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Gerade nach der Klatsche für May: Europa bleibt das Ziel

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
16. Januar 2019
Brexit

 

Die Klatsche für die britische Regierungschefin May war ja vorauszusehen, wenn auch nicht in dieser Dimension. Die Frage, die sich nun stellt, ist auch: Was heißt das für Europa? Zerbricht der Westen, wie das der angesehene Historiker Heinrich August Winkler vor ein paar Jahren schon mal in einem Buch gleichen Namens versucht hatte, herauszufinden?  Darauf kann man nur antworten: Das darf nicht passieren, gerade angesichts der wachsenden zentrifugalen Kräfte in Europa, die von Nationalisten und Rassisten bedient werden.

„Es sind die Grundlagen der repräsentativen Demokratie, die von den populistischen Bewegungen in Frage gestellt werden“, hat Winkler vor ein paar Jahren betont. Insofern ist es eine gemeinsame Herausforderung des Westens, auch wenn ihr eigentlicher Meinungsführer, US-Präsident Trump, mehrfach zum Ausdruck gebracht hat, dass ihn das alles nicht interessiert und ihm die Werte, an denen wir hängen, und in deren Zeichen einst die USA gegründet worden waren, wenig bis gar nichts bedeuten. Für ihn heißt es nur noch: America first, America first. Money, money, money.

Doch damit dürfen wir uns nicht abfinden, Trump wird irgendwann Geschichte sein, aber die Menschenrechte dürfen es nicht sein, die Herrschaft des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren, die Gewaltenteilung, die Demokratie, wie wir sie in Deutschland nach 1945 eingeführt haben. Dem Historiker Winkler kann man nur zustimmen, was aber nicht heißt, dass die Schlacht geschlagen ist. Die Demokratie, darauf hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kürzlich hingewiesen, ist nicht selbstverständlich, sie muss erkämpft, Tag für Tag gegen ihre Feinde verteidigt werden. Von den Demokraten. Es lebe die Republik! hat der Bundespräsident gesagt. Ein großes Wort.

Allein sind wir zu schwach

Die Auseinandersetzung in Großbritannien ist mit der Niederlage der Regierungschefin nicht zu Ende. Der Kampf geht wahrscheinlich jetzt erst richtig los und niemand kann vorhersagen, wohin die Reise geht. Das Land, die Bewohner der Insel sind tief gespalten, gemeint vor allem wohl die Engländer, von denen ein nicht unbeträchtlicher Teil sich in Europa ganz offensichtlich nicht wohl fühlt. Oder fühlen sie sich gegängelt von Brüssel? Ist Deutschland ihnen zu stark? Ich habe bis heute nicht begriffen, was sie eigentlich wollen. Sie sind keine Weltmacht mehr, sie sind ein wichtiger Bestandteil der Europäischen Union und sollten es bleiben. Allein sind sie in Zeiten der Globalisierung zu schwach, um sich als Wirtschafts-und Finanzmacht behaupten zu können. Das gilt im übrigen für alle anderen Völker der EU genauso, auch für Deutschland, für Frankreich, um die beiden stärksten Länder zu nennen. 550 Millionen Europäer sind eine Macht, aber nur, wenn sie zusammenhalten, mit einer Stimme sprechen.

Ich mag die Engländer mit ihrer Besonderheit, ihrem Humor, ihrem skurrilen Auftreten. Fußballspiele zwischen Deutschen und Engländern waren immer etwas Besonderes. Bei solchen Anlässen setze ich auf die Deutschen, auf einen Sieg. Und natürlich haben die Engländer sich die Kehle heiser geschrien, damit ihre Kicker gewinnen. Das ist im übrigen bei Spielen gegen die Franzosen nicht anders. Bei den Duellen im Handball gegen die Russen und Franzosen habe ich mit deutschen Mannschaft gehalten. Ja, natürlich. Was denn sonst?!

Aber der Hang zum Nationalismus erschließt sich mir nicht, weder in Großbritannien noch in Deutschland, Italien, Ungarn  oder Polen. Das Auftreten von Italiens Innenminister Salvini schreckt mich eher ab, sein Poltern gegen Flüchtlinge gleicht eher Handlungen von Proleten, nicht aber denen eines Politikers, denen man die Zukunft eines Landes anvertrauten würde. Stichwort Polen: das Land hat in der Vergangenheit viel Geld von Brüssel erhalten. Man kann das sehen, wenn man durch Polen fährt. Überall sieht man die Schilder: Gefördert von der Europäischen Union. Polen hat in seiner Geschichte viel Übles ertragen müssen, war geteilt, besetzt, wurde zerstört. Gerade wir Deutschen haben da eine besondere Verantwortung gegenüber unseren Nachbarn, sollten Rücksicht auf deren Befindlichkeiten nehmen. Der Überfall von Nazi-Deutschland 1939 ist nicht vergessen. Das Denkmal in Warschau, das an den Aufstand erinnert, mahnt an die schlimme Zeit. Aber man kann auch anderes sehen, das Mut macht, wie das Denkmal, das an Willy Brandts Kniefall erinnert. Seit dem Ende des Warschauer Pakts und dem Beitritt Polens zur EU ist das Land souverän,  niemand bedroht sie wirklich, auch nicht die Russen. Die Mitgliedschaft Polens in der EU und der Nato ist quasi die Garantie für ihre Sicherheit. Dass ihre Regierung dennoch die Werte  des Westens in Zweifel zieht, dass sie die „gewaltenteilenden checks und balances“ außer Kraft gesetzt haben, eben die Herrschaft des Rechts bestreiten, lässt Zweifel an ihrem demokratischen Bestreben aufkommen. Dabei haben sie doch in der Zeit der kommunistischen Herrschaft leidvoll erlebt und erlitten, was es für ein Volk bedeutet, wenn eine Herrschaft des Unrechts und der Willkür an die Stelle der Herrschaft des Rechts treten.

Renaissance des Nationalismus

Die Renaissance des Nationalismus ist eine Gefahr, der die Völker der Europäischen Union begegnen müssen. Gemeinsam, mit einer Stimme. Es führt in die Irre, wenn sich nationalistischer Egoismus weiterhin breit macht, wenn nur jeder europäische Staat seinen Vorteil sucht, gern das Geld aus Brüssel kassiert, aber dann versagt, wenn Solidarität gefragt ist, wie zum Beispiel bei der Flüchtlingskrise. Es kann ja sein, dass das Handeln der deutschen Kanzlerin Angela Merkel 2015 als Alleingang empfunden wurde. Aber was hätte sie in der Situation, in der sie sich befand, tun sollen? Die Menschen in Not zurückweisen, notfalls mit Waffengewalt daran hindern lassen, die Grenze zu überschreiten? Sie hat Fehler gemacht, keine Frage. Aber klar ist auch, dass die Flüchtlings-Probleme nur gemeinsam zu lösen sind, dass es ein Fehler war, am Anfang der Flüchtlingswellen Italien und Griechenland allein gelassen zu haben.

Die Zeit muss vorbei sein, da jeder Staat in Europa nur auf seinen Wettbewerbsvorteil aus ist. Wir brauchen gemeinsame Standards in der Sozialpolitik, bei Löhnen, in Fragen der Umwelt, der Steuern. Das Europa-Parlament muss gestärkt werden gerade gegenüber dem europäischen Rat und der Kommission. Wir müssen lernen, europäisch zu denken. Europa darf nicht nur der Exportraum sein, in den die erfolgreichen Volkswirtschaften zum Beispiel aus Deutschland ihre Waren ausführen.

Das Nein des britischen Parlaments ist ein Warnschuss, wie die ganze Brexit-Entwicklung ein Warnschuss sein muss. Wir sollten uns wieder an die Anfänge Europas erinnern, was leider schon in Vergessenheit geraten ist. Die Idee zu einem gemeinsamen Europa entstand auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs, auch einer wie Winston Churchill, der Hitler die Stirn geboten und ihn am Ende mit Hilfe der Amerikaner und Sowjets besiegt hatte, hat dafür plädiert. Für ein Europa, auch um das zu mächtige Deutschland einzubinden, damit es nicht zu den fatalen Entwicklungen kommt, die Europa fast zerstört hätten.

Es geht nur gemeinsam

Es geht nur gemeinsam. So überschreibt die SZ einen Gastbeitrag des Historikers Eckart Conze, indem der Marburger Historiker an die Pariser Friedensgespräche erinnert, die ziemlich genau vor 100 Jahren eine Welt ohne Krieg schaffen wollten. Das sollte die Lehre aus dem Ersten Weltkrieg sein, der Urkastastrophe des 20. Jahrhundert. Das Scheitern dieser Konferenz damals nennt Conze „beunruhigend aktuell“.

Am 18. Januar 1919 hatte der französische Staatspräsident Poincaré im Uhrensaal des Außenministeriums am Quai d´Orsay die Pariser Friedenskonferenz eröffnet. Die Verlierer des Kriegs, allein voran Deutschland, waren nicht eingeladen. Poincaré erinnerte dabei daran, dass 48 Jahre zuvor, am18. Januar 1871, im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles, das Deutsche Kaiserreich proklamiert worden war. („Es lebe Kaiser Wilhelm“, hatte der Herzog von Baden ausgerufen.)Einen Frieden der Gerechtigkeit und der Sicherheit wollten sie schaffen, so zitiert Conze den französischen Außenamtschef, daraus wurde später der Versailler Vertrag, der sich als alles andere erwies als eine Lösung hin zum gerechten Frieden und zur Sicherheit. Konstantin Fehrenbach von der Zentrumspartei bezeichnete ihn als „Verewigung des Krieges“ . Schon zwei Jahrzehnte später begann der Zweite Weltkrieg, der an Zerstörung und Toten alles bisher Erlebte in den Schatten stellte. Nichts wurde gelöst, es entstanden in Europa und im Nahen und Mittleren Osten mehr Konfliktherde als vorher.

Die Hoffnung, schreibt der Historiker Conze, der Erste Weltkrieg sei der Krieg gewesen, der alle Kriege beendete, erwies sich genauso als Illusion wie die Erwartung am Ende des kalten Kriegs 1990, als man vom „Ende der Geschichte“ sprach. Das europäische Haus wurde entworfen und Russland wollte dort ein Zimmer haben. Was ist daraus geworden? Alle Versprechen, die der Westen dem damaligen Sowjet-Führer Michail Gorbatschow gegeben hatte, wurden nicht gehalten, die Grenze des Westens nach Osten verschoben. Wir vergessen beim Konflikt um die Krim allzugleich, dass es die EU war, die Gespräche mit der Ukraine statt mit Moskau führte. Und dass im Fall der Mitgliedschaft der Ukraine in der EU und der Nato- das war doch das Ziel- die Grenze der Nato um 1000 Kilometer nach Osten verschoben worden wäre, Russland hätte mit der Nato eine gemeinsame Grenze gehabt. Es wird vergessen oder verdrängt, dass die Schwarzmeer-Flotte der Russen an der Krim stationiert war und deren Oberbefehlshaber in Moskau sitzt. Die Invasion der Russen musste einkalkuliert gewesen sein in den Köpfen der Militärs im Westen oder es handelt sich um Träumer.

Chancen auf ewigen Frieden

Es gab soviele Chancen auf den sogenannten ewigen Frieden, gerade in Europa, die nie genutzt wurden. Der Völkerbund gehörte dazu, wie die erwähnten Friedenskonferenzen. Auch die Vereinten Nationen haben Kriege nicht verhindern können. Daran zu erinnern, vor allem an die Schrecken und Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs, die Vertreibung von Millionen Deutschen aus den Ostgebieten, an die Ermordung von Millionen Juden durch die Nazis, ist eigentlich das Gebot der Stunde. Aber der Erzähler muss damit rechnen, dass die Gegenseite sich abwendet. Die Geschichte ist alt, ja natürlich, das hat Geschichte so an sich. Aber aus der Geschichte zu lernen, ist leider nur ein Spruch, der der Realität nicht entspricht. Nachzulesen bei einem der renommiertesten Historiker und Politik-Wissenschaftler namens Prof. Karl-Dietrich Bracher, der vor ein paar Jahren in Bonn lehrte und in hohem Alter verstarb.

Am Tag nach dem Nein des Parlaments in London mahnt der Historiker Conze: “ Deutschland, Europa und die Welt sind wieder anfällig geworden für Nationalismus und Vorstellungen von Souveränität durch Abschottung, für jene alten Dämonen, von denen der französische Präsident Emanuel Macron am Jahrestag des Waffenstillstands von 1918 mit Blick auf die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg sprach“. Und er schließt mit dem Satz: „Damals zerstörten sie innerhalb weniger Jahre die Ansätze einer friedlichen internationalen Ordnung und mit ihr, weit über Europa hinaus, die Hoffnungen auf Freiheit und Demokratie.“ Eine Mahnung an alle, Politiker wie Bürgerinnen und Bürger. Der Friede in Europa und die Demokratie sind keine Selbstverständlichkeiten. Wir müssen sie verteidigen. Gegen die Nationalisten und Egoisten.

Quellen: Eckart Conze: Es geht nur gemeinsam.  „Süddeutsche Zeitung“. Heinrich August Winkler: Zerbricht der Westen. Beck-Verlag, München 2017.

Bildquelle: Bildquelle: freestocks.org, Joanna M Foto, via Pexels

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