Fast niemand kennt bisher diese Frau. Dabei hätte sie unbedingt das Zeug dazu, eine protestantische Ikone des 20. Jahrhunderts zu werden. Erst 1999 wurde enthüllt, dass sie es war, die 1935/ 36 mit ihrer inzwischen berühmten (anonymen) Denkschrift gegen die Judenverfolgung ein aufrüttelndes Manifest gegen nationalsozialistische Willkür, Verfolgung und Gewalt verfasste. Und buchstäblich niemand sah die heraufziehenden nationalsozialistischen Schreckensdinge so scharf und klar wie Schmitz, etwa in ihrem Briefwechsel mit dem Dahlemer Bekenntnispfarrer Helmut Gollwitzer im Schatten der Kristallnacht vom November 1938: „Wir haben die Vernichtung des Eigentums erlebt, zu diesem Zweck hatte man im Sommer die Geschäfte bezeichnet. Geht man dazu über, die Menschen zu bezeichnen, so liegt ein Schluss nah, den ich nicht weiter präzisieren möchte. Und niemand wird behaupten wollen, dass diese Befehle nicht ebenso prompt, ebenso gewissenlos und stur, ebenso böse und sadistisch ausgeführt würden wie die jetzigen. Darf die Kirche das zulassen? Ich bin überzeugt, dass – sollte es dahin kommen – mit dem letzten Juden auch das Christentum aus Deutschland verschwindet.“
Schmitz, die promovierte Historikerin und Theologin, bis 1943 Studienrätin in Berlin, von Adolf von Harnack und Friedrich Meinecke entscheidend geprägt, debattierte in den 1930er Jahren auf gleicher Augenhöhe, kritisch und stets vorantreibend, mit den großen Theologen und Kirchenmännern der Zeit (etwa Karl Barth, Martin Niemöller, Walter Künneth, Helmut Gollwitzer u.v.a.), sie übte scharfe Kritik an der behäbigen, ängstlichen, zumeist schweigenden Bekennenden Kirche (BK), sie wirkte in subversiven Vernetzungen mit anderen mutigen Frauen gegen das Regime, sie leistete praktische Überlebenshilfe für Juden und andere „nichtarische“ Verfolgte bei höchstem persönlichen Risiko. Ihr konsequentes Denken, ihr wertebestimmtes, allgemeinen Menschenrechten verpflichtetes Ethos in kulturprotestantischer Tradition zeigt: eine andere Theologie, auch eine andere Kirche als diejenige der angepassten, in antijudaistischer Theologie befangene der Bekennenden Kirche war möglich, ebenso wie ein praktischer, humanistisch und christlich motivierter Rettungswiderstand.
Die späte Entdeckung und gedenkpolitisch angemessene Würdigung dieser herausragenden Persönlichkeit wird das Bild vom deutschen Protestantismus im 20. Jahrhundert erheblich revidieren und aufzeigen, was eine engagierte protestantische Kirche hätte tun sollen und tun können, wenn sie auf Persönlichkeiten wie Elisabeth Schmitz gehört hätte. Aber die vielen Anregungen und Vorschläge dieser Frau blieben in der Männerkirche unerhört. Zur längst überfälligen historisch-literarischen Denkmalenthüllung gehört ebenso die Untersuchung des rätselhaften Verschweigens der Schmitzschen Lebensleistung in der Nachkriegszeit sowie die vollständige kirchliche und allgemeine Anerkennungsverweigerung seit Jahrzehnten.
Insbesondere in Kreisen des deutschen und internationalen Protestantismus, aber auch in Kreisen der Frauenbewegung und des Feminismus, gerade auch unter religiös gestimmten und kirchlich aktiven weiblichen Lesern, wird eine so schmählich vergessene, verschwiegene Persönlichkeit des deutschen Protestantismus des 20. Jahrhunderts auf Zustimmung stoßen. Man hat lange Zeit auf eine Bonhoeffer ebenbürtige „Schwester“ gewartet – hier ist sie.
Dokumentation:
(1) Elisabeth Schmitz (1935): Denkschrift Zur Lage der deutschen Nichtariern.
(2) Elisabeth Schmitz Brief vom 24. 11. 1938 an Pfarrer Helmut Gollwitzer in Berlin-Dahlem
Zum Autor: Prof. Dr. Manfred Gailus lehrt Neuere Geschichte am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. Er hat zahlreiche Bücher und Aufsätze über die Geschichte des Protestantismus seit dem Kaiserreich verfasst.
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