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Was Konservativ bedeutet – Eine Rezension

Wenn Joschka Fischer früher gefragt wurde, wie Konservative ticken, empfahl der Grüne die Lektüre der Kommentare und Leitartikel von Konrad Adam in der FAZ. Dann aber wechselte der Kolumnist erst zu Springers „Welt“ und tauschte später auch noch seine CDU-Mitgliedschaft gegen ein Führungsamt bei der AfD ein, das er inzwischen allerdings nicht mehr bekleidet. Als respektable Referenzgröße für Liberal-Konservative in Deutschland dürfte Adam also wegen seines Flirts mit den Rechtspopulisten nicht mehr gelten, selbst wenn er auf Distanz zu den Extremen in der AfD und gerade zum Partei-Vorsitzenden Alexander Gauland geht.

Neuerdings muss man sich wohl an einen anderen Kronzeugen halten, der exemplarisch ausspricht und schreibt, wie es um die konservative Politik in der Bundesrepublik steht: Andreas Rödder (51), Professor für Neueste Geschichte in Mainz und Autor historischer Bestseller („21.0. Eine kurze Geschichte der Gegenwart“), der sich ganz offen dazu bekennt, 1993 in die CDU eingetreten zu sein, um ein Zeichen gegen die allgemeine „Parteienverdrossenheit“ sowie gegen die „programmatische Entkernung“ der Union zu setzen, wie er im Prolog seines neuen Buches erklärt. Rödder gilt nun als erste Adresse für die Antwort auf die ewige K-Frage: Was ist konservativ und was bedeutet Konservatismus heute?

Dass Rödder einerseits mit dem Untertitel („Eine Agenda für Deutschland“) begrifflich an Gerhard Schröders „Agenda 2010“ andockt, andererseits mit seinen zehn Thesen für einen Konservatismus der Zukunft an den Zehn Geboten oder dem Zehn-Punkte-Plan Helmut Kohls zur deutschen Einheit Maß nimmt, hat gewiss mehr mit Marketing-Strategie als mit inhaltlicher Notwendigkeit zu tun. Das schmälert aber nicht den Erkenntnisgewinn, den der Autor seinen Lesern mit dem Ergebnis besonders seiner Analyse bereitet – weniger mit konkreten Handlungsanleitungen auf den von ihm vorrangig beackerten Politikfeldern Migration, Umwelt, Familie und Bildung.

So liefert Rödder zwar den akademisch-philosophischen Überbau für eine moderne CDU-Programmatik, nicht aber die Blaupause für ein konkretes Parteiprogramm. Dazu sind seine Überlegungen denn doch zu allgemein („Deutschland braucht einen neuen Ruck“), seine Schlagwörter („Digitaler Humanismus“) zu vage. Es sind Überschriften für ein christdemokratisches Vademecum, doch keinesfalls der detaillierte Entwurf für ein neues Programm, über das alsbald ein CDU-Parteitag abstimmen könnte. Rödder ist ja auch Wissenschaftler und Publizist, kein Funktionär oder Referent aus dem Berliner Konrad-Adenauer-Haus.

Modernisierung-Sozialdemokratisierung

Hilfreich für die derzeit stattfindende Debatte innerhalb der Union ist der Essay allemal, weil der Text Klarheit schafft. Er gibt all jenen recht, die der vormaligen Partei-Chefin Angela Merkel vorwerfen, sich mit der von ihr betriebenen „Modernisierung“ – andere sprechen von „Sozialdemokratisierung“ – weithin „an rot-grüne Positionen und Wählerschichten“ angenähert zu haben. Zumal mit ihrer Flüchtlingspolitik 2015, so kritisiert der Historiker den damaligen Kurs der Kanzlerin, eröffnete Merkel „eine Repräsentationslücke in der rechten Mitte“. Die Folge für die CDU:“Die Vernachlässigung des liberalkonservativen Teils führte zu einer inneren Spaltung der Partei.“

Diese Kluft will Rödder mit seiner Neuvermessung überwinden helfen, es geht ihm ausdrücklich „um einen modernen Konservatismus als Kern einer Volkspartei der rechten Mitte“, also um die Zukunft der Union. Ob sich damit die mittlerweile 2000 Mitglieder der „Werteunion“ überzeugen lassen, die „wegen Merkel“ entweder aus der CDU ausgetreten sind oder auf ein Rollback mit der neuen Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer hoffen? Jedenfalls sympathisiert Rödder erkennbar stärker mit wertkonservativen, gelegentlich auch marktradikalen Positionen als die Bundeskanzlerin, und die FDP erscheint ihm als der geborene Koalitionspartner deutlich näher als die Grünen, vielleicht mit Ausnahme von Winfried Kretschmann. „Heimat“, „Familie“, „Patriotismus“, „Leistungsbereitschaft“, „Selbstverantwortung“ – aus diesen Eckpfeilern besteht für Rödder eine „bürgergesellschaftliche Leitkultur“, die angeblich weder ausschließen noch diskriminieren will. Wirklich?

Es klingt alles ziemlich plausibel in Rödders Leitfaden für Konservative. Was ließe sich schon gegen seinen Rückgriff auf Edmund Burkes klassisches Diktum einwenden, konservativ seien die „Bereitschaft zum Bewahren und (die) Fähigkeit zur Verbesserung, beides zusammen“? Das Problem aber bleibt, und der Autor ist ehrlich genug, dieses Dilemma im letzten Absatz einzuräumen:“All das (Konservative) lässt sich nicht scharfkantig definieren.“ Die einen sagen (mit Merkel) so, die anderen (mit Merz) so.

Bildquelle: Buchtitel, C.H. Beck Verlag
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geboren 1951 in Krefeld, Studienabschluss Germanistik/Sozialwissenschaften an der Uni Köln, bis 1999 Korrespondent der SÜDWEST PRESSE in Bonn, bis 2017 in Berlin. Seitdem freier Autor für die SWP u.a. in Berlin.


'Was Konservativ bedeutet – Eine Rezension' hat einen Kommentar

  1. 4. April 2019 @ 10:02 Daniel Feiner

    Interessanterweise hat gerade die WerteUnion dafür gesorgt, dass die CDU nicht noch mehr Mitglieder verliert. Viele sind nämlich nur noch in der CDU, weil sie hoffen, dass die WerteUnion das Ruder rumreißen kann und manche sind extra deshalb in die CDU eingetreten, um in der WerteUnion genau daran mitwirken zu können.

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