Manches war und ist doch anders, als es in moralisch zielenden Einschätzungen der Kriegswaffenkontroll- und Abrüstungspolitik beschrieben wird. Diese Politik war Kind des kalten Krieges. Es war ein kalter Krieg zweier Staatengruppen mit gegensätzlichen grundlegenden Rechtsauffassungen, mit antagonistischen politischen Systemen und konträren kulturellen Vorstellungen. Auf dem Boden des Nachkriegsdeutschland war dieser kalte Krieg hochkonzentriert: Hier die NATO, die einen demokratischen Rechtsstaat schützte, dort die DDR-Führung, die ihren Bürgerinnen und Bürgern die bürgerlichen Freiheiten verwehrte und eine an der Kopfstärke gemessen riesige Militärmacht war mit tausenden Panzern und Schlachtflugzeugen, die eine aggressive Aufgabe hatte.

Über Friedenspolitik, Abrüstung und Vertrauen
Während der ersten Hälfte der achtziger Jahre arbeitete ich im Bonner Tulpenfeld, im Pressehaus I. Natürlich war ich für die Friedensbewegung und gegen die NATO- Nachrüstung, weil ich es instinktiv ablehnte, Gleiches mit Gleichem oder Ähnlichem zu vergelten, denn mir schien richtig, dass ein solcher Kreislauf unbedingt unterbrochen werden müsse. Ich saß an meinem Arbeitstisch, las und suchte. Checkte Themen ab. Mir wurde damals unversehens klar: Sollte plötzlich ein nicht abbrechender, ununterbrochener, auf und abschwellender Sirenenton zu hören sein, würde ich nicht einmal mehr meine Frau in die Arme schließen können, obwohl wir in einem Stadtteil wohnten, der weniger als drei Kilometer vom Tulpenfeld entfernt lag. Kein Fahrrad, kein Auto, nichts würde mich zu meiner Frau bringen können. Die Zeitspanne zwischen dem Abschuss einer Rakete im Osten Europas und dem Einschlag in Bonn war zu kurz.
Kriegsangst im kalten Krieg
Tage später habe ich meine Sicht im Kreis von- wie ich annahm -Gleichgesinnten preisgegeben, um Ablehnung zu ernten: Das kannst du doch nicht persönlich sehen, hieß es. Objektiv gesehen, ist es doch so…; du klammerst die Kriegstreiber aus! Man muss doch das Ganze sehen! Betroffenheit ist hier nicht besonders hilfreich. Persönliche Betroffenheit war falsch, obgleich wir uns alle über die Kriegsangst der Kinder in Zeiten des kalten Kriegs einig waren. Hier galt betroffen sein, dort nicht.
Mir wurde erinnerlich, dass ich dieselben Argumente gehört hatte, als wir über den Archipel Gulag Alexander Solchenizyns diskutieren wollten. Ja, mein Gott, das ist doch eine total verfärbte Geschichte, bekam ich zu hören. Du darfst das nicht isoliert sehen; schau auf das Ganze! Mach dich nicht zum Diener der Kriegstreiber. 83-84 nahezu derselbe Kappes wie 73-74.
Der Riss war da. Und der wurde breiter, weil ich die Gelegenheit hatte, mit Rudolf Dreßler und Heinz Oskar Vetter und anderen auf deutsch- sowjetischen Arbeitnehmerdialogen zu begreifen, unter vier Augen zu hören, dass die da drüben das gleiche Misstrauen gegenüber ihren Generalen und Admiralen hegten wie viele im Westen gegenüber „dem Ami“. Wenn das so war, dachte ich, stellte sich die Frage: Warum ich sowjetischen Spitzenmilitärs mehr trauen sollte als US-amerikanischen, von den französischen und britischen gar nicht zu reden?
Rüstungsbegrenzung zielte darauf ab, die Zahl der Atomwaffen- Besitzenden klein und die Risiken atomaren Wettrüstens möglichst gering zu halten. Eine fundamentale Ablehnung von Atomwaffen als sogenannte „Ultima Ratio“ war damit nicht verbunden. Im Laufe der Jahre wurde der Blick für Fehler im komplizierten und verzweigten System der atomaren Abschreckung geschärft. Auch die Furcht vor Auswirkungen der vielen Atomwaffenversuche auf die Natur spielte bei der Rüstungseinschränkung eine Rolle. Das war die Geburtsstunde der Rüstungs-Kontrolle und der Abrüstung. Das hat die Aufrüstung aber keineswegs gestoppt. Atomare Abschreckung fraß auf, was die Volkswirtschaften hergaben – vor allem im Osten.
Gorbatschow und Reagan
Gorbatschow hat später den INF Vertrag zusammen mit Reagan unterzeichnet, weil die Sowjetunion unter der Last der Technologiekosten zusammen zu brechen drohte, die weitere Runden des Wettrüstens mit sich gebracht hätten. Das war nicht der einzige Grund, aber der wichtigste. Die „Geschäftsgrundlage“ war damals der noch existierende kalte Krieg.
Die „historisch einzigartige Friedensbewegung“ hat darauf, so viel lässt sich sagen, sehr wenig Einfluss gehabt. Leider. Die Friedensbewegung ist –so gesehen – ein Mythos; ein liebgewonnener Mythos gewiss, weil ein Teil unserer besten Köpfe mitmachte. Aber aus einer entsetzlichen, furchteinflößenden Konfrontation hat sie nicht hinausgeführt. Oder glaubt jemand ernsthaft, old Ronald habe sich vom Bonner Hofgarten beeindrucken lassen?
Der kalte Krieg ist seit bald 30 Jahren beendet, die Geschäftsgrundlage also weg. Man kann´s auch daran erkennen: 1990 wurden in Deutschland rund 40 000 Sirenen-Anlagen abgebaut, die die erwähnten an- und abschwellenden Töne drauf hatten. Kriegsgefahr weg, Sirenen abgebaut. Heute gibt’s für Warnungen die 24- Stunden- Rund- um die Uhr-Glotze, das Web, WhatsApp und Messages und Facebook und weiß der Teufel was noch. Der Vertrag über ein Verbot der Stationierung von Systemen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5000 Kilometern war ein massives Sicherheitsversprechen für die Menschen in Europa. Er verbot landgestützte Systeme, aber luft- oder seegestützte freilich nicht. Und wir haben zu wenig darauf geachtet, dass sich Geschäftsgrundlage und die Rahmenbedingungen für Rüstungskontrolle und – Rüstungsbegrenzung änderten. Wir haben von Friedensdividenden geträumt und nicht begriffen, dass es keinen graden Weg zu neuem Frieden gibt. Das ist gewiss die Reaktionsweise einer zivilen Gesellschaft. Sie hat aber ihre Tücken.
Mittlerweile hat die Russische Föderation unter Führung Putins in der Nähe Kaliningrads Raketen des Typs Iskander stationiert, die binnen weniger Minuten die Entfernung zwischen dieser Stadt und Berlin oder Hannover zurücklegen kann. Reaktionschance: Null. Eine Reaktionsmöglichkeit auf NATO-Seite mit entsprechend geringer Reaktionszeit gibt es nicht.
Müssen die Menschen in Deutschland, in Polen oder im Baltikum das akzeptieren? Und: wie kriegt man diese Dinger gegebenenfalls wieder weg? Es gibt keine auf dem Boden der Bundesrepublik aufgestellte US-amerikanische oder britische oder deutsche Raketen, die Kaliningrad zerstören könnten.
Brandt und Bahr
Es gibt zwei Aspekte, die mich an einer reinen Verhandlungsposition gegenüber solchen Raketenstellungen zweifeln lassen:
Das ist zum einen der Teil der Brandt-Bahrschen Friedenspolitik, der stets und ständig ignoriert wird: Beide waren überzeugt, dass Friedenspolitik zwischen Staaten nur funktionieren kann, deren Verhältnis durch gegenseitige wirtschaftliche und politische Interdependenz tief geprägt ist. Davon kann keine Rede sein.
Zweitens muss sich Vertrauen auf Verlässlichkeit gründen. Auch da habe ich Zweifel. Agnes Heller, die kürzlich verstorbene Philosophin, hat in einem von der FAZ am 1. August posthum abgedruckten Interview die Auffassung vertreten, dass Orban und Putin oder auch Erdogan, sie nannte die drei namentlich, Tyrannen „neuen Typs“ seien: Was die wollten, geschehe, was die nicht wollten, das geschehe nicht.
Das ist mit Verlässlichkeit und Vertrauen nur sehr, sehr beschränkt in Einklang zu bringen.
Bildquelle: Pixabay, Bild von Gerd Altmann, Pixabay License
'Über Friedenspolitik, Abrüstung und Vertrauen' hat keine Kommentare
Als erste/r kommentieren