Im Briefkasten steckt die amtliche Benachrichtigung zur Wahl des Europäischen Parlaments. Am 26. Mai wird sich also ein Viertelstündchen für den Gang zum Wahllokal finden. Briefwahl oder die vorzeitige Stimmabgabe im Rathaus sind Alternativen. Jeder, wie er mag. Doch für viele hat der klassische Weg etwas Erhebendes. Das Wahlrecht zu nutzen und sein Kreuzchen zu machen, ist ein demokratischer Akt. Wahltage sind Feiertage der Demokratie. Sie braucht die Menschen, die sie tragen.
Die Beteiligung an den Wahlen zum Europaparlament ist seit der ersten Direktwahl vor 40 Jahren kontinuierlich gesunken, und zwar von 61,99 auf 42,61 Prozent. In Deutschland stieg der Wert von 2009 auf 2014 um rund fünf Prozent an; zugleich gab es jedoch Länder mit noch deutlich niedrigerer Beteiligung, Portugal, Tschechien, Polen und die Slowakei zum Beispiel, während in Ländern mit Wahlpflicht wie Belgien und Luxemburg mehr als 80 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgaben.
Rund 400 Millionen Bürgerinnen und Bürger sind in 27 EU-Mitgliedsländern (ohne Großbritannien) zur Wahl aufgerufen, davon allein in Deutschland 64,8 Millionen. In den Wirren um den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs zeichnet sich inzwischen ab, dass auch die Briten an der bevorstehenden Wahl teilnehmen, dann kämen 46,5 Millionen Stimmberechtigte hinzu. Nur wenn das britische Parlament den von Premierministerin Theresa May mit Brüssel ausgehandelten Austrittsvertrag noch vor dem 22. Mai annähme – bereits am 23. Mai wird in den Niederlanden gewählt – fiele die Europawahl auf der Insel aus. Das gilt jedoch als unwahrscheinlich, nachdem der Brexit-Vertrag im Unterhaus schon dreimal gescheitert ist.
Der Historiker Timothy Garton Ash sieht in der Teilnahme Großbritanniens an der Europawahl sogar eine große Chance für die Pro-Europäer. In der „Irish Times“ schrieb er:„Unser britisches Ringen mit EU-Gegnern wie Rees-Mogg, Boris Johnson und Nigel Farage ist nicht getrennt zu sehen von jenem der Deutschen mit der AfD, jenem der Italiener mit dem rechtsextremen Vizepremier Matteo Salvini, jenem der Polen mit der nationalistischen PiS und jenem Emmanuel Macrons mit der Hardlinerin Marine Le Pen. Es handelt sich um den gleichen Kampf. Den Kampf um Europa.“