Nach den ersten Kundgebungen in Frankfurt am Main folgten Anfang 2017 auch in Berlin viele hundert Menschen dem Aufruf auf dem Berliner Gendarmenmarkt zu zeigen, dass die Zivilgesellschaft für Europa eintritt und auf die Straße geht. Waren es zunächst ein paar hundert, kamen am Sonntag drauf 1000, die Woche danach nochmals so viele bis schließlich über 5000 Menschen Woche für Woche zeigten, dass ihnen „Europa“ eine Herzensangelegenheit ist. Der Pulsschlag Europas war dann in Windeseile jeden Sonntag für eine Stunde in immer mehr deutschen Städten zu spüren.
So auch in Bonn. Waren es dort zunächst 400, waren dann schnell über 1000 Kundgebungsteilnehmer dabei. Die Begeisterung, die das gemeinsame Europa bei den vielen Teilnehmern ausgelöst hat, war auch immer wieder in Wortbeiträgen der Kundgebungsteilnehmer am „ offenen Mikrofon“ zu hören. Mutig, für viele erstmals alleine auf der Bühne, vor vielen Menschen ins Mikro sprechend, erzählten sie ihre ganz persönliche europäische Geschichte. Wie Sie Europa per Interrail-Ticket erkundeten, wie sie ihren Lebenspartner beim Erasmusstudium kennengelernt haben, wie sie ihre Lehre in Marseille gemacht haben, um heute den Beruf in Deutschland auszuüben, wie sie groß wurden mit dem Erbfeind-Dogma und nach dem 2. Weltkrieg mit dem deutsch-französischen Jugendwerk Freunde in Frankreich fanden. Eine Europa-Bewegung, die Emotionen und Gefühle zugelassen hat.
Warum schafft es eigentlich die deutsche Politik nicht, so fragt man sich, dass dieser Funke auch in den politischen Alltag überspringt? Diese Frage ist komplett naiv, so in aller Regel die schnelle Antwort aus der Politik. Europa sei keine reine „Wir-haben-uns-alle-lieb-Wohlfühl-Gemeinschaft“, sondern der politische Alltag sehe so hart und steinig aus, wie eben der Weg zu Kompromissen bei 28 Mitgliedsländern und diversen Interessen nur hart und steinig sein kann. Das ist richtig, aber ein Blick über den deutschen Vorgarten zeigt, dass es auch anders gehen kann.
Der französische Präsident Macron hat ganz bewusst Europa auf seine politische Agenda gesetzt. Das war natürlich nicht vollkommen selbstlos, denn er weiß, dass eine Veränderung in seinem Land nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie eingebettet in einem europäischen Prozess erfolgt. Das aber ist mehr als legitim. Vor 12 Monaten hätte man jeden für illusionär erklärt, der verkündet, dass der frisch gewählte Präsident der Grand Nation nicht zu Marseillaise, sondern zur Europahymne seinen ersten großen öffentlichen Auftritt inszeniert. Auch wenn in Frankreich auch im politischen Alltag Ernüchterung eingetreten ist, hat es der Präsident bis heute geschafft, die europäische Idee als zentrales Projekt in der französischen Gesellschaft weiter zu etablieren. Bei uns hingegen tritt einer der versiertesten Europapolitiker zur Bundestagswahl an und schafft es, das Thema möglichst nicht zu seinem Thema zu machen.
Was läuft da schief? Symbole sind genauso Bestandteile der Politik, wie die Emotionen. Beides hat die deutsche Politik bislang nicht wirklich umgesetzt. Als im letzten Jahr die Menschen in Deutschland für Europa auf die Straße gingen, wäre spätestens das in Weckruf für die Politik gewesen. Alles, was der Pulsschlag für Europa mit jedem einzelnen Teilnehmenden der vielen Kundgebungen verbunden hat, war auf der einen Seite Emotion der Teilnehmenden, aber auch Information und Diskussion. Die Parteien könnten sogar noch einen wichtigen Schritt weitergehen. Sie könnten die Mitgestaltung Europas in einer Form verwirklichen, wie sie die Aktivisten des „Pulse of Europe“ immer nur einfordern aber nie realisieren können. Wenn allerdings das „mitnehmen der Menschen“, wie es im Politikerdeutsch immer wieder gerne heißt, so aussieht, wie die üblichen, eher drögen Parteiversammlungen, wird das nichts mit dem „Funken“, der in unsere Gesellschaft überspringen soll. Auch hier hat der Pulsschlag für Europa gezeigt, dass man mit einfachen Formaten viel erreichen kann. Jetzt sind Ideen gefragt. Wenn die Großkoalitionäre das Europäische Projekt nun zum Schwerpunkt Ihrer Arbeit erklären, dann werden sie schnell liefern müssen. Denn alleine das Sondierungspapier oder vielleicht auch der Koalitionsvertrag sind geduldig und vor allem emotional kaum aufzuladen. Jetzt aber schnell, möchte man den Parteien zurufen, denn solange ist es gar nicht her, dass es hieß: „Hast Du einen Opa, schick ihn nach Europa!“.
Bildquelle: © Superbass / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons), 2017-03-26-Pulse of Europe Cologne-0183, CC BY-SA 4.0
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