Merkel ist gewählt bis zum 24. Oktober 2021. Erst dann findet nämlich die nächste Bundestagswahl statt. Selbstverständlich dürfen Journalisten spekulieren, ob die Kanzlerin das durchhält. Der Stress in diesem Amt, das sie seit 2005 bekleidet, ist riesig. Dennoch: Konrad Adenauer regierte auch lange und der war viel älter als Merkel. Helmut Kohl hielt es 16 Jahre im Amt, ehe er abgewählt wurde. Aber das ist das Problem Merkels, das wird sie schon für sich entscheiden oder entschieden haben, weiht aber richtigerweise die Öffentlichkeit in ihre geheimen Gedankengänge nicht ein. Sonst wäre sie schnell eine „lame duck“, wie es die Amerikaner zu sagen pflegen. Der eine oder andere Journalist schließt nach dem Sturz von Volker Kauder als Fraktionschef der Union nicht aus, dass Merkel die Vertrauensfrage stellen könnte. Warum sollte sie das tun? Sie hat eine ordentliche Mehrheit im Parlament, mögen die Umfragen etwas anderes besagen, aber Umfragen sind nun mal keine Stimmen, sondern das Ergebnis von Stimmungen. Und der neue Fraktionschef Ralph Brinkhaus, ein Ostwestfale, hat gleich seiner Chefin gegenüber beteuert, dass seine Wahl kein Misstrauensvotum gegen die Kanzlerin und er im übrigen natürlich loyal sei. Ostwestfalen gelten als gemütliche Zeitgenossen, denen das Revolutionäre fremd ist.
Und auch, wenn das jeder weiß, wird über die Nachfolge von Angela Merkel diskutiert oder spekuliert, gerade so, als stünde Merkel schon mit einem Bein als private Frau daheim in der Uckermark. Es werden Namen genannt, darunter der von Jens Spahn. Der Gesundheitsminister ist ein junger Mann, über den gerade ein Buch geschrieben worden ist und natürlich hat sich die Bundespressekonferenz darauf gestürzt. Darin steht wenig Neues. Der „Spiegel“ zitiert die Enthüllung Spahns über Spahn: „Bekannt bin ich jetzt. Beliebt muss ich noch werden.“ Der CDU-Mann aus NRW war in der Vergangenheit auch dadurch aufgefallen, dass er gelegentlich gegen die Kanzlerin aufmuckte. Aber im Ernst, hat der Mann, der als konservativ und zugleich modern gilt, schon was geleistet? Dass er sich schon mal in der Nähe des neuen US-Botschafters Richard Grenell und des österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz aufgehalten hat, waren Bilder wert, mehr wohl kaum.
Kramp-Karrenbauer oder Laschet
Annegret Kramp-Karrenbauer ist jetzt schon eine enge Mitarbeiterin der CDU-Chefin, die sie einst aus dem grauen Saarland ins grelle Berlin geholt hat. Nun ist das nicht unbedingt der steilste Aufstieg, wenn es jemand von der Ministerpräsidentin zur Generalsekretärin einer Partei schafft. Aber in der Hauptstadt sitzt Kramp-Karrenbauer näher an der Macht, als Generalsekretärin hat sie die ganze Partei im Blick, sie kennt die Leute draußen und die kennen sie. Dass sie aus dem kleinen Saarland kommt, muss nichts bedeuten, aber aus dieser Ecke kamen schon andere wie Oskar Lafontaine, der einst als OB von Saarbrücken startete, dann Ministerpräsident des Saarlandes wurde, ehe er Gerhard Schröder zum Kanzler machte, dann jedoch aus Frust wegen Schröders Amtsführung den Rückzug antrat, die SPD verließ und die neue Linke mitgründete. Nein, das muss nichts bedeuten, Annegret Kramp-Karrenbauer ist aus anderem Holz geschnitzt, sie gilt als bodenständig, bürgernah, loyal.
Das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ war immer schon berühmt und berüchtigt für seine Personal-Spekulationen. Dieses Mal bringt er für die Nachfolge Merkels auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet ins Gespräch, dem die Hamburger Journalisten „bessere Chancen“ einräumen als die vorher genannten. Hinter Laschet steht der stärkste Landesverband der CDU. Er macht in NRW einen bisher eher unauffälligen Job, er eckt nicht an, strahlt rheinische Fröhlichkeit aus und ist gegenüber der Kanzlerin ein ausgesprochen loyaler Zeitgenosse. Ob es Laschet wirklich in die Hauptstadt ziehen würde, ist offen. Der Mann muss bei der nächsten Landtagswahl zunächst die Mehrheit an Rhein und Ruhr verteidigen, die er zuletzt gegen die früher übermächtige SPD gewonnen hat. Aber Laschet agiert in aller Ruhe, er nimmt seine Leute mit, stößt niemanden vor den Kopf.
Schäuble- Mann der verpassten Chancen
Einer, der immer schon im Gespräch war für höchste Ämter, der es aber nie bis ganz oben geschafft hat, ist Wolfgang Schäuble, der Bundestagspräsident und frühere Bundesfinanzminister, Kanzleramtschef und CDU-Vorsitzender. Helmut Kohl hatte ihn wohl schon 1996 als seinen Nachfolger nicht nur im Auge, sondern auch auf den Lippen, er zog seinen Vorschlag aber schnell wieder zurück. Dass er als CDU-Chef gehen musste, verdankt er einer Spenden-Affäre, über die er stolperte, oder genauer, über die ihn Merkel stolpern ließ. Die gleiche Merkel verhinderte später, dass Schäuble Bundespräsident wurde, statt seiner wurde es Horst Köhler. Schäuble, der seit einem Attentat Ende der 80er Jahre im Rollstuhl sitzt, hat viele Chancen verpasst. Ob es am Ende noch zum Kanzleramt reicht, ist mehr als fraglich. Sein Vorteil könnte sein Alter sein. Die jüngeren Konkurrenten würden ihn, ginge Merkel vor der Zeit, wohl regieren lassen, dem einen oder anderen wäre das sogar Recht. Schäuble hätte die Stimmen der CSU ziemlich sicher, bei der CDU müsste es auch reichen, die SPD würde Schäuble Neuwahlen vorziehen, das Risiko an der Urne ist zu groß.
Einen hätte ich fast vergessen, den neuen Star am CDU-Himmel, Daniel Günther, der Mann, der aus dem Nichts kam und den SPD-Ministerpräsidenten Abig bei einer Wahl aus dem Amt kegelte. Günther brachte das Kunststück fertig, eine Koalition aus CDU, FDP und den Grünen zu schmieden, Jamaika also, eine Allianz, die Merkel vor einem halben Jahr nicht zustande brachte, weil FDP-Chef Christian Lindner
nach monatelangen Verhandlungen ausstieg. Ihm war wohl die Aufmerksamkeit zu groß, die die Kanzlerin den Grünen widmete, Lindner fühlte sich wie das fünfte Rad am Wagen. Und jetzt spekuliert wieder einmal „Der Spiegel“ über Jamaika, berichtet von diskreten Therapiesitzungen zwischen FDP und den Grünen, die grüne Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und „ihr liberales Pendant“ Lindner gingen immer wieder miteinander essen, mit Wolfgang Kubik, dem FDP-Vize, duze sie sich, geheime Gespräche fänden im Café Einstein in der Berliner Kurfürstenstraße statt, man beschnuppere sich, arbeite die gegenseitigen Verletzungen auf, die sich beide Parteien während der Sondierungen zugefügt hätten. Und?
„Kohl kaputt“-Spiegel 1979
Womit ich beim Berliner „Tagesspiegel am Sonntag“ bin und dem Kolumnisten Harald Martenstein. Unter dem Titel „Eine gute Nachricht für Merkel“ erzählt Martenstein die Geschichte des ewigen Sturzes von Helmut Kohl, die ihm eingefallen sei angesichts der Meldungen über das bevorstehende Ende von Merkel, das Ende ihrer Ära und er erinnert zu Recht daran, dass Kohl ja Merkels Lehrmeister war. Kohl-Berater Eduard Ackermann hat mir des öfteren gesagt, wie schnell Merkel von Kohl gelernt habe.
Also dann zum Ende von Kohl, laut „Spiegel“, zitiert nach Martenstein: schon 1979 habe das Magazin Kohls Laufbahn für beendet erklärt, ehe der CDU-Politiker Kanzler geworden war. „Kohl kaputt“, lautete die Titelstory, ohne Fragezeichen. Die eigene Partei demontiere ihn, er habe „nur eine Galgenfrist“. 1982, schreibt Martenstein, wurde „Kohl kaputt“ Kanzler, genauer am 1. Oktober durch ein konstruktives Misstrauensvotum gegen den Amtsinhaber Helmut Schmidt. Aber kaum im Amt, spekulierte das Hamburger Magazin 1983, dass Kohls Sturz nahe: „Die Schonzeit ist zu Ende“. Kohl wirke kraft- und entschlusslos, er ignoriere die immer lauter werdende Kritik aus den eigenen Reihen. 1985 lautete der Spiegel-Titel dann: „Ist Kohl noch zu retten?“ 1989, vor dem Fall der Mauer, spitzte sich die Lage für Kohl laut Spiegel zu, beschreibt der Tagesspiegel-Autor die Stimmung. „Aufruhr in der Union. Kohl soll weg- aber wie?“ Aber auch andere Medien sahen Kohl am Boden. Der schwarze Riese wankt, so ein Titel eines Leitartikels. Aber bleiben wir noch bei den Hamburger Kollegen und bei Martensteins Fleißaufgabe: 1993 war es dann so weit: „Ende einer Ära“. Untertitel: „Kohls Macht verfällt.“ Aber er blieb, wie wir alle wissen im Amt. Und Kohl selber hat derlei Spekulationen lächelnd quittiert. Er fand es schön, hat er in Richtung der Journalisten gesagt, „dass Sie sich meinen Kopf zerbrechen“
Martenstein kommt zu dem Schluß: Kanzler, die im „Spiegel“ kaputt sind, blieben noch lange im Amt.
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