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In Polen nicht vergessen: der Überfall von Nazi-Deutschland – Vor 80 Jahren

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
31. August 2019
Bronzetafel am Denkmal des Kniefalls

Am Wochenende fährt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Polen, das deutsche Staatsoberhaupt wird in die Hauptstadt Warschau reisen und den kleinen polnischen Ort Wielun besuchen. Neben dem Angriff auf die Westerplatte durch Kanonen des deutschen Schiffes „Schleswig-Hostein“ begann in Wielun am 1. September 1939, also vor 80 Jahren, der zweite Weltkrieg. Auf dieses Städtchen warfen deutsche Flieger die ersten Bomben ab-ohne dass es eine Kriegserklärung gegeben hätte. Ein Krieg, der von der Nazi-Seite als Vernichtungskrieg geplant war, nicht nur gegen die Sowjetunion, sondern auch gegen Polen. Hitler hatte am Vorabend des 1. September 1939 auf dem Obersalzberg seine Generäle unmissverständlich darauf hingewiesen, was er mit den Polen vorhatte: „Dschingis Khan hat Millionen Frauen und Kinder in den Tod gejagt. SS-Totenkopf-Divisionen werden mitleidslos und unbarmherzig Mann, Weib und Kind polnischer Sprache in den Tod schicken. Polen wird entvölkert und mit Deutschen besiedelt. Nur so gewinnen wir den Lebensraum, den wir brauchen. Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier“. Letzteres geschah 1915. Und in einem Brief erteilte Hitler den Auftrag, allen „unheilbar Kranken bei kritischer Beurteilung ihres Krankheitszustandes den Gnadentod zu gewähren.“ Wie sich später herausstellte, ließ man diese Menschen einfach verhungern.

Besuche in Polen waren nie einfach, man musste gerade als Deutscher sensibel auftreten, umsichtig, rücksichtsvoll. Nicht, dass die Deutschen unbeliebt gewesen wären, nein, das habe ich selber bei mehreren Besuchen in Warschau, Danzig, Krakau, in Auschwitz, Tschenstochau oder Posen gemerkt. Freundlich wurde ich empfangen, als Deutscher, als Europäer. Ich war ja auch nicht im Krieg gewesen. Aber das Thema des deutschen Überfalls, der klare Versuch, ein stolzes Volk wie die Polen, das in der Geschichte immer wieder um seine Selbständigkeit kämpfen musste, auszurotten und sie als Sklaven, als Untermenschen zu behandeln, die die niedrigen Arbeiten für den deutschen Herrenmenschen zu erledigen hatten, dieses Gefühl, unmenschlich behandelt worden zu sein, im Grunde wie Tiere, dieses Gefühl ist aus dem Gedächtnis vieler Polen nie verschwunden. Verständlich angesichts der schlimmen Geschichte. Darüber können Freundschaftsverträge und Besuche hochrangiger Politiker nicht hinwegtäuschen.

Denkmal für die Helden des Widerstands im Warschauer GhettoFrank-Walter Steinmeier weiß, was ihn in Polen erwartet. Es wird kein leichter Besuch, aber der frühere SPD-Außenminister kennt die Geschichte und die Verbrechen der Nazis an Millionen Polen. Er weiß um die riesigen Zerstörungen polnischer Städte, hat Bilder vom nahezu dem Erdboden gleichgemachten Warschau durch die Wehrmacht gesehen. Ob er konfrontiert wird mit der Forderung der polnischen Regierung, Deutschland müsse über 800 Milliarden Euro an Reparationen zahlen? Eine ungeheure Summe, die selbst die finanziellen Möglichkeiten des reichen Berlins bei weitem übersteigen würde. Zum Vergleich: der Bundeshaushalt 2019 liegt bei etwas über 356 Milliarden Euro. Im Gespräch ist aber auch etwas anderes, was einige Bundestagsabgeordnete in die Diskussion gebracht haben: eine Gedenkstätte in Berlin, die an die Verbrechen der Nazis an den Polen erinnert, ein Symbol, ein Zeichen des guten Willens. Sechs Millionen Polen starben im zweiten Weltkrieg infolge deutscher Vernichtungspolitik. Polen war das erste Land, das im Zweiten Weltkrieg von Nazi-Deutschland angegriffen und jahrelang besetzt wurde. Für ihren mutigen Widerstand mussten die Polen einen hohen Blutzoll bezahlen.

Als Hitler die Parade abnahm

Warschau heute lässt all die früheren Schrecken kaum noch erkennen, wer genau hinsieht, wird sehen, dass fast alles neu gebaut oder aufgebaut werden musste. Aber darin sind die Polen ja wahre Meister. Historische Gebäude waren vernichtet worden, getreu dem Befehl von Himmler: „Auf jeden Fall muss erreicht werden, dass der für 500000 Untermenschen bisher vorhandene Wohnraum, der für Deutsche niemals geeignet ist, von der Bildfläche verschwindet.“ Also geschah es Anfang der 1940er Jahre. Hitler hasste Polen und befahl seinen Chargen ausdrücklich, mit großer Grausamkeit vorzugehen, er war sich darüber im Klaren, dass es Völkermord war. Am 5. Oktober 1939 besuchte Hitler Warschau zum ersten Mal und nahm auf einem Podium stehend die Parade der siegreichen 8. Armee ab. Später fasste Goebbels Hitlers Urteil über die Polen in einem Tagebucheintrag zusammen: „Des Führers Urteil über Polen ist vernichtend. Mehr Tiere als Menschen, gänzlich stumpf und amorph…Der Schmutz der Polen ist unvorstellbar. Auch ihr Urteilsvermögen ist gleich null.“ Binnen weniger Wochen nach dem Überflall fanden über 700 Massenexekutionen statt, wurden 6376 zumeiste Katholiken erschossen, andere Quellen nennen für diesen kurzen Zeitraum 20000 Todesopfer.

Wie die Nazis die Polen verachteten, das geht auch aus einer von Himmler gefertigten und von Hitler genehmigten Denkschrift über die „Behandlung des Fremdvölkischen im Osten“ hervor: Über den Status des Helotenvolkes(griechisch: Staatssklave) sollten die Polen, soweit sie nicht germansierbar waren, nicht mehr hinauskommen. Für die nichtdeutsche Bevölkerung durfte es keine höhere Schule als die vierjährige Volksschule geben. Das Lernziel: „einfaches Rechnen bis höchstens 500, Schreiben des Namens, eine Lehre, dass es ein göttliches Gebot ist, den Deutschen gehorsam zu sein und ehrlich, fleißig und brav zu sein. Lesen halte ich nicht für erforderlich.“ Sie sollten als „führerloses Arbeitsvolk zur Verfügung stehen und Deutschland jährlich Wanderarbeiter und Arbeiter für besondere Arbeitsvorkommen(Straßen, Steinbrüche,Bauten)stellen. “ (Winkler: Geschichte des Westens. Zeit der Weltkriege)

Generalgouverneur im „Generalgouvernement für die besetzten Gebiete Polens“ war der berüchtigte Hitler-Getreue Hans Frank, der einen Polizeistaat im Kleinen schuf, vollkommen der SS unterworfen, das „gesetzlose Laboratorium der Nazi-Rassenideologie“, wie Norman Davies es nennt in seinem Werk „Aufstand der Verlorenen“, der Kampf um Warschau. Man nannte Franks Land auch „Gestapoland“, oder „Gau der Vandalen.“ Er selber äußerte: „Die Macht und die Sicherheit, Gewalt anwenden zu können ohne jeden Widerstand, sind das süßeste und verderblichste Gift, das einer Regierung eingeflößt werden kann.“ Über das Ausmaß der von ihm zu verantworteten Verbrechen soll er gesagt haben: „In Prag waren große rote Plakate angeschlagen, auf denen zu lesen war, dass heute 7 Tschechen erschossen worden sind. Wenn ich für je sieben erschossene Polen ein Plakat aushängen lassen wollte, dann würden die Wälder Polens nicht ausreichen, das Papier herzustellen für solche Plakate.“ Frank begründete die Dringlichkeit der Ermordung von 3,5 Millionen polnischen Juden mit den Worten: „Die Juden sind für uns außerordentlich schädliche Fresser.“

Als Willy Brandt auf die Knie sank

Der 1. September 1939. Nazi-Deutschland, Polen, die Verfolgung der Juden, Auschwitz, Sobibor, Majdanek. alles gehört zu diesem Datum dazu. Wer je in Warschau war und in Auschwitz, ich habe das KZ mehrfach besucht, die Hölle auf Erden, wie sie von Häftlingen beschrieben wurde, wird das Thema nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Und er wird froh sein, dass es einen wie Willy Brandt gab, der als Bundeskanzler während seines Warschau-Besuchs 1970 sich auf die Knie fallen ließ, ausgerechnet Willy Brandt, den die Nazis verfolgt hatten. Der spätere Friedensnobelpreisträger sagte einmal zur Begründung des weltweit beachteten Kniefalls: „‚Am Abgrund der deutschen Geschichte und unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt.“ Ian Kershaw spricht in seinem Buch „Höllensturz“ vom „bodenlosen Abgrund der Unmenschlichkeit.“

Und um dem falschen Urteil zu begegnen, es seien nur SS-Verbände an den Verbrechen beteiligt gewesen, während der überwiegende Teil der Wehrmacht sauber geblieben sein, zitiere ich aus einem Bericht in der „Süddeutschen Zeitung“, Ausgabe Montag, 26. August 2019. Auf der Seite „Das politische Buch“ beschreibt Thomas Urban, wie Wehrmachtssoldaten im September 1939 Polen sahen. „80 Jahre danach“

heißt der Titel des Buchs, das der Autor rezensiert und aus dem er Beispiele dem Leser vorstellt. Schon das Vordringen der Wehrmacht am ersten Tag sei von schwersten Kriegsverbrechen begleitet gewesen, begangen vor allem an der Zivilbevölkerung. Die Aufzeichnungen und Fotos von Wehrmachtssoldaten belegten den Hochmut und Zynismus der Angreifer gegenüber den Überfallenen. So habe der Bildtext eines Aritlleriefeuers gelautet: „Unsere Beleuchtung bei Nacht.“ Unter Fotos von getöteten Menschen und Tieren habe es geheißen: „So sah es öfter aus.“. Lieblingsmotive der Soldaten, die dem Leiter des Fotoladens, bei dem die Soldaten die Abzüge bestellten, seien gewesen: Zerstörte Dörfer, Gehöfte, Untermenschen in Polen.“ Ein Foto habe feixende Soldaten gezeigt, wie sie verängstigte Juden mit langen Bärten umringten, dazu die Unterzeile: „Nicht schön anzusehen- polnische Juden.“ Und auf einen Eisenbahnwaggon, der sie nach Osten brachte, hätten Soldaten geschrieben: „Wir fahren nach Polen, um Juden zu versohlen.“

Die meisten Fotos betreffen diesem Bericht zufolge die katholische Zivilbevölkerung, Tausende von ihnen seien in den ersten Kriegstagen ohne jegliche Untersuchung erschossen worden, auch weil Wehrmachtssoldaten überall Freischärler vermuteten, wie der Historiker Jochen Böhler schreibt. Die Nazis hatten solche Aktionen mit Begriffen getarnt wie „Völkische Flurbereinigung“, was nichts anderes bedeutete als die Vertreibung von Hunderttausenden von Polen aus den besetzten Gebiete sowie die Deportation von Juden in Ghettos. „Außerordendliche Befriegung“ hieß im Nazi-Jargon die Erschießung von 5000 Angehörigen der intellektuellen Klasse, darunter viele Priester. Und zu einem Beitrag auf „arte“- „Wie deusche Soldaten zu Mördern wurden“- lese ich in der SZ unter der Üerschrift „Unmenschlich“: Der Großteil der Wehrmachtssoldaten und SS-Männer hätte sich aufgeführt wie die Herren über Leben und Tod im besetzten Polen. Offiziere hätten ihre Augen vor den Verbrechen ihrer Untergebenen verschlossen oder sich selbst daran beteiligt. Belegt seien Erschießungen von Zivilisten, das Abfackeln von Dörfern, weil sie angeblich Partisanen Schutz geboten hätten, ganze Straßenzüge Warschaus seien in Schutt und Asche gelegt worden.

Quellen: Süddeutsche Zeitung. Navid Kermani: Entlang den Gräben. Norman Davies: Aufstand der Verlorenen. Der Kampf um Warschau. Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens. Die Zeit der Weltkriege. Ian Kershaw: Höllensturz. Europa 1914 bis 1949.

 

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Tags: 1. September2. WeltkriegAusbruch des 2. WeltkriegsAuschwitzDeutscher Überfall auf PolenHolocaustNationalsozialismusNAZI-Terror
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