Von italienischer Küstenwache und der Finanzpolizei umgeben, wartet die „Sea Watch“ mit 42 Flüchtlingen an Bord vor dem Hafen von Lampedusa. Auch wenn die Kapitänin Carola Rackete die Lage der Flüchtlinge als gesundheitlich bedrohlich beschrieben hatte, ließen die italienischen Behörden nicht mit sich reden: die Flüchtlinge dürfen nicht an Land. Dahinter steckt die knallharte Politik des italienischen Innenministers und Hardliners Matteo Salvini und sein Dekret: Sollte sich ein Kapitän über das Verbot hinwegsetzen, droht die Beschlagnahme des Schiffes und eine hohe Geldstrafe. Das alles ist kein Spiel, Salvini meint es Ernst. Und das Schlimme daran, durch seine harte Anti-Flüchtlingslinie wird seine Popularität bei den Italienern immer besser.
Und Salvini geht dabei sogar noch in die Offensive, er greift die EU an und macht sich über sie lustig. So zu sehen in seiner Videokonferenz über Facebook, wo er hetzend gegen Brüssel herzog und expressis verbis sagte, die Situation ginge ihm „langsam auf den Sack“. Freilich kann ein Innenminister so etwas denken, sagen sollte er es besser nicht, die diplomatischen Gepflogenheiten erwarten eigentlich anderes. Aber der Mann weiß, auch dieser rabiate Ton kommt bei seinen Anhängern an, ja, man hat sogar das Gefühl, man erwartet diese ruppige Sprache von ihm. Damit lehnt er sich auch an an die Sprache seines offensichtlichen Vorbildes aus Amerika, Trump. Nicht von ungefähr kommt von ihm der Spruch: „Gli Italiani per primi“: Die Italiener zuerst, man füllt sich Trumps „Amerika zuerst“ erinnert.
Die Frage ist, was will Salvini damit erreichen. Er ist ja nicht dumm. Die Machtverhältnisse in der Koalition mit seiner rechten Lega und der ursprünglich linken Cinque Stelle haben sich in den letzten Monaten drastisch zugunsten der Lega verschoben. Mit jedem Krach, den Salvini inszeniert, mit jeder Attacke gegen die EU steigt die Lega im Ansehen der Italiener, während die Cinque Stelle sich Richtung Tabellenende bewegt. Salvinis Konzept scheint also aufzugehen. Käme es zu Neuwahlen, er könnte sich die fehlenden Prozente an der Mehrheit bei kleineren rechten Parteien holen. Was er im Grunde schon in der Tasche hat. Gleich nach der Europawahl hat die Parteivorsitzende der Fratelli d´Italia , Giulia Meloni, ihm, Salvini, ihre Unterstützung zugesagt. Und immerhin hat sie mit ihrer Partei sechs Prozent der Stimmen gewonnen.
Nur, die Probleme wären damit nicht gelöst. Nehmen wir die Wahlversprechen und fragen, was daraus geworden ist. Beispiel die Rentenreform, die schon in Kraft ist. Sie gibt jedem Arbeitnehmer die Möglichkeit, frühzeitig in die Rente zu gehen, eine Reform, die nur für zwei Jahre finanziert ist. Und dazu geführt hat, dass viele jüngere Italiener vorzeitig in den Ruhestand gehen. Das Ganze hat nicht zu neuen Jobs geführt, wie das Salvini zugesagt hatte. Und wer soll eine solche Rente bezahlen, wenn es nicht die Erwerbstätigen sind?!
Ein teures Wahlversprechen war und ist die Steuersenkung, über die selbst sein Finanzminister sagt, diese 15 Milliarden Euro haben wir nicht. Auch dies führt zu Zerwürfnissen innerhalb der Koalition.
Ministerpräsident Giuseppe Conte, eigentlich ein Mann der Movimento Cinque Stelle, fängt an, angesichts des Streits der Koalitionsparteien sich zu profilieren. Der Druck aus Brüssel trotz der Parolen von Salvini hat Conte dazu bewegt, mildere Töne anzustimmen. Conte weiß um die wirtschaftlichen und finanziellen Probleme seines Landes, angefangen von der Fluglinie Alitalia, die seit Jahrzehnten nur durch staatliche Zuschüsse am Leben gehalten wird, oder durch die explosive Situation um die Kleinstadt Tarent im Süden Italiens. Die weltweite Stahlkrise hat vor Tarent nicht Halt gemacht, mehr noch, die mit der Produktion von Stahl einhergehenden Umweltverschmutzungen mit gefährlichen Auswirkungen auf die Gesundheit Tausender von Menschen betrifft nun viele Arbeitnehmer der Firma Ilva. Wenn nicht ein Abkommen mit Rom bis September gefunden wird, droht vielen Beschäftigten die Arbeitslosigkeit. Tarent lebt vom Stahl, die ganze Umgebung lebt von Ilva, direkt oder indirekt. Nicht auszumalen, wenn das schiefgeht.
Es ist eigentlich keine Zeit für große Sprüche. Für alle Seiten, auch für Brüssel wäre es besser gewesen, eine andere Lösung anzustreben, um mit Italien im Gespräch zu bleiben. Wem nützt es denn, wenn die drittgrößte Volkswirtschaft, wenn einer der größten EU-Einzahler, und das ist Italien, in Finanzschwierigkeiten getrieben wird?! Sanktionen sind fast immer der falsche Weg, sie provozieren nur die andere Seite, im Falle Italiens stützen derartige Drohungen ausgerechnet den Mann, der mit Europa nicht viel am Hut hat: Matteo Salvini.
Zurück zur „Sea Wat[dropcap style=“normal or inverse or boxed“]Y[/dropcap]our text with dropcaps herech 3“. Mit Urteilen des Europäischen Gerichtshofs ist das weltweite Flüchtlingsproblem nicht zu lösen, schon gar nicht, indem man Gründungsmitglieder der Europäischen Gemeinschaft-so hieß das mal- versucht anzuklagen. Flüchtlinge auf hoher See zu lassen, das verbietet sich für jede Zivilisation. Da hätte man sich vom evangelischen Kirchentag den Abschlusssatz ausleihen können: Flüchtlinge lässt man nicht ertrinken. Punkt.
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