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Home Politik

Im Verein beginnt die „Heimatisierung“

Gül Keskinler Von Gül Keskinler
5. Mai 2017
Integration

Vor einigen Wochen bei einem Kreisligaspiel im Berchtesgadener Land, direkt an der österreichischen Grenze: In der Mannschaft der Gastgeber spielen neben den urbayerischen Kickern auch mehrere Spieler mit Migrationshintergrund, darunter ein Polizeibeamter mit türkischen Wurzeln und sogar ein syrischer Imam – kurzgesagt: fußballaffine junge Männer aus der schönen ländlichen Gegend. Demetrius, der Trainer der Heimmannschaft, erklärt mir begeistert, dass sie in dieser Saison eine zweite Mannschaft hätten aufstellen können und dass seine Jungs in der Viererkette spielen! Und ja, schnell und direkt sah das Spiel aus. Doch am Ende stand es trotzdem 0:1 für die Gäste. Die betrübten Gesichter kann man sich vorstellen. Aber die Männer von Demetrius haben einen anderen Sieg davongetragen: Sie haben sich über kulturelle Grenzen hinweg gefunden – und damit auch ein Stück neue Heimat gewonnen.

Die Spielregeln auf dem Platz sind weltweit dieselben: Sie sind eine globale Ordnung, die jeder versteht – ganz egal, aus welcher sozialen Schicht wir kommen, welche Herkunft wir haben oder welchem Glauben wir anhängen! Verhaltensleitlinien gelten im Kleinen, also innerhalb einer Mannschaft. Genauso sollte es im Großen sein, wenn es um das gesellschaftliche Miteinander, um Völkerverständigung und die menschlichen Begegnungen geht. Es ist die Leitkultur auf dem Fußballplatz, die sich auf alles andere übertragen lässt.

Neue, aber fremde Welt

Wenn wir für das Studium oder für einen Job in eine andere Stadt oder in ein anderes Land gehen, dann spüren wir oft genug Heimweh. Wir vermissen Familie, Freunde und unsere gewohnte Umgebung. Der Hauptgrund für Heimweh besteht darin, dass es eine Zeit lang dauert und auch Schwierigkeiten macht, sich in der veränderten Umgebung zurechtzufinden und anzupassen. Als Flüchtling sieht das Leben in der neuen für ihn rettenden, aber fremden Welt ganz anders aus. Alles beschäftigt ihn sehr, die fehlenden Sprachkenntnisse, die kaum vorhandenen finanziellen Mittel, das Defizit an Privatsphäre im Heim.

Die Akklimatisation in der neuen Umgebung ist ein langsamer Prozess. Es ist alles neu, auch die deutschen Tugenden wie Pünktlichkeit, Hausordnung und Mülltrennung. Was ist Deutsch? Warum sind so wenige Menschen auf der Straße? Was essen die Deutschen? Trinken sie nur Bier? Was denken und fühlen sie? Mit Hilfe der vielen ehrenamtlich tätigen Menschen versuchen die Flüchtlinge den Alltag zu meistern.

Neben den Abläufen des Alltags quälen sie sich mit den nicht endenden Konflikten und Kriegen in ihren Herkunftsländern. Ihre Sorgen um die Familie machen die Neuzugewanderten oft lethargisch. Wissenschaftler bestätigen, dass ein großer Teil der Flüchtlinge traumatisiert ist. Die Gesellschaft wird große Integrationsleistungen aufbringen müssen, um einen Zerfall in Kulturen und Identitäten ohne gemeinsame Wertebasis zu verhindern. Alle sind gefragt, mit und ohne Migrationshintergrund. Denn Integration ist eben keine Einbahnstraße.
Selbst wenn manche Flüchtlinge nur für eine begrenzte Zeit bei uns bleiben und Schutz genießen, so werden sie doch später ihre Erfahrungen – auch unsere Werte – in ihre Heimatländer mitnehmen. Sie werden auch unser Verständnis von Demokratie und Gleichberechtigung mitnehmen. Damit können sie für Wiederaufbau und Frieden in ihren Herkunftsländern einen persönlichen Beitrag leisten.

Wieviel Anpassung verlangen wir

Bei den Flüchtlingen wiederum, die Deutschland zu ihrer neuen Heimat machen, ist zu fragen, wieviel Anpassung wir von ihnen verlangen können, ohne dass sie ihre Identität verlieren? Institutionen, Verwaltungen und freiwillige Organisationen müssen hier professionelle Arbeit leisten – denn der „soziale Kitt“ generiert sich nicht automatisch, sondern muss geschaffen und beschafft werden.

Heimat und Identität hat mit eigener Überzeugung, mit Echtheit, mit Glaubwürdigkeit zu tun. Identität heißt, sich einer Gruppe, einer Region, einer Nation zugehörig zu fühlen und sich gleichzeitig seiner Individualität bewusst zu sein. Identität ist nichts Glattes und unveränderbar Ganzes, sondern ein zerbrechliches Mosaik, das genährt, gepflegt und ständig überprüft werden muss. Das Grundgesetz bildet für alle die wichtigste Orientierung für das friedliche und gedeihliche Miteinander einer multikulturellen Gesellschaft. Ja, es gibt allen das Recht auf eine eigene Kultur und Religion, wenn sie nicht gegen die Verfassung verstoßen und feindlich sind. Der Schutz der Menschenwürde ist ein quasi „heiliges Gebot“ – es gilt für die Würde eines jeden Menschen, ganz gleich wo er geboren wurde. Wir Deutschen sollten unsere Werte – vor allem auch die Personalität, Subsidiarität und Solidarität – vorleben, denn das wirkt identitätsstiftend und vorbildlich ebenso wie Weltoffenheit und Toleranz.

Kennen und Können

Viele Institutionen, Hilfswerke und Private haben sich hier und da mit durchaus großem Engagement und hohem staatlichen finanziellen Aufwand für die Integration von Migranten eingesetzt. Doch nach wie vor zeigen sich große Defizite in der praktischen Durchführung, da es vielfach an interkulturellen Konzeptionen und deren planvollen Umsetzung fehlt. Ob Integration, ob Inklusion oder Heimatisierung – diese großen Herausforderungen sind nicht nur mit dem guten Willen, sondern in erster Linie mit Kennen und Können zu meistern. Die Chancen für ein Gelingen sind noch gegeben, wenn ein Umdenken und Umsteuern in Ministerien, Verwaltungen und Institutionen sowie in unserer Gesellschaft möglichst umgehend erfolgen.

Bildquelle: pixabay, User geralt, CC0 Public Domain

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Tags: AsylAsylrechtGesellschaftIntegrationKriegsflüchtlingeLeitkultur-DebatteMigrationVereine
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