Klara Geywitz - Bild: Thomas Imo - Photothek

Feiern oder Meckern? Gastbeitrag von Klara Geywitz

Fast alle Deutschen können sich erinnern, was sie am 9. November 89 gemacht haben. Es war einer der emotionalsten Momente der jüngeren deutschen Geschichte. Kein Jahr später trat am 3. Oktober ’90 der Einigungsvertrag in Kraft – der Tag der Deutschen Einheit. Wissen Sie noch, was Sie da gemacht haben? Wahrscheinlich nicht. Binnen eines Jahres ist aus der Euphorie des Mauerfalls die Ernüchterung des Transformationsprozesses geworden. Die Vertragsverhandlungen zwischen der frei gewählten DDR-Regierung und der Kohl-Administration waren vom Westen dominiert, das böse Wort von der Laienspielertruppe schallte aus München schmerzhaft in Richtung Osten.

Und auch heute wissen viele nicht, ob sie am 3. Oktober lieber feiern oder meckern sollten. Ich bin ganz klar für feiern.

Die Zeit der friedlichen Revolution war eine Sternstunde in der deutschen Geschichte. Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten waren ein Teil dieser mutigen Bewegung. Die Gründung der ostdeutschen SDP entzog dem Allmachtsanspruch der SED die Grundlage. Ich bewundere immer noch die Chuzpe dieser (meist) Pfarrer, die ausgerechnet in einer Diktatur der herrschenden Partei auf die Idee kamen, nicht etwa ein Forum oder ähnliches zu gründen, sondern – eine Partei. Aber eine ganz andere. Glasklar erkennend, dass zu einer parlamentarischen Demokratie Parteien und ihr Wettbewerb gehören.

Und erstaunlich ist auch, wie die frühen Gründer angesichts der Umweltkatastrophen in der DDR schon sehr früh und stark auf eine ökologische Wende setzen. Die vielen Naturparks und Biosphärenreservate sind eines der größten Geschenke der deutschen Einheit, von Projekten wie der Renaturierung der Havel lernen heute auch andere Bundesländer, die ihren Flüssen wieder Raum geben wollen.

Härten und Enttäuschungen

Aber 1990 markiert auch einen schwierigen wirtschaftlichen Umbruch für viele DDR-Bürgerinnen und Bürger. Die meisten nutzten die neuen Möglichkeiten und fanden mit Härten und Enttäuschungen den Weg in die neue Gesellschaft. Manche freundeten sich nie so richtig mit dem neuen System an und einige sind daran zerbrochen. Häufig kumuliert diese Analyse in der Feststellung, im Osten hat sich durch die Wiedervereinigung alles geändert, im Westen gar nichts.

Ich halte das mindestens im zweiten Teil für nicht richtig. Der Osten hat die Republik nachhaltig geändert. Und besonders für die Frauen. Wenn Kinderbetreuung östlich der Elbe geht, war den Eltern im Westen nicht länger zu erklären, warum das dort unmöglich sein soll. Eine ganze Reihe von sozialdemokratischen Familienministerinnen hat dafür gesorgt, dass das ostdeutsche System der Ganztagsbetreuung in Krippe, Kindergarten und Hort auch den Weg in den Westen fand. Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in der Arbeitswelt hat seit der Wiedervereinigung im Westen einen Quantensprung gemacht. Und ob es eine Einigung zum Schwangerschaftsabbruch ohne die Ostfrauen gegeben hätte, ist fraglich.

Ostdeutsche können stolz sein

Grund genug eigentlich für die Ostdeutschen, auch mit Stolz auf dieses gemeinsame, geeinte Land zu schauen. Aber in den meisten Familien in Ostdeutschland findet man neben der Freude über die neuen Freiheiten auch viel Frust. Prägten doch Arbeitslosigkeit und Abwanderung die Zeit nach der Wiedervereinigung. Und immer noch vermissen viele Ostdeutsche die Anerkennung ihrer Lebensleistung im vereinigten Deutschland. Vielleicht ist der 30.Jahrestag eine gute Zeit, für eine kritische Bilanz des Vereinigungsprozesses, der Fehler offen benennt, ohne für alle Probleme dem Westen die Schuld zu geben. Und eine Bilanz, die zeigt, was alles erreicht wurde. Die ostdeutsche Gesellschaft hat die härteste Zeit hinter sich. Und das merkt man. Die jüngere Generation artikuliert ihre Forderungen und macht sie sichtbar. Sei es im Bereich des Klimaschutzes oder auf dem Arbeitsmarkt. Sie tritt selbstbewusster auf, auch gegenüber ihren Arbeitgebern. Sie hat die Macht, einen „Arbeitnehmerfrühling“ im Osten anzustoßen, um für höhere Löhne und Mitbestimmung zu kämpfen. Dies ist ein Kampf, den ihre Eltern und Großeltern aus Angst vor drohender oder tatsächlich erlebter Arbeitslosigkeit selten geführt haben. Bei diesem Aufbruch der ostdeutschen Gesellschaft muss die SPD der natürliche Partner aller sein, die für bessere Löhne und Tarifbindung kämpfen.

Nächstes Jahr finden vier ostdeutsche Landtagswahlen statt und natürlich die Bundestagswahl. Der Kampf gegen die rechten Populisten wird sehr über die Zukunft der ostdeutschen Demokratie entscheiden. Wir müssen die Feinde der Demokratie bekämpfen. Dafür müssen wir zeigen, dass wir einen Plan haben. Einen Plan, wie wir zu gleichwertigen Lebensverhältnissen in ganz Deutschland kommen. Eine Antwort darauf, wie wir ländliche Regionen nicht von der Digitalisierung abhängen. Ein klares Ja auf die Frage geben, ob es Deinen Kindern mal besser gehen wird als Dir und ein klares Nein auf die Frage, ob die Gesundheitsversorgung vom Wohnort abhängt.

SPD Teil der friedlichen Revolution

Die SPD und die Ostdeutschen, das passt. Lassen wir uns nicht einreden, dass Helmut Kohl die deutsche Einheit gemacht hat.

Willy Brandt hat mit seiner Ostpolitik die ersten Löcher in den Eisernen Vorhang geschlagen, die Gründer der SDP waren Teil der friedlichen Revolution und wir können stolz auf sie sein. Die heutige ostdeutsche Sozialdemokratie ist an allen Landesregierungen beteiligt und stellt mit Dietmar Woidke und Manuela Schwesig zwei herausragende Regierungschefs.

Nächstes Jahr entscheidet sich viel für die ostdeutsche Gesellschaft. Die Sozialdemokratie kann dafür sorgen, dass spätestens am 40. Jahrestag der deutschen Einheit ganz klar mehr gefeiert als gemeckert wird.

Bild: Thomas Imo – Photothek

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