Nein, um den Fußball geht es in der Causa Özil/Erdogan nicht mehr. Die Sache ist zum Politikum geworden. Deutschland sei ein weltoffenes Land, betonte der stellvertretende Regierungssprecher Demmer in Berlin. Und Demmer fügte hinzu, Kanzlerin Angela Merkel schätze Mesut Özil sehr, er sei ein toller Fußballspieler. Den Rücktritt von Özil aus der deutschen Nationalmannschaft solle man respektieren, kommentieren wollte das der Sprecher nicht. Und Merkel wohl auch nicht. Der Skandal ist ohnehin da. „Ich werde nicht mehr länger für Deutschland auf internationalem Niveau spielen, so lange ich das Gefühl habe, rassistisch angefeindet und nicht respektiert zu werden.“ Ein Rücktritt aus Gründen des Rassismus. Wenn Özils Vorwurf an die Adresse von DFB-Präsident Reinhard Grindel stimmt-„Ich weiß, dass er mich aus dem Team haben wollte“- wird die Luft dünn für den früheren CDU-Bundestagsabgeordneten.
Integration, Migration, Einwanderung. Das ist das Thema, das die Republik umtreibt. Und bisher galt, dass der Fußball eine sehr starke integrierende Wirkung habe, dass er Schranken abbaue und Migranten erleichtere, in Deutschland Fuß zu fassen. Und nun kommt Özil, ein großes Vorbild für Tausende und Abertausende junger türkisch- stämmiger Deutscher, mit seinen Vorwürfen an Grindel daher. „Die Behandlung, die mir durch den DFB widerfahren ist, führt dazu, dass ich das deutsche Trikot nicht mehr tragen werde.“ Und. „Ich fühle mich ungewollt.“ Und ferner: „In seinen Augen bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, und ein Einwanderer, wenn wir verlieren.“ Özil will nicht länger „als Sündenbock dienen für seine Inkompetenz“. Gemeint der DFB-Präsident. Grindel hatte nach dem desaströsen Scheitern der deutschen Nationalmannschaft bei der WM in Russland eine Analyse der Fehler angemahnt und erklärt, man müsse „schauen, ob Joachim Löw weiter mit ihm plant.“ Gemeint Özil.
Erdogan ist kein Demokrat
Dass Özil sich endlich geäußert hat, zwei Monate nach dem umstrittenen Foto mit dem türkischen Despoten Erdogan, war lange fällig. Anders als Gündogan, der sich auch mit Erdogan mitten im türkischen Wahlkampf gezeigt hatte, hat sich Özil aber nicht entschuldigt. Er würde es wieder tun, posieren mit einem Autokraten, der die Menschenrechte beinahe täglich mit Füßen treten, der Kritiker einsperren lässt in den Knast, der die Todesstrafe wieder einführen lassen will. Özil will es aus Respekt vor dem Amt des türkischen Präsidenten getan haben, weil er ja türkische Wurzeln habe. Im übrigen habe er mit Erdogan nur über Fußball gesprochen, nicht über Politik. Da muss man schon sehr naiv sein, wenn man der Welt erzählen will, dass dieses öffentliche Demonstrieren, dieses Nebeneinanderstehen eines international bekannten Fußballers mit einem türkischen Politiker, der alles andere als ein Demokrat ist, mit Politik nichts zu tun habe. Erdogan muss man nun wirklich nicht huldigen.
Die Kritik an seinem Verhalten bleibt, sie hat auch keinen rassistischen Hintergrund, Auch der Grünen-Politiker Cem Özdemir, auch ein Zeitgenosse mit türkischen Wurzeln, hält an seiner Kritik gegenüber Özils Werbefoto mit und für Erdogan fest. Das ist die eine Seite der Medaille, die andere ist die rassistische, sind die Vorwürfe Özils in Richtung DFB-Präsident Grindel. Es geht nicht an, dass Migranten sich in Deutschland als Menschen zweiter Klasse fühlen.
Dass einer wie Uli Hoeneß, Präsident des FC Bayern, über Özil herfällt, weil der seine „Mist-Leistung“ hinter dem Erdogan-Foto verstecke, geht nun völlig an der Realität vorbei. „Ich bin froh, dass der Spuk vorbei ist“, polterte der Bayern-Chef. „Der hat seit Jahren einen Dreck gespielt und den letzten Zweikampf hat er vor der WM 2014 gewonnen.“ Daneben, Herr Präsident. Özil war ein Klasse-Spieler mit 92 Länderspielen, 23 Toren und 40 Vorlagen, die zu Toren führten. Eher erweckt Hoeneß den Eindruck, als wolle die schwachen Leistungen seiner Bayern-Spieler wie Thomas Müller während der WM mit seiner Kritik an Özil vergessen machen. Da trifft der ehemalige DFB-Sprecher Stenger eher den Nagel auf den Kopf. „Grindel war und ist der schlechteste DFB-Präsident, den ich je erlebt habe.“ Für Stenger ist Grindel an der Spitze des größten Fußball-Verbandes der Welt nicht mehr tragbar. Stenger vermutet, dass sich Grindel vorerst halten wird, dass er kämpfen werde. Im Moment könnte ein Rücktritt Grindels den DFB in noch größere Schwierigkeiten bringen.
Denn es steht an die letzte Runde um die Vergabe der Euro 2024. In den nächsten Wochen entscheidet sich, ob Deutschland Ausrichter der Euro 2024 wird oder die Türkei. Bis vor kurzem galt Deutschland als klarer Favorit, aber mit den Rassismus-Vorwürfen Özils an die Adresse der DFB-Spitze könnte die Werbekampagne für den Zuschlag der Europameisterschaft ein Schlag ins Wasser werden. Erdogan würde sich die Hände reiben.
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