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Ein wenig mehr Gelassenheit

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
31. Dezember 2019
Handschlag

Deutschland, Ende 2019, Anfang 2020. Aufgeregt wirken viele Debatten, die in diesem Land geführt werden, manchmal gerade so, als ginge alles drunter und drüber oder schlimmer noch, als ginge die Welt unter. Deutschland wird gelegentlich in und von den Medien so dargestellt, als sei hier fast alles in Unordnung geraten. Hin und wieder tut es gut, wenn man dabei einen Blick ins Ausland wagt. Egal, wo man hinschaut oder hinfährt, unser Land wird von außen anders gesehen, besser, als wir es wahr haben wollen. Nicht selten hört man den beruhigenden Hinweis: Ihr habt es doch gut. Da ist was dran, was nicht heißt, dass alles gut ist Ende 2019 oder zu Beginn der 2020er Jahre. Aber ein wenig mehr Gelassenheit wünschte man sich schon angesichts des Tons, den wir gelegentlich anschlagen in Diskussionen.

Es ist unbestritten, dass einiges besser werden kann und muss in Deutschland. Da ist die Infrastruktur, da sind die maroden Schulen mit ihren teils mangelhaften hygienischen Einrichtungen, da sind die fehlenden Lehrerinnen und Lehrer, die fehlenden Pflegekräfte in den Krankenhäusern, da sind die kaputten Straßen, der Verkehr überhaupt ist ein Problem, das wir lösen müssen, wollen wir nicht im selbigen und von ihm ausgelösten Umweltschmutz verkommen.

Es gibt Ungleichheiten

Man könnte so einiges aufzählen, aber zur Wahrheit in diesem Land gehört auch, dass genügend Geld da ist, um zum Beispiel zu geringe Renten so aufzustocken, dass man davon in Würde leben  kann. Es ist genügend Geld da, um Kinderarmut entgegenzusteuern. Es gilt einiges zu ändern, keine Frage, Professor Butterwegge stimme ich ausdrücklich zu, wenn er Ungleichheiten beklagt, Armut hier und Armut da, wenn er den Finger in die Wunde legt und darauf hinweist, dass die Schere zwischen den wenigen  da oben und den Millionen da unten weiter auseinandergeht. Der Kölner Armutsforscher hat sich dazu auch in unserem Blog-der-Republik geäußert. Seine von ihm zu Recht beklagten Missstände müssen abgestellt werden.

Aber, um das gleich hinzuzufügen, hier ist nicht die Dritte Welt, dieses Land ist weder zerrüttet noch unregierbar. Deutschland ist eines der reichsten und wirtschaftlich blühendsten Länder der Welt. Vergessen wir das nicht, wenn irgendwelche Untergangsszenarien an die Wand gemalt werden und so getan wird, als herrsche hier das große Elend vor. Weder legt der Sozialstaat unser System lahm, noch droht unserem Land durch zuviele Flüchtlinge eine Art Umvolkung, wie es die rechten Verschwörer aus dem Dunstkreis der AfD ihren Anhängern weißmachen wollen. Unser System- so heißt das in ihrer Sprache- ist besser als der von den Rechten ihm nachgesagten Ruf.

Nicht alles schlechtreden

„German Angst“ haben Briten und Amerikaner schon vor Jahrzehnten  das genannt, was man auch mit übertriebener Jammerei bezeichnen kann. Es wird geklagt und genörgelt über die Politik, was sie angeblich alles falsch gemacht oder was sie unterlassen habe. Natürlich macht die Politik, egal, wer sie gestaltet, Fehler. Das ist menschlich. Aber die Medien sollten gelegentlich darüber nachdenken, ob sie nicht hin und wieder allzugern überziehen. Das heißt nicht, alles gut zu finden, was in Berlin beschlossen und verkündet wird, aber wir sollten auch nicht alles schlechtreden.

Soldarität ist gefragt, mehr soziale Gerechtigkeit ein Gebot der Stunde. Begriffe, wie sie im Stammbuch der Sozialdemokratie stehen. Von nötiger Umverteilung ist die Rede. Es kann ja wohl nicht so bleiben, dass 30 bis 40 reiche Deutsche-damit sind in jedem Einzelfall Milliarden Vermögen gemeint- mehr haben als 40 Millionen andere Deutsche. Da will die neue SPD-Führung eine Reform der Erbschaftssteuer, auch die Vermögensteuer soll wieder aktiviert werden. Für die Milliardäre wären das Peanuts, die sie für die Gemeinschaft zusätzlich zu leisten hätten. Sie würden nicht darben, sondern die starken Schultern würden ein wenig stärker belastet werden als die schwachen. Mehr Gelassenheit müsste man in diesem Zusammenhang auch den Vermögenden empfehlen, zum Beispiel einem Hasso Plattner, der angesichts der Debatte über eine Vermögensteuer betont hatte, dann müsse er auswandern. Plattner ist SAP-Chef, Milliardär, sein Vermögen wird auf knapp 16 Milliarden Euro geschätzt.

Wenn wir schon bei der SPD sind, sollten wir auch dies nicht vergessen: diese Partei hat eine bewegende Geschichte vorzuweisen, sie hat Bismarck überlebt und sein Sozialistengesetz, den Kaiser, der sie nicht mochte, sie hat unter Hitler gelitten und den braunen Diktator überlebt, die Kommunisten haben die SPD verboten mit der Folge, dass die SPD auch diese Diktatur überstand. Und die SPD hat vieles erreicht nach dem Krieg, auf das sie stolz sein kann. „Mein Gott“, so hat sich der frühere SPD-Partei- und Fraktionschef Hans-Jochen Vogel mal ausgelassen, „wir haben doch eine beispiellose Geschichte hinter uns“. Vogel, Bundesminister unter den SPD-Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt, Oberbürgermeister von München, Regierender von Berlin, reagierte auf Fragen nach der misslichen Lage seiner Partei.

Mosern und nörgeln

Ja, die SPD stand sich und steht sich oft selber im Weg.  Wenn sie regiert, opponiert sie gern gegen ihre eigene Regierung, nie kann es ihren Mitgliedern ein SPD-Kanzler, Minister oder Vorsitzender recht machen. Sie sind Meister darin, sich und das Land schlecht zu reden. Auch jetzt wieder, da sie zum wiederholten mal mit der CDU-Kanzlerin Angela Merkel regiert. Die Bilanz ist eigentlich-muss man sagen-nicht schlecht: Mindestlohn, Kurzarbeitergeld, Kita-Gesetz, Grundrente. Aber all das reicht der SPD und ihren Freunden nicht, es wird genörgelt und gemosert über das Jammertal, indem sich angeblich dieses Land befindet. Was mit der Realität der Lage nicht übereinstimmt, aber der Gesinnung und der Stimmung vieler Genossen entspricht. Sie würden am liebsten diese Groko genannte Koalition verlassen. Fragt man sie, was sie davon hätten, bekommt man Schulterzucken.

Im kommenden Monat Mai werden es 75 Jahre her sein, dass der schlimmste aller Kriege zu Ende ging und mit ihm die braune Diktatur, die weite Teile Europas verwüstet und Millionen Menschen das Leben gekostet hatte. Was dann folgte, nannte man das Wirtschaftswunder, das immer noch anhält, auch wenn es in einigen Regionen Probleme wegen des Strukturwandels gibt, darunter im Ruhrgebiet nach dem Ende der Kohle- Ära. Da ist vieles zu tun, damit die Region nicht absäuft. Die Politik muss sich gerade dort mehr kümmern um die Menschen, ihnen eine Perspektive geben, Hoffnung auf eine Zukunft für sich und die Kinder. Die Politik muss handeln, nicht nur reden. Sie sollte nicht nur darüber reden, dass den Städten an der Ruhr die Schulden abgenommen werden, die auch aufgelaufen sind in den Jahrzehnten von Kohle und Stahl, als die Revier-Städte mit ihrer Industrie darüber sorgten, dass die Republik mit Energie versorgt wurde, um nicht zu frieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Das galt im Übrigen auch für Bayern.

Das beste System

75 Jahre nach dem Krieg hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mehrfach gemahnt, wir müssten uns mehr um unsere Demokratie kümmern, nichts ist selbstverständlich, nichts dauert ewig, wenn man nicht aufpasst. Wir müssen die Errungenschaften, die unsere Mütter und Väter hinterlassen haben, nämlich das Grundgesetz mit  Meinungs- und Pressefreiheit, Errungenschaften wie unsere soziale Marktwirtschaft verteidigen gegen die Gegner, die ich die Feinde des Systems nenne, des besten, das Deutschland je hatte. Das gilt gerade in der jetzigen Zeit, da sich überall auf der Welt nationalistische Kräfte breit machen, wie in Amerika, aber auch in England, in Polen, in Ungarn, auch in Deutschland und nationalistische Entwicklungen haben der Welt noch nie Gutes gebracht. America first, der Spruch von Trump ist falsch und zeugt von Egoismus, der in der globalisierten Welt nichts zu suchen hat. Das macht gerade der Klimawandel deutlich, der vor keiner Grenze Halt macht. Wir leben in einer Welt, auf einem Planeten.

Der frühere Bundespräsident und langjährige NRW-Ministerpräsident Johannes Rau hat einmal gesagt: Wir müssten aufeinander achten und einander achten. Das ist es, was die Gesellschaft zusammenhält. Dazu zählt, Rücksicht zu nehmen auf andere, auf Schwächere, auf Kranke, anderen zu helfen. Rücksicht walten zu lassen und nicht die Ellenbogen auszufahren. Oder wie es der Dreiklang besagt, der unser System geprägt hat: die Jungen helfen den Alten, die Gesunden den Kranken, die Starken den Schwachen.

Bildquelle: Pixabay, Bild von Gerd Altmann (geralt), Pixabay License

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Tags: DemokratieDiskursGelassenheitGesundheitspolitikInfrastrukturJahresrückblickKritikPolitikfelderSozialpolitiküberzogene Kritik
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Comments 1

  1. Kai Ruhsert says:
    6 Jahren ago

    „Aber all das reicht der SPD und ihren Freunden nicht, es wird genörgelt und gemosert über das Jammertal, indem sich angeblich dieses Land befindet. Was mit der Realität der Lage nicht übereinstimmt, aber der Gesinnung und der Stimmung vieler Genossen entspricht.“

    Da stellt sich doch die Frage, wessen Wahrnehmung mit der tatsächlichen Lage nicht übereinstimmt. Correctiv.org hat einen Faktencheck vorgenommen: „Es lässt sich also festhalten, dass auch das tatsächliche Rentenniveau (vor Steuern) in Deutschland mit 48,2 Prozent niedriger ist als die Bruttoersatzrate in Österreich (66,4 Prozent).“
    Der Unterschied ist beachtlich, finden Sie nicht?
    Auf diese Ruine einer Rentenpolitik wurde nun nachträglich ein Flicken mit der Bezeichnung „Grundrente“ draufgepappt. Glauben Sie wirklich, dass dies genügt, um jene zu besänftigen,welche die Folgen der von der SPD zu verantwortenden Teilprivatisierung der Altersvorsorge bis an ihr Lebensende werden ertragen müssen?
    Kann es sein, dass die SPD sich nun endlich vernünftigerweise genau dieser Sorgen annimmt und den eigenen Fehlern stellt?

    Antworten

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