Vor Jahrzehnten machten sie ihre Witze über Karl Marx. Nach dem Mauerfall hatten Zeitgenossen in der Nacht das Orteingangsschild „Trier“ durch „Karl-Marx-Stadt“ ersetzt. Ein Scherz. Zwar galt der Philosoph und Querkopf Marx als der bekannteste Sohn von Deutschlands ältester Stadt, aber so richtig lieb hatten sie den Karl Marx nicht, weil er eben für Kommunismus in aller Welt stand oder dafür herhalten musste. Denn wehren konnte sich der Mann ja nicht, 1883 war er in London gestorben. Aber es war die Zeit, auch in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn, da man das westliche System als Sieger über den kommunistischen Osten feierte. Marx ist tot, es lebe Murks lauteten die billigen Witze zumeist Konservativer in der Zeit der Wende. Wenige Wochen nach dem Fall der Mauer und dem Beginn des Endes der DDR zeichnete der im Osten Deutschlands aufgewachsene Karikaturist Roland Beier Marx mit gesenktem Blick, roter Weste und den Händen in der Hosentaschen. Der Text dazu lautete: „Tut mir Leid, Jungs! War halt nur so ´ne Idee von mir.“ Was auch inhaltlich bedeutete, dass Marx von vielen, die sich auf ihn beriefen, missverstanden wurde.
Dabei hatte Marx sich über die gesellschaftliche Entwicklung zur klassenlosen Gesellschaft geäußert, darüber philosophiert, aber er wollte doch keine unumstößlichen Naturgesetze erlassen, denen man auch, wenn es nötig sein sollte, mit Gewalt Anerkennung verschaffen sollte. Dass die Chinesen, gemeint die KP-Führung, sich auf ihn berufen, stolz sind auf den riesigen Schritt in die Spitzengruppe der Welt, dass sie es geschafft haben, von einem der ärmsten Länder der Erde zu einer führenden Wirtschaftsmacht zu werden, dank der kommunistischen Partei und dank Marx, der die ideologische Basis der KP geliefert habe, gehört in die Geschichte des Mannes mit dem Rauschebart. Dass Millionen und Abermillionen bei der sogenannten Kulturrevolution umgebracht wurden und zwar im Namen des Kommunismus, ist dann nicht mal eine Randnotiz Wert. Man kennt diese Reinigunsprozesse in der Sowjetunion unter Stalin mit Millionen Toten. Und auch die Opfer in der einstigen DDR sind nicht vergessen.
Wir mögen schmunzeln über die Chinesen, wir im Westen, Tausende von Kilometern entfernt. Ja, Gott, wir anerkennen Karl Marx, selbst eine der sehr katholischen Städte in Deutschland, nämlich Trier tut es und widmet dem Mann Ausstellungen, aber was man aus Peking hört oder liest, klingt wie Helden- oder Heiligen-Verehrung. Man lese nur nach, was der wirklich kundige China-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Kai Strittmacher, in dieser Woche dazu geschrieben hat und zu der Marx-Büste, die man über den chinesischen Bildhauer Wu Weisham für Trier hat anfertigen lassen.
5,50 Meter hoch ist das Werk, es ist etwas kleiner ausgefallen als geplant, auf Bitten der Trier. Aber mit fünf Metern und fünfzig Centimetern ist das Ding immer noch gewaltig, ein Koloss, ein Monstrum, mehrere Tonnen schwer. Strittmacher zitiert den Künstler zu den gewaltigen Ausmaßen der Büste: großer Philosoph, große Idee, großes China, das letzte Land, das sich auf Marx beruft, viele andere haben ja die Lehre vom Kommunismus aufgegeben. Das Land der Mitte hält daran fest, es sieht sich „als wahren Erben des Karl Marx“.
Er konnte mit Geld nicht umgehen
Sein Leben lang hat Karl Marx, der auch u.a. in Bonn studierte, sich mit dem Kapital befasst, der Name trägt sein berühmtes Werk, aber von Geld hatte der Mann keine Ahnung. Er war fast immer pleite, weil er mit Geld nicht umgehen konnte und weil er gern feierte. Friedrich Engels war sein großer Sponsor, ohne dessen regelmäßigen finanziellen Hilfen wäre Marx schon früher an den Bettelstab geraten. Es ist wahr, auch wenn man heute darüber den Kopf schüttelt, der Mann gab sein weniges Geld auch für Champagner und dicke Zigarren aus. Und wenn keines mehr da war, versetzte Ehefrau Jenny das Familiensilber im Pfandhaus. Im Bonner Generalanzeiger ist nachzulesen, dass Marx das Haus gelegentlich nicht verlassen konnte, weil sogar sein Gehrock im Pfandhaus gelandet war.
200 Jahre Karl Marx. Verschiedene Ausstellungen versuchen, nach all den Jahren, ein differenziertes Bild von Marx zu zeigen, weil er eben viele Gegner, ja Feinde hatte, weil er geliebt und gehasst wurde, weil er ideologisch wohl auch bewusst falsch dargestellt wurde. Der Weg nach Trier lohnt sich, dieses Mal nicht nur wegen der Porta Nigra und anderer Sehenswürdigkeiten, die diese Stadt, die auch den Beinamen Rom des Nordens trug, ausmachen. Marx ist in Trier geboren, dort steht das Geburtshaus, dort lebte er 17 Jahre, über Bonn, Berlin, Köln, Paris, Brüssel bis nach London führte sein Weg. Mehr als 400 Exponate schmücken die kultur-historische Ausstellung mit Werken aus London, St. Petersburg und dem Musee d´Orsay in der französischen Hauptstadt.
Die Bronzestatue wird am heutigen Samstag, 5. Mai enthüllt. Für die Stadt eine zusätzliche Touristenattraktion. Besucher aus China besuchen Trier wegen Marx und nicht wegen der römischen Vorgeschichte. An diesem Samstag wird auch das Karl-Marx-Haus nach umfangreicher Renovierung wieder geöffnet mit der Dauerausstellung: „Von Trier in die Welt: Karl Marx, seine Ideen und ihre Wirkung bis heute“. Fernseh-Moderator Günther Jauch wird aus der Geburtsurkunde Marx vorlesen. Diese Urkunde hat ein Ururururgroßvater Jauchs 1818 als zweiter Bürgermeister unterschrieben. Dann folgen die Grußworte von Kurt Beck, Vorstandschef der Friedrich-Ebert-Stiftung, und von Malu Dreyer, der Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Die SPD-Chefin Andrea Nahles, sie ist eine Bürgerin des Landes, hält die Festrede. Der Schauspieler Mario Adorf, der im Fernsehfilm über Karl Marx den Philosophen gespielt hat, wird aus Gedichten von Marx rezitieren. Eine Ururenkelin von Marx wird reden und weitere Ururenkel von Marx werden das rote Band durchschneiden, wie es in der Einladung zu dem Festakt heißt, der vor dem Museum stattfindet.
Bei allem Streit über Pro und Contra zu Karl Marx findet der Besucher im Karl-Marx-Haus einen Satz von Willy Brandt, dem legendären SPD-Vorsitzenden, Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträger: „Was immer man aus Karl Marx gemacht hat: das Streben nach Freiheit, nach Befreiung der Menschen aus Knechtschaft und unwürdiger Abhängigkeit, war Motiv seines Handelns.“
Bildquelle Titelbild: Wikipedia, Karl Marx (1875; Fotografie von John Mayall), gemeinfrei, alle anderen Bilder: BdR