Italien war wieder mal in aller Munde in der jüngsten Vergangenheit, aber erneut war das Land, wo die Zitronen blühen, eher im Gerede als im Gespräch, weil vieles verwelkt wirkt in diesem herrlichen Land im Süden von Europa. Ja, Italien ist schon länger nicht mehr das „La Bella Italia“, wie es sich nicht nur die Deutschen erträumten. Die Hauptstadt Rom vermüllt, Venedig unter Wasser, das größte Stahlwerk Europas vor dem möglichen Ende, weil eine Dreckschleuder, Alitalia zum Schlussverkauf angeboten. Doch plötzlich meldet sich der Bürger Italiens zu Wort, nicht die Parteien, sondern Italiener, die sich sorgen um die Zukunft ihrer Heimat, wenn man so will Bürgerinitiativen, die aus der Null entstanden sind und die die Politiker auffordern, endlich zu handeln, damit Italien nicht absäuft, sondern zu alter Stärke erwacht- Zeit wird es, vielleicht passt es ja gut, dass wir gerade in Brüssel eine neue Kommission haben, vielleicht wäre Italien ja der Prüffall, an dem Europa zeigen kann, was eine Gemeinschaft wert ist.
Sie nennen sich merkwürdigerweise Sardinen, im italienischen heißt es „movimento delle sardine“. Aber was hat der Fisch Sardine mit der Politik zu tun, mit dem desaströsen Zustand des Landes? Es hat mit dem Zusammenhalten eines Volkes zu tun. Es gab keine Kundgebung, Fische sprechen nicht, zumindest für Menschen nicht erkennbar. Zunächst war die Bewegung eine Reaktion auf Matteo Salvini nach seinem Erfolg bei Regionalwahlen in Umbrien, ausgerechnet im einst roten Umbrien machte sich die Lega breit und gewann mit großem Abstand die Wahl. Als Salvini den Köder für seine Kandidatin in Bologna ins Wasser warf, bissen die Bürger der Stadt nicht an, sie zeigten ihm, dass sie ihm Bologna nicht überlassen wollten. Ihm und seiner Lega, die das Gegenteil dessen ist, was Bologna verkörpert: eine Unistadt, die bekannt ist für die Offenheit und Aufnahmebereitschaft auch von Fremden, Andersdenkenden, bekannt für die Vielfältigkeit, gegen Nationalismus und Faschismus. Das Bemerkenswerte an diesem Ereignis war, dass es die Runde machte, dass es sich ausbreitete in andere Städte, deren Bürger anbissen, obwohl sie nicht von Wahlen betroffen waren.
Auf Bologna folgten Modena, Bergamo, Pesaro, Florenz, aber eben auch der Süden Italiens mit Sorrento und Neapel. Die Sardinen sind eine Bewegung über das ganze Land geworden. Und heute schloss sich der Sardinen-Bewegung die andere europäische Bewegung an, um Greta Thunberg, Friday for Future. Da haben sich zwei gefunden, die dem kranken Italien helfen könnten. Denn die Krankheit des Landes ist ja hausgemacht, sie fiel nicht vom Himmel. Dass Venedig immer wieder unter Wasser steht, hat mit des Menschen Hand zu tun. Man hat das Stauwerk, in das viele Milliarden Euro geflossen sind und das bei Hochwasser das Meer von der Lagune trennen soll, immer noch nicht fertig. Man hat darüber hinaus die Lagune derartig vertieft, dass die Wassermassen die wunderschöne Stadt Venedig überfluten. Dazu kommen die Kreuzfahrschiffe, für die man die Lagune vertieft hat, und diese monströsen Schiffe fahren quasi auf den Markus-Platz zu. Tausende von Menschen werden ausgespuckt, ans Land gesetzt, aber diese Touristen bringen kaum Geld, weil sie auf den Schiffen rundherum versorgt sind. Ein Wahnsinn. Den Touristen freut es, die wenigen Einheimischen klagen und leiden unter diesem Massen-Tourismus.
Die Einwohner Venedigs ziehen mehr und mehr aufs Festland. Geblieben sind noch 50.000 Einwohner gegenüber 80.000 Touristen täglich, oder 30 Millionen im Jahr. Ein Apotheker in Venedig führt darüber Buch: 1951 lebten in der Stadt Venedig noch 218.845 Menschen. Wenn das so weitergeht, sind die Touristen bald unter sich.
Die Fluggesellschaft Alitalia ist ein weiteres Sorgenkind und zwar seit Jahrzehnten. Die deutsche Lufthansa wollte schon vor Jahr und Tag die Gesellschaft kaufen, was aber von der Politik abgelehnt wurde. Aus Stolz oder aus Angst vor der möglichen Monopolisierung. Aber nunmehr steht Alitalia wieder vor den gleichen Problemen und der Staat kann einfach nicht mehr dafür aufkommen. Andererseits ein Land wie Italien, eine der größten Volkswirtschaften in Europa, kann es kaum leisten, ohne eine eigene Flotte zu bestehen. Es gibt keine Lösung, erfahrene Flugkapitäne werden arbeitslos und in Frührente geschickt und durch junge Flieger ohne Erfahrung ersetzt. Das ist auf den ersten Blick billiger, aber eben nur auf den ersten. Eine rosige Zukunft sieht anders aus.
Dann ist da noch Tarent, das größte Stahlwerk Europas. Der größte Eigentümer ist ein Inder, der kaum vor einem Jahr einem Abkommen mit der früheren Regierung zugestimmt hatte. Ziel war die Sanierung des Werkes, sowohl finanziell wie auch unter dem Gesichtspunkt der Umweltverschmutzung. Die ganze Umgebung ist verseucht. Tarent hat die größte Krebsquote im Land, besonders unter den Kindern ist Leukämie verbreitet. Die erwarteten Gewinne sind wegen der weltweiten Stahlkrise ausgeblieben. Und der indische Mehrheits-Eigentümer will aussteigen. Unvorstellbar, wenn dieses Werk dicht gemacht würde. Allein in diesem Werk sind 8000 Menschen beschäftigt, gar nicht zu reden von den Zulieferern. Im Grunde ist die ganze Stadt davon abhängig. Der Hafen ist ausgebaut worden, damit der Stahl geliefert und transportiert werden konnte, es wurde gebaut und gebaut. Und jetzt droht das Ende.
Vor gut einem Jahr ist in Genua eine Brücke eingestürzt, viele Menschen wurden dabei getötet, viele verloren ihre Häuser und Wohnungen als Folge dieser Katastrophe. Vor einiger Zeit ist wieder eine Brücke eingestürzt, dieses Mal traf es eine Autobahn-Trasse Richtung Savona. Zwei Horrormeldungen, die den schlechten Zustand der Infrastruktur Italiens deutlich machen. Man kann hier viele Beispiele nennen, der Tourist in Rom kennt sie zur Genüge, ausgerechnet in der Metropole, der ewigen Stadt. Man kennt die Müll-Probleme Neapels, das ganze Land weiß nicht wohin mit dem Abfall. Mafia und Camorra aber schon. Sie sorgen erstmals für die Entsorgung des Giftmülls ohne Fragen zu stellen, dann kümmern sie sich um die Sanierung der verseuchten Böden. Schon gehört von der „terra dei fuochi“?
Über die brach gestellten Großbaustellen – wie z. B. die Schnellzugtrasse Turin-Lion, auch ein EU-Projekt, haben wir schon oft genug berichtet.
Die Probleme Italiens sind auch in der Politik begründet. Ein Blick zurück: Die zweite Regierung Prodi bestand aus 17 Parteien. Wie soll da regiert werden? Es ging damals um eine Koalition, deren Zweck darin bestand, Berlusconi von den Hebeln der Macht fernzuhalten. Der Fehler hat sich leider wiederholt. Die Koalition aus PD und Movimento Cinque Stelle wurde geschlossen, um Salvini und den primitiven Rechtspopulismus zu stoppen, mehr Gemeinsamkeiten sind leider nicht dabei. Noch einmal: Wie soll ein Land wie Italien geführt werden?
La Bella Italia, es bleibt ein Traum.
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