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Streit um die Wehrpflicht

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
8. Oktober 2025
Zinnsoldaten

Wenn es nach Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident und CSU-Chef, ginge, wäre der Streit entschieden: „An der Wehrpflicht führt kein Weg vorbei.“ Das, was Verteidigungsminister Boris Pistorius(SPD)vorgelegt habe, als freiwilliger Wehrdienst, stuft der wortgewaltige und selten auf Kompromisssuche sich befindende Söder schlicht und einfach als „Wischi-Waschi“ ein. Anders sieht das Juso-Chef Philipp Türmer: Es sei ihm „ein Rätsel, warum jetzt die Wehrpflicht auf den Tisch kommt.“ Na, wegen Putin und der von Militärexperten ausgerufenen Warnung, Russland werde 2029 in der Lage sein, das übrige Europa anzugreifen. Oder sieht der Juso das anders?

Die Lage ist, frei nach Konrad Adenauer, so ernst wie nie. Oder um es mit einem seiner Unions-Erben, also Friedrich Merz zu skizzieren: „Wir sind nicht mehr im Frieden.“ Aber auch nicht im Krieg. Irgendwo dazwischen. Was aber schon seit Jahren so oder ähnlich stimmt. Denn Wladimir Putin hat ja, wenn Kritiker mir so weit zustimmen, dem Westen den Frieden aufgekündigt, spätestens mit der Annexion der Krim 2014, auch wenn das kein Krieg war, den er da führte. Sondern ehe eine Art gewaltsame Besetzung der Krim. Vielleicht aus Sorge, der Westen, die Nato werde sich noch weiter Richtung Osten ausdehnen. Also haben sich damals einige Tausend russische Soldalten verkleidet und haben die Krim über Nacht eingenommen.

Putin ist der Kriegstreiber

Im Grunde fühlte sich Putin, der Kriegstreiber, im Recht, wie er sich immer im Recht fühlt, wenn er über die Größe Russlands schwadroniert und davon träumt, die alte Sowjetunion wieder herzustellen- als Weltmacht quasi wie die USA. Und dann würde er den früheren US-Präsidenten Obama widerlegt haben, der ihn mit seiner herablassenden Äußerung „Russland ist nur noch eine Regionalmacht“ auf die Palme gebracht, ja ihn Putin beleidigt, ja herausgefordert  hatte.

Dass Russland die Ukraine überfallen hat, dürfte so einigermaßen Konsens unter Demokraten sein. Dass die Russen einmarschiert sind mit Panzern und einem riesigen Heer, dass sie die Ukraine seit Jahr und Tag bombardieren aus Flugzeugen oder mit Langstreckenraketen oder mit bewaffneten Drohnen, dass sie das Land zerstören, die Menschen töten, dass sie Kinder entführt und Frauen vergewaltigt haben, müsste eigentlich unbestritten sein. Außer Putin selbst, der ja von einer Spezialoperation sprach und spricht. Und seine Russen scheinen ihm zu glauben,  weil sie keine anderen Informationsquellen haben, die ihnen die Wahrheit sagen. Aber das Land ist riesig, wie sollen in jeden Winkel dieses Reiches Nachrichten und Hintergrundberichte gelangen, die ungefiltert sind, ohne Moskauer Einfluss.

Und wie ist das mit Putin? Der war ja mal Freund von Gerhard Schröder, dem Kanzler. Hat im Bundestag geredet über Schiller und Goethe, über eine Sicherheitspartnerschaft von Lissabon bis Wladiwostock. Und der seit seinem Ukraine-Überfall immer wieder droht, auch dem Westen. Dass sich die baltischen Staaten sorgen, Moskau werde die Angriffe auf Litauen, Lettland und Estland erweitern, wen wunderts, dass sich die Polen nicht mehr sicher sind, wer will es ihnen verdenken.

Und gilt das nicht auch für Deutschland? Das hatten wir doch schon mal mit der Bedrohung durch sowjetische SS-Raketen, den Nato-Doppelbeschluss, Helmut Schmidt war Kanzler und machte auf die Bedrohung aufmerksam. Und behielt der Hamburger Schmidt nicht Recht? Helmut Kohl löste ihn ab, mit dem Druck von Pershing und Cruise Missile-Raketen verschwanden die SS-20-Waffen. Die USA rüsteten Moskau zu Tode, hieß es von mancher Seite. Die Sowjetunion scheiterte am Ende, landete auf dem Müllplatz der Geschichte mit dem Eisernen Vorhang, der Berliner Mauer, der DDR. Sehr kurz gefasst. Und mancher wird das anders sehen. Ich habe die Abstimmungen in der SPD nicht vergessen, den Kölner Parteitag, wo man Schmidt allein ließ. Jahre später zollten sie ihm wieder den nötigen Respekt.

Deutschland ein Zwerg

Deutschland ist zwar- wenngleich momentan angeschlagen und etwas zerzaust-immer noch eine der größten Volkswirtschaften in der Welt, wirtschaftlich also weiter eine Macht, aber militärisch längst zu einem Zwerg verkümmert. Weil die damalige Kanzlerin Angela Merkel(CDU) und ihre CDU- und CSU-Verteidigungsminister es zuließen, dass die Bundeswehr heruntergewirtschaftet, ja kaputt gespart wurde, sodass sie heute als Verteidigungsarmee in der Welt nicht mehr ernst genommen wird. Und dazu zählt auch, dass Merkel und Karl-Theodor zu Guttenberg 2011 die Wehrpflicht außer Kraft setzten. Es waren die Jahre der Friedensdividende oder wie Volker Rühe(CDU) es formulierte: „Wir sind von Freunden umzingelt.“ Was braucht es da noch eine schlagkräftige Armee, Waffen, Panzer, Flugzeuge. Also kümmerte man sich nicht mehr darum und irgendwann stellte man erschrocken fest, dass all diese teuren militärischen Geräte  nicht mehr so Recht funktionierten, die Panzer rollten nicht mehr, die Flugzeuge blieben am Boden, die Gewehre schossen nicht mehr so zuverlässig. „Wir sind blank“, so fasste ein General unmittelbar nach Putins Überfall auf die Ukraine den Zustand der Bundeswehr samt der Geräte trefflich zusammen. Blank, also nicht mehr verteidigungsfähig. Oder wie es Sönke Neitzel, Militär-Historiker, formuliert: „Die Bundeswehr ist die vollendete Karikatur der deutschen Bürokratie.“

Es folgte das mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, verkündet vom Kanzler Olaf Scholz, der aber längst nicht mehr im Amt ist. Nun haben wir seit einigen Monaten eine neue Regierung unter dem Kanzler Friedrich Merz(CDU), der schneidig das Ziel formulierte,  die Bundeswehr zur stärksten Armee Europas zu machen. Darüber werden Experten nur müde gelacht haben, ausgerechnet die Bundeswehr mit ihren nicht mal 200000 Mann, ohne wirkungsvolle Waffen. Ohne Wehrpflicht. Und Merz tönte mit Blick auf Putin: „Stärke schreckt Aggression ab. Schwäche hingegen lädt zur Aggression ein.“  Gut gebrüllt, Kanzler und der setzte noch eins drauf: „Unser Ziel ist ein Land, ein Deutschland und ein Europa, die gemeinsam so stark sind, dass wir unsere Waffen niemals  einsetzen müssen. Dafür werden wir innerhalb der Nato und der EU mehr Verantwortung übernehmen.“ Die Verteidigungsausgaben werden drastisch erhöht, von einer Billion Euro-über Kredite finanziert- ist die Rede und notfalls noch mehr Geld will man in die Bundeswehr stecken, damit sie wieder verteidigungsfähig werde. Ich bleibe bei der Formulierung, Minister Pistorius spricht ja von kriegstüchtig.

Nie wieder Krieg

So weit so gut oder schlecht. Streit ist entbrannt zwischen Union und SPD über die Wehrplicht, die im übrigen im Grundgesetz steht. Söder und Co wollen sie wieder aktivieren, auch der Kanzler glaubt nicht, dass über einen freiwilligen Wehrdienst die nötigen Soldaten rekrutiert werden können. Aber auch Pistorius ist sich nicht sicher, ob das mit dem personellen Aufwuchs der Bundeswehr durch Freiwilligkeit klappen werde. Folgt man Umfragen, sind wohl rund 70 Prozent der Deutschen für die Wieder-Einführung der Wehrpflicht. Wer genauer hinsieht, spürt aber eine ziemliche Skepsis der jüngeren Generation gegenüber einer Dienstpflicht für das Vaterland, was im Ernstfall eben Krieg bedeutet. Aber ist ihnen die Bundesrepublik das nicht Wert? Notfalls das Leben zu riskieren, damit diese Demokratie überleben kann? Oder lieber rot als tot? Diese alte Formel, die ich nie geteilt habe. Andererseits ist mir sehr wohl der Ruf nach dem Krieg 1945 bekannt: Nie wieder Krieg! Damals hatte die Nazi-Diktatur Krieg und Tod über weite Teile Europas und die Welt gebracht, hatte Millionen Juden ermordet, weil sie Juden waren. Deutschland hatte sich vieler Verbrechen schuldig gemacht. Das heutige Deutschland ist ein anderes Land, eine Demokratie, die unsere Freiheit sichert und für Frieden in der Welt eintritt. Und vor der sich niemand fürchten muss.

Die Jüngeren also zögern oder lehnen eine Wehrpflicht ab. Klar, sie wären betroffen. Die Älteren können leicht für den Pflicht-Dienst man der Waffe sein, wie das der 77jährige Joschka Fischer getan hat. Auch ich bin dafür, wissend, dass ich mit- Jahrgang 1941- nicht eingezogen würde. Wollte man die Wehrpflicht auch für Frauen verpflichtend machen, bräuchte es eine Grundgesetz-Änderung, also eine Zwei-Drittel-Mehrheit, was Schwarz-Rot allein nicht schaffen würde.

Die heutige Größe der Bundeswehr resultiert aus der Wiedervereinigung und der Auflösung des Warschauer Paktes. Es wurde keine Notwendigkeit mehr gesehen, eine große Armee zur Landes- und Bündnisverteidigung mehr zu halten und dafür viel Geld zu bezahlen. Mit dem im März 1991 in Kraft getretenen Zwei-Plus-Vier-Vertrag verpflichtete sich die Bundesregierung zu einer Obergrenze der Streitkräfte in ganz Deutschland von 370000 Mann. (Zur Zeit der Vereinigung hatte die Nationale Volksarmee der DDR 155300 Soldaten.) Bis zur Aussetzung der Wehrpflicht sank die Personalstärke auf 206000 Mann, die Dauer des Wehrdienstes war von 15 Monaten auf sechs Monate verringert worden. Da aber immer weniger eingezogen wurden, war die Aussetzung des Wehrdienstes im Sinne der Gerechtigkeit fast logisch. Die Aussetzung gilt ausdrücklich nicht für den Spannungs- und Verteidigungsfall.

Attraktiv und freiwillig

Am Anfang der Debatte stand schriftlich vereinbart: „Wir schaffen einen neuen, attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert.“ Aber diese hehre Formulierung hielt nicht lange dem Drängen der anderen stand, die laut forderten, junge Männer zum Dienst mit der Waffe zu zwingen. Heute gibt es in Deutschland rund 182000 Soldaten, davon 112000 Zeitsoldaten und 57000 Berufssoldaten sowie 12000 freiwillige Wehrdienstleistende. Verteidigungsminister Pistorius möchte die Zahl der Soldaten um 50000 bis

60000 erhöhen. Was nicht reichen wird, wie Experten betonen. „Um Deutschland in der Fläche mit modernem Kriegsmaterial zu verteidigen, bräuchte man über 300000 Soldaten. Die Zahl der Reservisten müsste um das Dreifache höher sein, also bei einer Million liegen. Freiwillig?

Die Kosten einer Wiedereinführung der Wehrpflicht wären enorm. Man denke nur mal an die Grundversorgung, an der es überall hapert: also Kreiswehrersatzämter, Kasernen, Ausbilder, es fehlt an allen Ecken und Enden. Die Frage wird auch sein: Was ist preisweiter, die Zwangsverpflichtung oder freiwillige Wehrdienstleistende.  Es geht dabei auch darum, dass der Bund und die Wirtschaft um qualifizierte Arbeitskräfte konkurrieren würden.

80 Jahre Ruhe und Frieden sind längst vorbei, der Krieg ist zurück in Europa. Und alle müssen aufrüsten, damit am Ende ein Krieg verhindert wird. Denn das muss das Ziel sein, was schwierig genug zu erreichen sein wird. Denn da gibt es nicht nur einen Putin, sondern auch einen Trump in Washington, auf den man sich nicht verlassen kann. Das muss ‚Europa schon allein besorgen, mit Deutschland. Dass wir die Sache mit den Drohnen verpennt haben, wie NRW-Innenminister Herbert Reul bekannt hat, ist schlimm genug und spricht gegen die Qualität mancher Sicherheits-Politiker. Wofür werden sie denn bezahlt?  Schweden hat die Wehrpflicht wieder eingeführt, die baltischen Staaten ebenso, Finnland ist Mitglied der Nato geworden. Es ist richtig, dass wir auch immer wieder im Gespräch mit Moskau ausloten müssen, welche Möglichkeiten es gibt, den Krieg in der Ukraine zu beenden und den Frieden in Europa zu erhalten. Aber dafür ist militärische Macht notwendig. Um den Krieg zu verhindern.  Mit Kerzen wird es nicht gehen. SPD-Chef und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil hat von der „Sicherheit vor Russland“ gesprochen, ich würde das ergänzen, damit man danach Sicherheit mit Russland erreichen kann. Auf Augenhöhe.

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Comments 3

  1. DeadMan Walking says:
    1 Monat ago

    Für die aktuelle Regierung, für die #fckAfD (Wähler) in den Krieg ziehen, um das Land zu verteidigen Never

    Antworten
  2. Philipp says:
    1 Monat ago

    HOLTERDIEPOLTER
    Immer wieder erleben es die Bürger, übereilt und unüberlegt wird etwas in die Welt gesetzt.
    So ist es auch mit der Wehrpflicht. Bei einer nationalen Situation von fehlenden Arbeitskräften sollte der Abzug
    junger Leute ein falscher Weg sein. Außerdem ist eine aktuelle und künftige Militärpolitik wohl mehr auf Drohnen und KI ausgerichtet! Die klassische Armee mit allen Erscheinungsformen spielt so keine Rolle mehr.
    Ob sich das unsere Regierung schon überlegt hat?

    Antworten
  3. Sabine says:
    3 Wochen ago

    Ist doch kein Problem. Alle Politiker mit ihren Kindern und Enkeln zuerst an die Front, das wäre doch ein starkes Zeichen und Wehrpflichtsgerechtigkeit. Bei 100 tausenden wehrpflichtigen Ukrainern gilt das von Deutschland anerkannte Menschenrecht Kriegsdienstverweigerung, hoffentlich gilt dieses Menschenrecht für unsere Kinder zusammen mit dem entsprechenden Grundgesetz auch .Demokratie ? Wehrpflicht ? lieber weniger Demokratie und Freiheit, dafür keine toten Kinder. Diese Entscheidung sollte der Jugend und nicht alten Menschen überlassen werden . denkt mal drüber nach .

    Antworten

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