Weil Klausuren nicht die Welt verbessern, ist auch die sozialdemokratische Welt heute nicht sehr viel besser geworden. Positiv ist es zweifellos, dass die Parteiführung mit gutem Beispiel voran gehen will. Gutes Beispiel dafür, sich nicht ständig um das eigene Befinden, die eigene Stabilität, die eigenen Zwistigkeiten zu drehen wie ein altes Kinderkarussell. So wie bei dem berühmten Karussell hin und wieder ein weißer Elephant, taucht beim SPD-Karrussell regelmäßig der Personalwechsel auf. Man hätte längst lernen können, dass dort kein Heil zu finden ist, weil es Heilsbringer nicht gibt. Nun also scheinen Mann und Frau Parteivorstand dies begriffen und ein Mindestmaß an Einigkeit gefunden zu haben.
Zu ihrer Entlastung ist aber auch anzumerken, dass viel mehr Medienmenschen als Sozialdemokrat*innen selbst über eine Ablösung von Andrea Nahles schwadroniert hatten. Selbst dem sozialdemokratischen runnig-gag Kevin Kühnert muss der Personalwechsel in seine Forderung nach Parteitagsvorverlegung hinein interpretiert werden. Gut, also Geschlossenheit.
Eine andere Sache ist, dass die SPD stets eine inhaltliche Begründung für das Streben nach und die Beteiligung an Regierungsmacht benötigt. Davon ist nach der Vorstandsklausur heute aber keine Rede gewesen.
Andere Parteien brauchen nur zu sagen, dass sie Regierungsmacht anstreben – wie langfrisitg auch immer – sonst wären sie ja keine politischen Parteien. Der SPD wird so etwas traditionell nicht abgenommen. Beim Eintritt in die jetzige Koalition mit den Unionsparteien haben die Gründe dafür offenbar eine große Mehrheit der SPD-Mitglieder überzeugt. Einen wesentlichen Anteil daran hatten die Aussagen des Koalitionsvertrages über eine verbesserte Europapolitik und eine reformierte EU.
Während manch ein sozial- und wohnungspolitisches Koalitionsziel schon erreicht ist, hat sich auf diesem Feld erkennbar noch gar nichts getan. Merkel ließ Frankreichs Macron bisher am ausgestreckten Arm verhungern und die SPD schaute offenbar nur zu.
Als Ergebnis droht, dass die Mitgliedsstaaten, die noch wissen, wozu die EU sowohl friedens- als auch wohlstandspolitisch gut ist, gegen die vielen rechtsnationalistischen Regierungen in die Defensive geraten. Keine guten Aussichten für Europa. Vielleicht könnten Frankreich, Deutschland und einige andere nicht zuletzt mit Ideen Macrons noch eine gelingende politische Offensive hinkriegen, vielleicht ist es dazu aber auch schon zu spät.
Wie auch immer: In der Politik gilt, dass diejenigen mit einem schlechten Konzept stets gegen die ohne jegliches Konzept obsiegen werden. Das europapolitische Konzept der Italiener und anderer ist offenkundig vorhanden und ein schlechtes, Europas Zerstörung wird in Kauf genommen oder gar angestrebt.
Wo also bleibt das konstruktive Konzept aus Deutschland, dessen Bevölkerung zuletzt ständig wachsende Europbefürwortung zeigt? Es wird dringend benötigt! Es kann aus den Formeln des Koalitionsvertrages abgeleitet werden. Es sollte JETZT debattiert werden!
Wer, wenn nicht die SPD könnte das glaubhaft tun?
Europa und seine Verbesserung muss um der Sache willen dringend in den Mittelpunkt sozialdemokratischer Politik gerückt werden. Es geht dabei keineswegs um die bevorstehende Europawahl. Es geht vielmehr um die Zukunft der EU selbst. Würde sie mit der Leidenschaft debattiert und gefordert, wie sie einem Martin Schulz zu eigen ist, hätte die Europabegeisterung einen Namen: SPD. Nebenbei hülfe es auch bei der Wahl, vor der man sich aktuell aus Angst vor dem nächsten Tiefschlag schon ein wenig weggeduckt. Die wunderbare Katharina Barley allein wird der SPD den aufrechten Gang kaum zurückgeben können.
Anstatt also ein bisher von ihr vernachlässigtes Thema aus dem Schatten ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken und daran zu erinnern, dass es als ein wichtiges Projekt dieser Regierung vereinbart ist, hat sich die SPD von ihren internen Koalitiongegnern in eine ganz merkwürdige Lage bringen lassen.
Der bei jeder – auch unpassender – Gelegenheit ausbrechende Ruf nach alsbaldigem Koalitionsaustritt führt dazu, dass vielfach nicht die Gründe für das Regieren erläutert sondern der Grund zum Ausstieg aus der Koalition gesucht wird. Dass man nicht aus parteiegoistischen Motiven aus einer Koalition gehen kann, hat sogar der bereits erwähnte Kevin Kühnert begriffen. Dass die öffentliche Suche nach einem anderen Grund am öffentlichen Eindruck des Parteiegoismus jedoch nichts ändert, begreifen die selbsternannten Parteilinken nicht. Die Wiederentdeckung des Europathemas könnte hingegen den fatalen Eindruck, man suche nur nach einem Grund zu gehen, eindrucksvoll entkräften.
Übrigens auch nach dem CDU-Parteitag im Dezember hätte die SPD eine große Chance auf dauerhaften Kompetenzgewinn. Wichtigster europapolitischer Akteur in der Regierung nach der Kanzlerin ist der (derzeit sozialdemokratische) Finanzminister. Europapolitische Kompetenz hat hingegen keine*r der Bewerber*innen um den CDU-Vorsitz. Herr Merz hat als einziger etwas europaspezifisches: Er kennt sich aus im Netzwerk derer, deren Einfluss der EU geschadet hat wie nur wenig anderes: der Lobby des Finanzkapitals.
Selbst den sozialdemokratischen Koalitionsgegnern müsste das Europathema demnach gefallen, denn im Falle des Merz würde es wohl auch einen glaubwürdigen Scheidungsbrief ermöglichen können.
Dem Kommentator bleibt nur das Bedauern, dass Europa von der heutigen SPD-Vorstandsklausur (noch?) nicht entdeckt worden ist als eigenständiges, von Wahlkämpfen unabhängiges und zugleich dringliches Thema der politischen Auseinandersetzung.
Bildquelle: pixabay, pixel2013, CC0 Creative Commons