölkerung  deutlich unterscheiden.

Diese Befunde sollte jeder einzelne Nutzer, vor allem sollten aber auch Journalisten, schon gar Intendanten der großen Rundfunksender und deren Berater, aber auch Politiker zur Kenntnis nehmen und sich von Shitstorms nicht ins Bockshorn jagen lassen. Vor allem sollten sie sich nicht zu überhasteten Aussagen und Entscheidungen verführen lassen, die Populisten dazu nutzen, ihr braunes politisches Süppchen zu kochen.

Dass das Leitungspersonal mit Hetze und Hass im Internet wenig souverän, ja sogar fahrlässig umgeht, zeigen auch die Reaktionen des Intendanten des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Wilhelm auf die Angriffe auf einen Moderator dieses Senders und auf dessen Familie.

Wenn im Nachklapp Tom Buhrow mit Betroffenheit fragt „Was ist mit unserem Land los…. Dass ein missglücktes Video zu Morddrohungen führt?“, so zeigt das nur wie wenig souverän, ja geradezu naiv sich die Repräsentanten der klassischen Medien gegenüber der Internetkommunikation immer noch verhalten. Sie haben die Bedrohung der demokratischen Meinungsbildung durch das Internet offenbar noch nicht erkannt. Das dürfte auch der Grund sein, dass es bisher keine angemessene Vorgehensweise auf den Führungsebenen gibt, wie mit Angriffen auf ihre Mitarbeiter umzugehen wäre.

Auch Ministerpräsident Armin Laschet hätte sich mit seiner Kritik per Tweet und Zeitungsartikel vorher fragen können (müssen), wem seine Intervention und sein „Surfen“ auf einer Empörungswelle wohl nutzt bzw. schadet und ob er mit seinem Schüren von Neid auf die „privilegierte Stellung der Redakteure im öffentlich-rechtlichen Rundfunk“  nicht zumindest auch eine wichtige Institution demokratischer Meinungsbildung beschädigt. Kein Wunder, dass die AfD im Düsseldorfer Landtag von der Landesregierung wissen wollte, welche Konsequenzen sie zu ziehen gedenke.

Angela Merkel hatte wohl unfreiwillig Recht: Das Internet ist für eine große Zahl seiner Nutzer, aber offenbar auch für die meisten gesellschaftlichen Verantwortungsträger r immer noch „Neuland“.

Bildquelle: Pixabay, Bild von Gerd Altmann, Pixabay License

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Wolfgang Lieb ist ein deutscher Jurist und Publizist. Nach dem Studium der Politik und Rechtswissenschaften an der FU Berlin, in Bonn und in Köln arbeitete er in der Planungsabteilung des Kanzleramtes in Bonn(Helmut Schmidt war Kanzler), wechselte als Leiter in das Grundsatzreferat der Landesvertretung NRW in Bonn, war Regierungssprecher des Ministerpräsidenten Johannes Rau und Staatssekretär im NRW-Wissenschaftsministerium. Zusammen mit Albrecht Müller war Lieb Mitherausgeber und Autor der politischen Website "NachDenkSeiten" und wurde mit dem Alternativen Medienpreis ausgezeichnet. 2015 gab er seine Mitherausgeberschaft wegen unüberbrückbarer Meinungsdifferenzen mit Müller über die redaktionelle Linie des Blogs auf. Heute arbeitet Wolfgang Lieb als freier Autor.


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