Heinz Langerhans wurde 1904 in Berlin-Köpenick geboren. Sein Vater war der legendäre Bürgermeister, mit dem der „Hauptmann von Köpenick“ seinen Schabernack treibt. Obwohl aus bürgerlichem Hause stammend, trat er 1922 spontan der „Kommunistischen Jugend“ bei. Anlass war die gewaltsame Niederschlagung einer Arbeiter-Demonstration, deren Zeuge er war. Er empörte sich darüber.
Er studierte Architektur an der Technischen Hochschule Berlin und anschließend Sozialwissenschaften und Geschichte an der Berliner Universität. 1926 wurde er – gemeinsam mit der Gruppe um Karl Korsch – wegen „Linksabweichung“ aus der KPD ausgeschlossen. 1927 immatrikulierte er sich an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Frankfurter Universität. 1931 promovierte er bei Max Horkheimer und Karl Mannheim über das Thema „Partei und Gewerkschaft“. Anschließend kehrte er nach Berlin zurück und wurde Mitglied der SPD, für die er politisch aktiv arbeitete. 1933 wurde er von der Gestapo wegen „Bildung einer Widerstandsgruppe“ verhaftet. Tatsache war, dass er zu einer Gruppe von acht bis zehn Leuten gehörte, die nicht vor Hitler kapitulieren wollte. Zu diesem Zweck gab man eine Zeitschrift namens „Die Initiative“ heraus. Auflage ca. 2.000 Exemplare. Darin warnte die Gruppe bereits früh vor dem nächsten Krieg. Beim Druck der Zeitschrift in seiner Wohnung wurden sie auf frischer Tat ertappt. Sie waren verraten worden.
Langerhans wurde wegen Landesverrat angeklagt. Mit Hilfe einer List, bei der der im dänischen Exil lebende Karl Korsch half, gelang es nachzuweisen, dass alle militärischen Daten, die in der Zeitschrift erwähnt wurden, bereits im Ausland veröffentlicht worden waren. Politische Freunde hatten zu diesem Zweck das gefälschte Exemplar einer gar nicht existierenden dänischen Zeitschrift gedruckt und nach Deutschland eingeschmuggelt, so dass der Verteidiger von Langerhans damit vor Gericht aufwarten konnte. Aus dem Landesverrat wurde nunmehr ein Hochverrat. Das hieß: es gab „nur“ drei Jahre Zuchthaus. Nach seiner Entlassung stand jedoch – wie in solchen Fällen üblich – die Polizei vor dem Zuchthaus und verhaftete ihn erneut. Die Gestapo brachte ihn daraufhin ins KZ Sachsenhausen, wo er bis zum 20. April 1939 (Hitlers 50. Geburtstag) bleiben musste. Durch Zufall gehörte er zu den 2.000 politischen Häftlingen des KZs, die von einer Amnestie anlässlich des Geburtstages von Hitler profitierten. Da er in Deutschland ständig Gefahr lief, erneut verhaftet zu werden und als „Rückfalltäter“ keinerlei Überlebenschancen besessen hätte, floh er mit falschem Pass nach Belgien. Geholfen haben ihm Fritz Pollock (ein Mitglied des Frankfurter Instituts für Sozialforschung) und Rudolf Hilferding (ehemaliger sozialdemokratischer Finanzminister der Weimarer Republik und Verfasser des Werkes „Das Finanzkapital“). Als schließlich die deutschen Truppen in Belgien einmarschierten, wurde Langerhans erneut interniert und nach Südfrankreich deportiert. Mitglieder des Frankfurter Instituts und Karl Korsch bemühten sich um ein Ausreisevisum in die USA. Wegen der scharfen Einreisebestimmungen gelang es Langerhans nur über Umwege, in die USA zu kommen. Von Marseille aus gelangte er buchstäblich mit dem letzten Schiff nach Martinique. In seiner Reisebegleitung befanden sich interessante Leute: Victor Serge, ein führender Trotzkist; Anna Seghers, die deutsche Dichterin und André Breton, der französische Surrealist. Während der Schiffsreise habe Breton mit ihnen „surrealistische Fragespiele“ veranstaltet, erzählte uns Langerhans.
1941 kam Langerhans endlich in New York an – empfangen von einem gewissen Dr. Felix Weil, der das Institut für Sozialforschung gegründet und finanziert hat. Langerhans ging nach Boston, wo Korsch lebte, belegte Kurse an der Harvard Universität und bekam schließlich eine Professur am Gettysburg College.
1956 kehrte er nach Deutschland zurück. Während die alten Nazis längst schon wieder an den Schaltstellen in Justiz, Ministerien und Universitäten saßen, hatte Langerhans große Schwierigkeiten, wieder Fuß zu fassen. Er hielt sich mit Projekten über Wasser. Bis 1959 teilte er sich mit Ralf Dahrendorf ein Arbeitszimmer an der Uni Saarbrücken; dann folgte eine Gastprofessur in Ostpakistan (Dacca) und 1963 kam er von dort zurück nach Saarbrücken. Schließlich erhielt er 1966 einen Lehrstuhl für Politische Wissenschaften an der Universität Gießen, den er bis zu seiner Emeritierung 1972 innehatte.
Aus dieser Zeit stammt unsere Bekanntschaft. Das letzte Seminar, das Langerhans in Gießen veranstaltete, galt seinem Lehrer und Freund Karl Korsch. Anders als in der bundesrepublikanischen Rezeption Korschs üblich, sah Langerhans in Korsch weniger den Philosophen, als vielmehr den politischen Aktivisten, dem es um die theoretische Klärung der Voraussetzungen von Praxis ging. Dieses Seminar, an dem auch Auswärtige teilnahmen (wie etwa Michael Buckmiller, heute Soziologie-Professor und Herausgeber der Korsch-Gesamtwerke), gehörte zu den interessantesten Seminaren, die ich absolviert habe. Mir wurde u.a. klar, dass für die Generation, zu der Langerhans gehörte, die Klärung theoretischer Positionen buchstäblich eine Frage auf „Leben oder Tod“ bedeutete. Eine derartige Ernsthaftigkeit, ja Besessenheit im Umgang mit Theorie hatte ich bis dato noch nicht erlebt. In unserer Studentengeneration konnte man im Gegenteil oft den Eindruck gewinnen, dass für viele das Theoretisieren nur Selbstzweck gewesen ist.
Langerhans siedelte nach seiner Emeritierung nach Frankfurt/M. über und bezog im Westend, dort, wo er als Student schon einmal gelebt hatte, eine kleine Wohnung. Ein verhängnisvoller Fehler, wie sich zeigen sollte. Seine Vorstellung, er könne gewissermaßen noch einmal an die 20er Jahre anknüpfen und alte Bekanntschaften aktivieren, erwies sich als Fehlschluss. Zwar wohnten Wolfgang Abendroth und Arkadij Gurland (neben Rosa Luxemburg einer der Mitbegründer des Spartakusbundes) in der Nähe. Aber beide waren alt und hinfällig. Abendroth war 1928 gemeinsam mit der Thalheimer-Gruppe ebenfalls aus der KPD ausgeschlossen worden; allerdings wegen „Rechtsabweichung“. Jetzt trafen sie wieder aufeinander und stritten schon nach kurzer Zeit wieder heftig. Sie kämpften die alten Kämpfe wohl noch immer.
Langerhans versuchte, in der Frankfurter SPD Kontakte zu knüpfen, was sich aber als sehr schwierig erwies. Er war zunehmend isoliert und vereinsamte schließlich immer mehr.
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Was haben wir von ihm gelernt? Zunächst einen völlig unverkrampften Umgang mit Theorie. Langerhans konnte die schwierigsten Zusammenhänge einfach und klar formulieren. Während man sich an der Universität in den Seminaren zunehmend nebulös ausdrückte und man den Eindruck gewann, „je abstrakter desto besser“, sprach er stets so, dass man ihn verstand. Oder er forderte uns auf, zu fragen, wenn wir etwas nicht verstanden hatten. Dann erklärte er geduldig.
Ich erinnere mich an eine Charakterisierung des Lukács’schen Denkens durch Langerhans. Wir plagten uns Anfang der 70er Jahre in einem philosophischen Hauptseminar mit einem Referat über „Geschichte und Klassenbewusstsein“. Lukacs definiert dort das Klassenbewusstsein unter Zuhilfenahme der Kategorie der „objektiven Möglichkeit“. Dort heißt es: „Indem das Bewusstsein auf das Ganze der Gesellschaft bezogen wird, werden jene Gedanken, Empfindungen usw. erkannt, die die Menschen in einer bestimmten Lebenslage haben würden, wenn sie diese Lage, die sich aus ihr heraus ergebenden Interessen sowohl in Bezug auf das unmittelbare Handeln, wie auf den – diesen Interessen gemäßen – Aufbau der ganzen Gesellschaft vollkommen zu erfassen fähig wären “ .
Wir fanden Lukács’ Erklärung defizitär, da dieser die Voraussetzungen von Klassenbewusstsein nur im „Konjunktiv“ geklärt hatte, womit er sich der eigentlichen Problematik, wie Klassenbewusstsein entsteht, entzog. Langerhans hörte sich das alles geduldig an, um dann lapidar zu antworten: „Nun ja, dem Lukács passt halt die Wirklichkeit nicht“. Das war sein ganzer und abschließender Kommentar zur Problematik, über die wir uns so sehr ereifert hatten.
Wenn es um politische Zusammenhänge ging und man nicht seiner Meinung war, konnte er heftig werden. Dann kannte er keine Freunde mehr. Politische Diskussionen waren keine Spielerei für ihn. Zu tief saßen noch die Erfahrungen und Entbehrungen, die er auf sich genommen hatte. Das hatten wir zu akzeptieren.
Langerhans lehrte uns, nicht zu viel Respekt vor großen Denkern zu haben. Beispielsweise vor Adorno. Anlässlich der Lektüre von Bert Brechts „Tui-Roman“-Fragment fragten wir ihn nach seinen Erfahrungen mit den führenden Leuten des Frankfurter Instituts für Sozialforschung. (Brecht hatte bekanntlich u.a. Figuren des Instituts zum „Vorbild“ für seinen Roman genommen).
Daraufhin nannte Langerhans Th. W. Adorno, vor dem wir eine enorme Hochachtung hatten, einen „gnadenlosen Propheten“, einen „Denker ohne Leib“. Wir glaubten nicht recht zu hören. Er begründete dies so: Adorno sorge sich „im Zeitalter der Gleichmacherei“ infolge des Faschismus und Bolschewismus vor allem um den Fortbestand der Kultur. Ob man Beethoven nach dieser Zeit noch genauso hören könne wie vorher. Ob man nach Auschwitz noch Gedichte schreiben könne – das seien die Fragen, die Adorno bewegt hätten. Nicht so sehr das Schicksal der Arbeiterbewegung. Mit dem „gnadenlosen Propheten“ meine er, dass Adorno nur die Alternative „Brave New World“ oder „1984“ gelten ließ. Seine „Dialektik der Aufklärung“ könne den „Fortschritt nur als ständigen Rückschritt“ fassen. Für den politischen Denker Langerhans war dies eine nicht akzeptable Theorie. Damit ließe sich auf Dauer nicht leben.
Langerhans kannte die führenden Leute des Instituts persönlich. In Horkheimer sah er eine Art „gütigen Hausvater“. Gemeinsam mit Walter Benjamin u.a. wurde er in den 20er Jahren zu Hilfsarbeiten angestellt. Nicht ohne Ironie erzählte er, dass das Institut zeitweilig eine Art „Zensurinstanz“ für linke Theorie dargestellt habe. U.a. seien Teile der alten Marx-Engels-Gesamtausgabe dort subskribiert worden. Das Institut sei also eine Art „Abteilung der Moskauer Zentrale für den Marx-Nachlaß“ gewesen.
Zu den Höhepunkten eines Besuchs bei Langerhans gehörten stets die Diskussionen über Brecht. Langerhans kannte ihn schon aus der Zeit der Weimarer Republik, als sie gemeinsam in Berlin an Korsch-Seminaren teilgenommen hatten. Brecht habe endlich wissen wollen, was es mit der „Dialektik“ auf sich habe. Beide – Brecht und Langerhans – sahen in Korsch ihren „Lehrer“ und haben ihm jeweils ein Gedicht gewidmet. Langerhans beschreibt seine Jugenderfahrung mit Korsch als die große Sehnsucht nach der Helle, die noch aus dem Dunkel kam. „Werde ich ohne ihn sein“ fragte ich mich als ich an meinen Lehrer dachte in einer Zeit, in der weite, offene Entfernungen zwischen uns lagen und vielfacheres als das Meer. Der tägliche Streit unterschied uns wegen seiner Verschiedenheit. Wie würden wir uns wieder begegnen, fragte ich mich, als ich bemerkte, dass die Marktbuden abgerissen wurden, neben denen er gelehrt hatte.
„Warum wendest du deinen Blick soweit nach rückwärts? Fragte ich den Lehrer, denn ich bemerkte, dass er in alten Büchern blätterte. Die uralte Herrschaft sei noch älter als wir bisher angenommen, sagte er, Es ist also schwerer, sie abzuschütteln, nicht leichter.“
Langerhans wähnt den Lehrer wie Brecht als Enttäuschten, und fragt sich, warum er solange bei den Enttäuschten verweile. Langerhans KZ-Trauma schlägt wieder um in das Trotzdem, das Dennoch der Aktion. „Wie könnten wir abseits stehen in einer Zeit, in der die Machthaber unselbstständig werden und die Machtlosen selbständig?“ – Das ist der Kern seiner Totalitarismus-Theorie – in Poesie gefasst.
Brecht hielt das Gedicht von Langerhans für das bessere, wie er überhaupt dessen Gedichte und theoretischen Veröffentlichungen schätzte, da sie stets „aufs Ganze“ gingen. Das Gedicht über Korsch haben wir später in einer hektographierten Gedichtsammlung mit dem Titel: „Sprecher in den Wind“ gefunden, die er uns geschenkt hat. Die Gedichte hatte er überwiegend im Zuchthaus geschrieben; auf Zigarettenpapier und dann hinausgeschmuggelt. Unser Versuch, einen Verlag für seine Gedichte zu finden, scheiterte. Sie wurden mit der Begründung abgelehnt, sie seien „unzeitgemäß“.
(Leo Friedmann, ein Weggefährte von damals, sah in Langerhans vor allem den Dichter. In die Politik sei er nur durch die besonderen Zeitumstände geraten).
Langerhans besuchte Brecht während der Zeit der Emigration in New York. Bei einem der Besuche habe Brecht lässig auf dem Bett gelegen und sich Langerhans’ politische Vorstellungen über die Nach-Hitler-Zeit angehört. Auf die Frage an Brecht, welche Vorstellungen er habe, antwortete Brecht nur lapidar: „Theater am Schiffbauerdamm“. Zur Enttäuschung von Langerhans habe Brecht vor allem an sein Theater gedacht, das er einige Jahre später dann ja auch durch eine List tatsächlich bekommen habe. Brecht hatte der SED-Führung vorgeschlagen, den Gerüchten über Differenzen zwischen ihm und der Partei könne man am ehesten dadurch begegnen, indem man ihm das Theater überantworte.
Es kam vor, dass Langerhans während eines Besuchs einen Gedichtband von Brecht nahm, eines seiner Lieblingsgedichte vorlas und die Brechtsche Sprache analysierte. Brecht hatte die Klassiker einfach übersprungen und wieder an Luther angeknüpft. Besonders beeindruckend war, wenn er Brechts Gedicht Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration vortrug. Da las jemand, der wusste, was es bedeutete, in die Emigration gehen zu müssen. Nie werde ich den unpathetischen Ton vergessen, in dem Langerhans das Gedicht vortrug: Nahezu tonlos, aber umso beeindruckender.
Selbst im KZ, von dem er wenig erzählte, hätten sie Brecht rezitiert. Als er Brecht bei einem Besuch davon berichtete, habe dieser nur gemeint: „Kulturnation“. Es sei wichtig gewesen, auch im KZ Aktivitäten zu entwickeln, um den Lageralltag zu überstehen. Man habe Theateraufführungen veranstaltet und das Lied von den Moorsoldaten gesungen. Beim Refrain: nicht mehr mit dem Spaten ins Moor, hätten alle beim nicht so kräftig mit dem Fuß gestampft, dass die Baracke wackelte. Brecht erwähnt diesen Besuch in seinem Arbeitsjournal unter dem Datum 16.2.1943.
Theoretisch interessierte Langerhans an Brecht vor allem dessen „Formalismus“. Darüber haben wir viel diskutiert. Dass es Brecht vor allem um die Formgestaltung gegangen sei. Dass er im Unterschied zu Lukács keinem „abstrakten, vom historischen und gesellschaftlichen Kontext losgelösten Formbegriff“ gehuldigt hat. Aber andrerseits in der Anwendung „historisch überholter Formen“ (etwa des antiken Theaters) keineswegs zurückhaltend war. Dass er so ziemlich alles benutzte, was einer inhaltlichen Aussage dienlich sein konnte. Brecht wahrte eine kritische Distanz zur kruden Parteidoktrin, wonach Kunst und Literatur dem Klassenstandpunkt unterzuordnen seien. Er stimmte zu, dass sie eine politische Funktion hätten, bestand aber darauf, dass sie formal für Experimente offen sein müssten. Damit machte Brecht sich oft selbst angreifbar. Seine Position glich einem „Tanz auf der Rasierklinge“; es war nicht ungefährlich, einen derartigen Standpunkt einzunehmen.
Gern erinnere ich mich an Besuche von Langerhans in unserer kleinen Wohnung in Gießen. Immer häufiger kam es vor, dass Doktoranden auf ihn als „lebender Quelle“ stießen oder ihn für ihre Examina anforderten. Anlässlich solcher Termine kam er dann vorbei und verbrachte einige Tage bei uns. Während der Diskussionen, die buchstäblich Tag und Nacht stattfanden, lebte er auf, war wieder der Alte. Jedenfalls scheinbar.
Insgesamt merkte man ihm jedoch den langsamen Verfall an. Das Gedächtnis setzte aus. Er wurde dann aufbrausend, ja aggressiv. War in Wirklichkeit verzweifelt, wegen seiner Lebenssituation. So kam es, wie es kommen musste. Als wir ihn im September 1975 in Frankfurt besuchen wollten, trafen wir ihn nicht mehr an. Eine Nachbarin berichtete uns, er sei in eine Klinik gebracht worden. Wir fanden ihn in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie wieder. Er hinter Gittern, wir davor. Eine absurde Situation. Flehentlich bat er uns, ihn rauszuholen. Wir konnten jedoch nichts machen. Man ließ ihn nicht, man ließ uns nicht, da wir weder verwandt waren, noch sonst ein Mandat besaßen. Später hörten wir, dass er irgendwann die Nahrung verweigerte und buchstäblich verhungert ist. Er, der Zuchthaus und KZ überlebt hatte, musste derart erbärmlich enden.
Das alles ist jetzt über 40 Jahre her. Zu meiner Überraschung wurde ich vor einiger Zeit zu einer Podiumsdiskussion über Heinz Langerhans mit dem Titel Die totalitäre Erfahrung eingeladen. Dabei war auch Professor Michael Buckmiller, der immer noch an der Korsch-Ausgabe arbeitet. Die Veranstaltung fand im Rahmen eines Projekts der Akademie der Künste der Welt in Köln statt und widmete sich dem dichterischen und theoretischen Werk von Langerhans, das Jahrzehnte als verschollen galt, aber wie durch ein Wunder in einer Universitäts-Bibliothek unter lauter fremden Manuskripten aufgefunden wurde. Darunter auch seine Totalitarismustheorie aus den 1940er-Jahren; eine schonungslose Abrechnung mit dem Faschismus und Stalinismus. Er sagte voraus, dass der Totalitarismus überleben werde, indem er einen Teil der Arbeiterbewegung vereinnahme. Und indem er diese auf Imperialismus und Krieg ausrichte, werde er eine neue Verbindung von Staatsmacht, Kapital und seiner einstigen Opposition hervorbringen.
Sollten diese und weitere Arbeiten von Langerhans wieder veröffentlicht werden, wäre eine weitere Lücke in der Exil-Forschung geschlossen. Schließlich erhielt ich Ende 2019 den Brief eines Neffen von Heinz Langerhans. Er sei auf dessen Spuren und wolle einiges von meinen Begegnungen mit ihm wissen. Als ich mir die Erlebnisse wieder ins Gedächtnis rief, musste ich an einen Ausspruch von William Faulkner denken: „Die Vergangenheit ist nicht tot. Sie ist noch nicht einmal vergangen“