Keiner blickt mehr durch, beginnt Holger Möhle seinen Leitartikel im „Bonner Generalanzeiger“(GA). Was er dann beschreibt und kritisiert, ist der „Flickenteppich“ in Corona-Deutschland. Was in Berlin und Brandenburg erlaubt sei, sei in Bayern verboten, in NRW dagegen wieder erlaubt, aber nur im Freien, in Niedersachsen dagegen verboten. Es lebe der Föderalismus. Maske auf, Maske ab. Wen wundert eigentlich die nachlassende Akzeptanz der weiterhin notwendigen Ein – und Beschränkungen. Was der Berliner Korrespondent des Blattes nicht beschreibt, was aber zu diesem Thema gehört, sind die Regeln oder Nicht-Regeln in NRW für die Kommunalwahlen am 13. September. Vor allem die Tausenden Wahlhelferinnen und Wahlhelfer fühlen sich allein gelassen. Sie versehen ihren Job nicht ganz freiwillig, sondern mit etwas Druck, sie bekommen eine spärliche Vergütung zwischen 30 und 45 Euro für den Sonntag, sie setzen sich der Corona-Gefahr aus, aber kaum jemand in den Amtsstuben, die die Wahlbenachrichtigungen an Millionen Haushalte verschickt haben, scheint das zu kümmern. Bestes Beispiel ist hier Bonn. Da heißt es in den Wahlunterlagen, fett eingefügt in den übrigen Text: „Bitte bringen Sie zu ihrer eigenen Sicherheit Mund- und Nasenschutz und einen Kugelschreiber mit!“ Wie bitte? Zu wessen Sicherheit? Hatten wir nicht gelernt, dass der Mund- und Nasenschutz den Gegenüber schütze? Vor den Viren, die von Mund und Nase des anderen Zeitgenossen in die Luft gesetzt, gespuckt, gehustet, geniest werden? Man darf sich wundern, die Wahlhelfer sind sauer. Sie empören sich zu Recht: „Wer schützt eigentlich uns?“
Der Wahlhelfer zitiert sein Grundrecht aus dem Grundgesetz. „Heißt es nicht in Artikel 2, Absatz 2: Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Hat hier jemand bei der Erstellung der Wahlbenachrichtigungen schlicht und einfach die Wahlhelferinnen und Wahlhelfer vergessen, die die Wählerinnen und Wähler registrieren, den Personalausweis kontrollieren, sie zu den Wahlkabinen weisen, darauf achten, dass die Wahlbriefe in die Schlitze der Urnen gesteckt werden, dass am Abend, wenn alles vorbei ist, gezählt wird.Die Wahlbenachrichtigung aus Bonn- ich habe sie an der Pinwand hängen-liest sich, als wäre der Zusatz mit der Bitte, Mund-Nasen-Schutz und Kugelschreiber mitzubringen, nachträglich eingefügt worden. Und noch etwas: Ich selber habe den Passus mit dem Kugelschreiber übersehen, ich wurde darauf hingewiesen. Wie mir ergeht es vielen anderen Bürgerinnen und Bürgern. Sie werden den Kuli nicht dabei haben, weil sie den Passus nicht gelesen haben. Wer liest schon die zwei Seiten zur Wahl? Also wird man auf Schreibgeräte in den Wahllokalen zurückgreifen. Frage: Wird dann der benutzte Kuli immer wieder gesäubert, desinfiziert? Wenn ja von wem? Den Wahlhelfern? Oder wird das Schreibgerät nach jeder Stimmabgabe aus dem Verkehr gezogen? Es könnten Corona-Viren drankleben, an denen sich die nächsten Wählerinnen und Wähler und die Wahlhelferinnen und Wahlhelfer anstecken könnten. Werden diese Helferinnen und Helfer am Abend, nach Schließung der Wahllokale und Auszählen der Stimmen, auf Corona getestet?
Keine Maskenpflicht in Wahllokalen
Das Problem Corona ist ja nicht neu, sondern seit Monaten redet alle Welt von Mund- und Nasenschutz, davon, dass in Gebäuden das Tragen derselben zur Pflicht wird, so in Geschäften, U-Bahnen, Banken, aber offensichtlich nicht in den Wahllokalen. Werden dort Acryl-Trennscheiben aufgestellt zum Schutz der Wahlhelferinnen und Wahlhelfer? Bisher habe ich davon nichts gehört. Auch hier müsste eigentlich Maskenpflicht herrschen. Das Virus, haben wir gelernt, ist überall gleich gefährlich. Warum ist dann in den Wahlbenachrichtigungen an die Wahlberechtigten in der Stadt Mönchengladbach kein Hinweis auf das Mitbringen von Mund- und Nasenschutz, auch die Sache mit dem Kugelschreiber fehlt hier. Übrigens sind 600 Wahlunterlagen in dieser Stadt nicht zugestellt worden, sie landeten im Müll-Container. Hatte der Briefträger keine Lust?
In der Stadt Bornheim außerhalb von Bonn enthalten die Wahlbenachrichtigungen auch keinen Hinweis auf das Mitbringen von Mund- und Nasenschutz, auch den Kugelschreiber müssen sie nicht mitbringen. Die werden dann wohl gestellt. Aber auch hier gilt: Jeder Kuli müsste nach einem Gebrauch desinfiziert werden. Von wem? Den Wahlhelfern? Wie sieht das im übrigen mit der Desinfizierung der Wahlkabinen aus? Sie müssten nach jedem Wahlvorgang gesäubert werden, was auch wohl festgelegt ist. Sollen das die Wahlhelfer machen? Die werden nicht begeistert sein.
Stichwort Flickenteppich, so der Titel des zitierten Kommentars in der Bonner Zeitung. In Köln, der einzigen Millionenstadt in NRW, enthalten die Wahlbenachrichtigungen auf der Rückseite einen extra Hinweis auf die Pandemie. „Covid-19(Corona): Angesichts der Corona-Pandemie werden am Wahltag besondere Hygienevorschriften und -empfehlungen zur Eindämmung von Infektionskrankheiten bestehen(z.B. zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung und der Einhaltung eines Mindestabstands von 1,50 Metern zwischen anwesenden Personen im Wahlraum). Geltende Schutzvorschriften sind zwingend zu beachten; darüber hinaus bittet das Wahlamt um Einhaltung der tagesaktuellen Empfehlungen zum Infektionsschutz. Bitte entnehmen Sie die aktuellen Informationen der Tagespresse, dem Internet unter www.wahlen.koeln und den Aushängen der für die Wahlhandlung genutzten Gebäude.“ Ergänzend lese ich im „Kölner Stadtanzeiger“, dass die Corona-Schutzverordnung um einen Passus ergänzt wurde: in Wahlräumen sei durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, „dass auch Personen, die gegen die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung verstoßen, ihr Wahlrecht ausübern können.“
Übrigens gibt es auch abseits der Wahlbenachrichtigungen Hygieneregeln in Bonn(und in anderen Städten wie in Bielefeld, um nur zwei Beispiele zu erwähnen), die angeblich „für sorgenfreien Einsatz sorgen“ sollen. Alle Wahlberechtigten sollen sicher ihre Stimme abgeben können und für alle Wahlhelfenden soll das Risiko einer Corona-Infektion so gering wie möglich gehalten werden, heißt es. Die Mitglieder der Wahlvorstände werden mit Mund-Nasenschutz, Gesichtsvisieren und zusätzlich mit Einmalhandschuhen ausgestattet, Handdesinfektionsmittel sind vorhanden, der Einwurf der Stimmzettel in die Wahlurne erfolgt kontaktlos, Urnen werden regelmäßig desinfiziert. Hätte man das nicht auf die Wahlbenachrichtigung schreiben können? Ein Hinweis auf Plexiglasscheiben zum Schutz von Wahlhelfern und Wählern fehlt.
Auch Bielefelder sollen ihre Kulis mitbringen
NRW ist bunt, könnte man denken, wenn man das Durcheinander der Corona-Regeln für die Kommunalwahl positiv betrachten will. Die Wählerinnen und Wähler in Oberhausen finden auf ihren Wahlbenachrichtigungen keinen Hinweis auf das Virus, auf Mund-Nasenschutz, Abstand, keine Aufforderung, einen Kugelschreiber mitzubringen. Ob Corona im Revier kein Thema ist? Dabei wissen wir, wissen alle, dass das Virus überall ist, für alle gleich gefährlich. Gleichgültigkeit kann hier schlimme Folgen haben. In der ostwestfälischen Stadt Bielefeld gibt es zumindest eine Anweisung für Wahlhelfer, was sie alles zu beachten haben. Darin heißt es u.a. mit Hinweis auf das Robert-Koch-Institut und die dort erwähnten Risikogruppen, jeder Wahlhelfer entscheide für sich, ob er bei einem ggf. vorhandenen Risiko eine Wahlhelfertätigkeit übernehmen möchte. Und dazu noch: ein bestimmtes Lebensalter allein begründe nicht die Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe, sondern bestimmte Erkrankungen. Auch über 60jährige könnten Wahlhelfer sein. Dann folgen die Erklärungen zum Mindestabstand, zu den Laufwegen, zu Mund-Nasenschutz. Die Wählerinnen und Wähler werden gebeten, den Schutz zu tragen, wer ohne kommt, für den werden Masken vor Ort bereitgestellt-„30 bis 50 Stück vorhalten“. Auch den Mitgliedern des Wahlvorstands wird der MN-Schutz empfohlen, „wenn der Mindestabstand von 1,5m nicht gewahrt werden kann. Wahlräume und Fluren sollen gelüftet werden. Im übrigen hörte ich auch aus Bielefeld, dass Wahlberechtigte gebeten wurden, ihre eigenen Kugelschreiber mitzubringen. Man darf sich wundern.
Ich habe nur Stichproben gemacht, die aber ausreichen, um das Corona-Chaos am Wahltag aufzuzeigen.Jeder macht es anders, auf seine Art, mal wird empfohlen, mal wird gar nichts gesagt oder vorgeschlagen. Das Bild vom Flickenteppich passt. Wie soll da eine Verständigung über Corona-Regeln landesweit zustandekommen, gar nicht zu reden von bundesweiten Regeln, die für alle gelten würden.
Die Verweigerer von Mund-Nasenschutz können im übrigen allem aus dem Weg gehen, in dem sie per Brief wählen. Ausschließen von der Wahl kann man sie nicht. Bonns Stadtdirektor Fuchs hatte wohl Ähnliches vor, wie ich im GA gelesen habe. „Ich wollte niemanden zur Wahl zulassen, der keinen Mund-Nasen-Schutz trägt, aber das geht aus rechtlichen Gründen nicht.“ Vom Landeswahlleiter habe er erfahren, dass dies mit dem Wahlrecht nicht vereinbar sei. So zitiert die Zeitung den Stadtdirektor. Aber hätte man in Bonn und anderswo nicht die Regeln rechtzeitig an Corona anpassen müssen?Und einheitlich für das ganze Land? Damit jeder um die Bedeutung und die eigene Verantwortung weiß? Man schreibt Mund-Nasen-Schutz in jedem Lokal vor, nur nicht im Wahllokal. Wer soll das verstehen?!Ein Wahlhelfer macht seinem Ärger über das Corona-Chaos Luft: „Ich habe den Eindruck, dass die Regeln von Leuten verfasst wurden, die am 13. September, dem Wahltag, gemütlich zu Hause auf der Couch sitzen.“
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