Donnerwetter! Was für eine Sensation! Da bleibt einem die Spucke weg. Wer hätte das gedacht? Volker Kauder, der treue Fraktionschef, der Angela Merkel 13 Jahre diente, zuverlässig, berechenbar, gestürzt von einem gewissen Ralph Brinkhaus. Ralph wer? könnte man fragen, ohne dem neuen Mann an der Spitze der Unions-Fraktion zu nahe zu treten. Gewiss, er war einer der zahlreichen Stellvertreter von Kauder, er galt als guter Finanzexperte, bestens vernetzt, wie es heißt, aber mal ehrlich: Wer kannte Ralph Brinkhaus außerhalb von Ostwestfalen, Gütersloh, Rheda-Wiedenbrück, all die Orte, die jetzt genannt werden, um die Herkunft des Steuerberaters als den zu beschreiben, der er jetzt geworden ist und warum er das geschafft hat? Eine schlüssige Antwort darauf gibt es nicht, es sei denn die: Man war es Leid mit Volker Kauder, man wollte einen anderen, ein anderes Gesicht, einen, der nicht zu allem Ja und Amen sagt, was seine Mentorin Angela Merkel in ihrer 13jährigen Kanzlerschaft meinte, dass es getan werden müsste für Deutschland und Europa. Es ist eine Demütigung für Merkel.
Bei WDR 2 hieß es am Abend, 50 Jahre alt sei der Mann, der Haaransatz sei weit hinten. Viel mehr wusste man nicht. Und dieser Brinkhaus soll nun den Karren der Union flott machen, damit er nicht nur fährt, sondern auch zieht? Da wird man abwarten müssen, wie die Arbeit des neuen Fraktionschefs im Bundestag aussehen wird. Er kann ja keine Arbeit gegen die Kanzlerin machen, es sein denn, er will mithelfen, sie abzulösen, damit es an der Spitze der Regierung ein neues Gesicht geben wird, eine Persönlichkeit mit neuem Gewicht, jemand, der gestalten und machen will und nicht nur moderieren wie zuletzt Merkel. In Umfragen war die Union auf einen Wert unter 30 Prozent gerutscht, nicht wenige in der CDU und der CSU befürchten schon länger, dass sie einen ähnlichen Weg nehmen könnte wie die SPD, die im Augenblick eine Zustimmungsrate von gerade mal 18 Prozent hat in Umfragen. Das Ende der Volksparteien rücke näher, meinen Politik-Professoren prognostizieren zu müssen.
Keiner der Großkopferten hat es geahnt
Nun sprechen sie in Berlin, gemeint die Medien in der Hauptstadt, die den Mainstream ausmachen, von Sensation, Revolution, Erdbeben. Da ist was dran, denn all die gut informierten Kreise hatten dieses Ergebnis nicht auf dem Schirm. 30 bis 40 Prozent der Stimmen würde Brinkhaus bekommen, nicht mehr, ein Achtungserfolg. Und jetzt hat er 125 Stimmen erhalten, der Amtsinhaber nur 112. Nicht einer der Journalisten an der Spree hatte es auch nur geahnt, dass Merkels Vertrauter, der alte und gewiefte Kauder nicht die Mehrheit der Fraktion bekommen könnte, Schließlich hatte er die Empfehlung der Kanzlerin und CDU-Chefin Merkel, genoss die Sympathie der CSU-Oberen, Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und CSU-Parteichef Horst Seehofer. Und selbst der eigene CDU-Chef aus NRW, Ministerpräsident Armin Laschet, gab vor der Wahl keine Empfehlung zu Gunsten von Ralph Brinkhaus ab. Und dennoch hat er gewonnen. Und keiner der Journalisten in Berlin und keiner der Großkopferten in der Hauptstadt hat es kommen sehen. Abgehoben kann man das nennen, mindestens. Merkel-hörig, wie zum Beispiel Laschet, der kein kritisches Wort über seine Kanzlerin von sich gegeben hat. Jedenfalls ist mir das nicht bekannt.
Merkels Abstieg habe begonnen, urteilen die einen. Andere sprechen von Kanzlerin-Dämmerung oder vom Anfang vom Ende. Jedenfalls ist es ein Einschnitt, von dem man nicht weiß, wie weit er geht. Brinkhaus ist kein Revolutionär, er hat im Vorfeld der Wahl des Fraktionschefs seine Kandidatur angemeldet, höflich, aber bestimmt, er hat nicht gegen Kauder gewettert oder gegen ihn Propaganda gemacht. Er hat einfach nur signalisiert, dass er kandidieren werde. Und er hat auch nicht gesagt, dass er alles besser machen werde als der alte Fraktionschef, aber im Falle seiner Wahl werde er manches anders machen. So ähnlich hat er sich eingelassen. Und er hat niemanden vors Schienbein getreten, verletzt oder beleidigt. Er hat einfach nur kandidiert und damit die Wahl zu einer richtigen Wahl gemacht, zu einer Auswahl, damit die Abgeordneten aus CDU und CSU wählen können, wem sie ihre Stimme in geheimer Abstimmung geben. Eine solche Kampfabstimmung hatte es in der Union zuletzt in den 70er Jahren gegeben.
Die SPD wird die Entwicklung in der Union genau beobachten, sie muss aufpassen, dass sie nicht angesteckt wird von dieser leisen Revolution. Denn diese Abstimmung kann noch andere Folgen haben, wer weiß. Stimmen gibt es in der SPD genügend, die der Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles das Zeug absprechen, die SPD wieder nach vorn zu führen. Nahles wird aufpassen müssen, dass ihr nicht bei nächster Gelegenheit ähnliches passiert wie Kauder. Zumal die Stimmung in der Sozialdemokratie ziemlich nahe dem Nullpunkt ist. Ja, die SPD muss um ihre Existenz kämpfen. Ob Nahles dafür die Richtige ist? Man vermisst den Kampfesmut, die Leidenschaft in der Debatte, man vermisst gerade jetzt, da sich nationalistische, fremdenfeindliche, rassistische Kräfte breit und der SPD das Leben schwer machen, den Kampf gegen Rechts, gegen Nazis, die unsere parlamentarische Demokratie zerstören wollen.
Bundespräsident rief Schulz zur Ordnung
Angela Merkel galt mal als mächtigste Frau mindestens in Europa, ihr Wort war in der Welt gefragt. Sie war wer. Ihre vierte Kanzlerschaft aber verläuft nicht glücklich. Jamaika kam nicht zustande, weil FDP-Chef Lindner den Stecker zog. Er fühlte sich offensichtlich von Merkel schlecht behandelt, die CDU-Chefin hatte wohl in den Gesprächen den Grünen mehr Aufmerksamkeit gewidmet als den Liberalen. Also musste sie auf die SPD zugehen, die eigentlich nicht schon wieder in eine große Koalition wollte, weil sie in jeder Regierung mit oder besser unter Merkel zwar gute Arbeit geleistet hatte, diese aber vom Wähler nicht anerkannt worden war. Man fühlte sie unter Wert geschlagen, untergebuttert. Und wäre nicht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gewesen, der die Parteichefs, allen voran den damaligen SPD-Vorsitzenden und unglücklichen Kanzlerkandidaten Martin Schulz zur Ordnung gerufen hatte, es hätte das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik keine Regierungsbildung gegeben, sondern eine Neuwahl. Doch das bisherige Ergebnis ist ein Trauerspiel. Diese Koalition leistet eigentlich gute Sacharbeit, doch die öffentliche Debatte ist bestimmt vom Streit zwischen CDU uncd CSU, zwischen Merkel und Seehofer, der nicht mehr kann oder will mit der Kanzlerin, vom Streit über die Asylpolitik, über eine eigentliche lächerliche Personalie wie die des Herrn Maaßen, die fast schon zum Ende der großen Koalition geführt hätte.
Ob Ralph Brinkhaus den Schalter umlegen kann, damit es vorangeht? Ob er es schafft, die Meinungsführerschaft für die Union zurückzuholen, mit enttäuschten CDU-Wählern, die vor Wut oder Enttäuschung AfD wählen, ins Gespräch zu kommen, indem er ihnen zuhört und sie fragt, wo der Schuh drückt, was die Regierung besser machen könnte in ihren Augen? Angela Merkel wird das nicht mehr gelingen, sie hat an Autorität verloren, wie die Abwahl ihres politischen Vertrauten deutlich gemacht hat. Sie muss den Erneuerungsprozess der CDU gestalten, anderen, jüngeren Platz machen. Damit sie in Würde gehen kann. Ob die große Koalition das länger überlebt, ist eine weitere Frage.
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