20 Jahre ist das her. Die Bundestagswahl 1998 und in der Folge die erste rot-grüne Bundesregierung, die Gerhard Schröder und Joschka Fischer bildeten. Genau am 27. September 1998 gewann die SPD nicht ganz überraschend die Bundestagswahl mit 40,9 Prozent der Stimmen. Die Union mit dem Dauerkanzler Helmut Kohl kam nur noch auf 35,1 Prozent. Die Grünen hatten leichte Verluste, aber mit 6,7 Prozent reichte es für Rot-Grün, knapp dahinter landeten die Liberalen mit 6,2 Prozent. Es war das zweite Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass die SPD stärkste Fraktion im Bundestag wurde, Bundestagspräsident wurde Wolfgang Thierse, ein Ostdeutscher. Übrigens soll Schröder zunächst an eine große Koalition gedacht haben, aber dann schafften die Grünen den Einzug ins Parlament.
Wer den Wahlkampf damals beobachtete, konnte den Vorsprung Schröders vor dem Amtsinhaber im Grunde mit den Augen beobachten. Hier der Jüngere, nach vorn drängende Sozialdemokrat, kämpferisch, aber nicht revolutionär, modern, kräftig, auf der Gegenseite der Alte, Kanzler seit dem 1.Oktober 1982. Kanzler der Einheit, wie er im Volk genannt wurde und wie er es auch gern hörte, ziemlich behäbig, ja müde nach all den Jahren als Kanzler.
Viele SPD-Politiker haben sich an Kohl abgearbeitet
Viele SPD-Herausforderer hatten sich an Kohl abgearbeitet, vergeblich. Der erste, der es versuchte, war nach dem Misstrauensvotum, mit dem Helmut Kohl Helmut Schmidt aus dem Kanzleramt gedrängt hatte, Hans-Jochen Vogel. Der frühere Wohnungsbau- und Justizminister, einstige Münchner Oberbürgermeister, hatte gegen Helmut Kohl keine echte Chance. Denn die Stimmung war eindeutig auf Seiten des Pfälzers und der Christen-Union. Umstritten war lediglich der Weg zu diesen Neuwahlen im März 1983. Kohl hatte nach dem Sieg über Schmidt betont, er werde seine Kanzlerschaft durch eine Neuwahl legitimieren lassen, also eine vorgezogene. Kein einfacher Weg, juristisch bis heute umstritten. Kohl ließ im Dezember 1982 eine Vertrauensfrage im Bundestag stellen, die er vereinbarungsgemäß verlor, obwohl er im Parlament eine Mehrheit hatte. Ein Spiel mit der Verfassung. Der damalige Bundespräsident Karl Carstens überlegte lange, ehe er den Weg freigab, indem er den Bundestag auflöste. Carstens, ein Staatsrechtler, hatte im Vorfeld neben anderen Persönlichkeiten auch den damaligen SPD-Vorsitrzenden Willy Brandt um dessen Meinung gebeten. Brandt soll dem Präsidenten gegenüber Neuwahlen zugestimmt haben, weil er keine Staatskrise heraufbeschwören wollte.
Die Union kam auf 48,8 Prozent der Stimmen, die SPD auf 38,2 vh, erstmals zogen die Grünen mit 5,6 vh in den Bundestag ein. Kohl bildete mit dem FDP-Politiker Hans-Dietrich Genscher eine konservativ-liberale Regierung. SPD-Fraktionschef Hans-Jochen Vogel wurde Oppositionsführer.
Vier Jahre später trat der in NRW sehr erfolgreiche Johannes Rau gegen Kohl an, und verlor glatt. Rau und einige seiner Freunde hatten geglaubt, die absolute Mehrheit, die der Ministerpräsident bei der Landtagswahl im bevölkerungsreichsten Land erzielt hatte, auf Bundesebene umsetzen zu können, was aber nicht gelang.
Die Wahl 1990 wurde von der deutschen Einheit bestimmt, Kanzlerkandidat der SPD war Oskar Lafontaine, der nach einem Attentat, das ihn schwer verletzte, eigentlich nicht mehr antreten wollte. Aber der Saarländer ließ sich von Hans-Jochen Vogel in die Pflicht nehmen. Kohl beherrschte das deutsch-deutsche Terrain meisterhaft, der der Einigung mindestens kritisch gegenüberstehende Lafontaine verlor die Wahl, an der erstmals die Bürger der ehemaligen DDR wie auch die Westberliner teilnahmen.
Scharping verwechselte Brutto mit Netto
1994 forderte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und SPD-Chef Rudolf Scharping den Kanzler der Union heraus. Scharping hatte sich zuvor in einer SPD-internen Abstimmung gegen Schröder und Heidemarie Wieczorek-Zeul durchgesetzt. Man kennt vielleicht noch das Bild von Scharping, Schröder und Lafontaine, Hand in Hand auf der Bühne, aber davon war im Wahlkampf nichts zu spüren. Der Kandidat musste es allein versuchen, war überfordert, verwechselte Brutto mit Netto, der Rote-Socken-Kampagne der CDU hatte er nichts entgegen zu setzen. Scharping verlor knapp. Dazwischen gab es noch einen anderen SPD-Hoffnungsträger, Björn Engholm, der das Kunststück fertig gebracht hatte, in Schleswig-Holstein den CDU-Ministerpräsidenten Barschel abzulösen. Engholm übernahm von 1991 bis 1993 den SPD-Parteivorsitz und die Öffentlichkeit ging davon aus, dass der Lübecker auch der nächste Kanzlerkandidat der SPD werde. Aber Engholm hatte im Zuge der Barschel-Affäre, bei der ein gewisser Pfeiffer ihn bespitzelt hatte, nicht die ganze Wahrheit gesagt und musste deshalb von allen Ämtern zurücktreten.
Scharping, der früh die Sympathien des großen alten Mannes der SPD, Willy Brandt, genoß, blieb nach der Niederlage gegen Kohl SPD-Chef, aber er musste mit ansehen, wie die Sympathien der Sozialdemokratie bei Umfragen auf 23 Prozent sanken. Auf einem Parteitag der SPD in Mannheim 1995, der eigentlich gar kein Wahlparteitag war, wurde Scharping gestürzt. Oskar Lafontaine hatte die miese Stimmung in der SPD und die schwache Parteitagsrede von Scharping dazu genutzt, quasi eine Abstimmung zu erzwingen, die Satzung der SPD wurde kurzerhand geändert, es wurde gewählt. Sieger: Oskar Lafontaine im Grunde nach einem Putsch.
Als Lafontaine die Brocken hinwarf
Mit Lafontaine als Parteichef und Gerhard Schröder als Kanzlerkandidat hatte die SPD Kohl schwer unter Druck gesetzt. Der Kanzler konnte sich in der laufenden Legislaturperiode im Bundesrat gegen die Übermacht der SPD-regierten Ländern nicht mehr durchsetzen, eine geplante Steuerreform scheiterte, Lafontaine blockte alles ab. Kohl stand mit dem Rücken zur Wand. Und der SPD-Herausforderer Schröder, beliebt beim Volk, gewann die Wahl 1998 glatt. Gefeiert wurde der Sieg im Friesenkeller der niedersächsischen Landesregierung. Die Freude sollte nicht von langer Dauer sein, weil Lafontaine mit dem Regierungsstil Schröders nicht einverstanden war. Er beklagte das fehlende Mannschaftsspiel, meinte damit wohl die Handschrift des Kanzleramtsministers Bodo Hombach. Und plötzlich im Frühjahr des Jahres 1999 warf er alles hin: den SPD-Vorsitz, das Amt des Bundesfinanzministers und sein Mandat als Bundestagsabgeordneter. Man fiel aus allen Wolken, auch der Kanzler hatte keine Ahnung, wusste nichts von dem wachsenden Verdruss, unter dem der Saarländer litt. Er soll sich vor allem an der neoliberalen Finanzpolitik des Kanzlers wie an der deutschen Beteiligung am Jugoslawien-Krieg gestoßen haben. Später verließ er die SPD, ausgerechnet er, den Willy Brandt schon 1987 zu seinem Nachfolger als Parteichef machen wollte, was dieser nach kurzer Überlegung ablehnte. Und ausgerechnet dieser Lafontaine gründet später die Linke mit und wurde deren Vorsitzender.
Wenn Rot-Grün den 20. Jahrestag des Wahlsiegs über Helmut Kohl feiern würde-was sie nicht tun- müssten sie Oskar Lafontaine mit einladen-er würde nicht kommen-, denn er hat bei allem Respekt vor Schröders Leistung diesen erst zum Kanzlerkandidaten-Hallo Kanzlerkandidat, rief er dem Wahlsieger Schröder nach gewonnener Niedersachsen-Wahl im März 1998 am Telefon zu- und dann zum Kanzler gemacht. Aber für die heutige SPD gibt es nichts zu feiern. Andrea Nahles würde wohl kaum den Mann hochleben lassen, dessen Politik sie einst mit einer Abrissbirne an der SPD-Programmatik verglichen hatte. Und Gerhard Schröder hat eh Besseres vor, er plant die Feierlichkeiten seiner Hochzeit im feinen Hotel Adlon Anfang Oktober.
Bildquelle: By Alankazame, CC-BY-SA-3.0 , via Wikimedia Commons
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