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Wunder der Weihnacht: Zwischen den Schützengräben war plötzlich Frieden  

Petra Kappe Von Petra Kappe
4. Dezember 2014
Gemeindehaus Hombruch

Evang. Gemeindehaus Hombruch im Dezember 1914

Wunder der Weihnacht: Auf dem Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs ereignete sich vor hundert Jahren wirklich Wundersames: Die feindlichen Soldaten ließen die Waffen schweigen – ohne offizielle Waffenruhe und gegen den erklärten Willen ihrer Kommandeure. Ungehorsam im Geiste einer höheren Macht. Brüderlichkeit über die Schützengräben hinweg.

Das Geschehen von 1914 fasziniert Europa bis heute. Mit Beginn der Adventszeit wird der Wunsch nach Frieden auf Erden sehnlicher. Doch in den Dutzenden bewaffneten Konflikten unserer Tage stellt sich kein Weihnachtsfrieden mehr ein. Die Mechanisierung des todbringenden Geschehens, die Automatisierung des Vernichtens lässt keine Atempause zu, kein Innehalten, kein Ergriffensein.

Deutsche und britische Soldaten erinnern in dieser Adventszeit an die denkwürdigen Szenen, die aus dem Kriegswinter 1914 berichtet werden. Sie tragen im englischen Aldershot ein Fußballspiel gegeneinander aus, so wie es die feindlichen Soldaten vor hundert Jahren an der Westfront taten. Wenn heute vom „Weihnachtsfrieden“ die Rede ist, dann gilt das der profanen Praxis der Behörden, in der Weihnachtszeit keine unangenehmen Bescheide zu verschicken.

An den Ursprung des Weihnachtsfriedens erinnerte die Volkskundlerin und Museumsleiterin Dr. Christine Schönebeck in Gladbeck. Sie führt das Gelingen des Wundersamen auf das Zusammentreffen der Weihnachtsseligkeit auf der einen Seite und des Fairplay auf der anderen zurück.

Knapp vier Monate nach Kriegsbeginn schlägt die Begeisterung in Depression um. Nach der verlustreichen Schlacht bei Langemarck in Belgien geht die gesamte Westfront zum Stellungskrieg über. Schönebeck illustriert, was das bedeutet: „Stillstand, Eingraben in den Matsch des Spätherbstes, Schützengräben anlegen, in den Stellungen wohnen, irgendwie, die Ernährung ist schlecht, es ist kalt. Stacheldraht. Gewehr. Bajonett, Handgranaten…“ Sie berichtet von den jungen Männern, die freiwillig in den Krieg gezogen sind. Die Geschichte des Gladbecker Gymnasiasten Franz Küster kennt sie aus dessen Briefen aus dem Feld. Er beendet die Schule vorzeitig, für eine gerechte Sache, wie er dachte, für Deutschland als Kulturnation, „mit Gott“ fühlte er sich „für König und Vaterland“. Die Ernüchterung folgt rasch. Weihnachten würden die Soldaten, anders als ihnen zugesagt war, nicht zu Hause sein.

Sie tauschen Geschenke aus und schießen nicht

„Weihnachten 1914 verlassen die verfeindeten Soldaten ihre Stellungen, singen gemeinsam Lieder, tauschen Geschenke aus und schießen nicht mehr.“ Schönebeck spricht von einer schönen Geschichte, „fast zu schön um wahr zu sein“. Im wissenschaftlichen Rückblick sei sie auch eine Geschichte des europäischen Zusammenwachsens, „der europäischen Identitätsfindung“.

Mit Zitaten aus Weihnachts- und Adventsliedern unterstreicht die Wissenschaftlerin das Ungeheuerliche der Situation. „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, Es kommt der Herr der Herrlichkeit, Ein König aller Königreich“ oder „Oh wohl dem Land, oh wohl der Stadt, so diesen König bei sich hat“ – „Ein anderer König wundergleich“: Die Erwartung im Advent richtet sich auf ein anders Reich, einen anderen König, ein anderes Heer.

„Das ist Sprengstoff“, erläutert Christine Schönebeck. „Weihnachten gefährdet die Kampfbereitschaft. Das Warten auf Weihnachten schürt die Friedenssehnsucht.“ Die Soldaten sind müde, sie frieren und sie erinnern sich: „Wisst ihr noch wie voriges Jahr, es am Heiligen Abend war?“ Zu Hause in den Familien, die nun ihre Söhne und Väter vermissen, ihre Onkel und Neffen. Trostlos. Aus Weihnachten wird Kriegsweihnachten. Bei den Weihnachtsfeiern der Vereine daheim fehlen die Männer. Die Frauen packen gemeinsam Päckchen. Sie stricken Socken und basteln und sie verschicken kleine Weihnachtsbäume.

Es kommt zu Verbrüderungen

In die Schützengräben sollten keine Tannenbäume mitgenommen werden, doch die deutschen Soldaten halten sich nicht daran. Verbrüderungen unter den Kriegsgegnern sind untersagt, und doch kommt es genau dazu unter Deutschen, Franzosen, Belgiern und Briten. „Auf allen Seiten war man müde, die Männer froren, sie hatten Heimweh, wenig zu essen, die Schützengräben waren voll Schlamm, Ratten überall.“

Christine Schönebeck beschreibt die Umstände. „Man konnte den Gegner hören, so nahe war man aufeinander gerückt. Zwischen den Stellungen lagen die Toten, man wollte sie beerdigen.“ Sie zitiert aus einer Ansprache des Kavallerie-Kommandeurs Hermann Binding an seine Reiter: „Deutsche Art ist es, Weihnacht zu feiern! Keiner unserer Feinde kennt den Zauber, die Macht des Lichterbaumes auf unser Gemüt, auf unsere Kraft.“ Und weiter: „Mit dieser Gewissheit wird unser heutiges Kriegsweihnachtsfest nicht zu einer Sentimentalität werden, nicht eine Hingabe an wehmütige Gedanken, sondern zu einem Symbol und sichtbaren Zeichen ungeheurer Gemeinsamkeit in unserer deutschen Art.“

Aus wissenschaftlicher Sicht gebe es vor allem zwei Gründe für den Weihnachtsfrieden 1914: die englische Mentalität des Fairplay und die deutsche Weihnachtsseligkeit. „Nicht schießen, wir schießen auch nicht.“ So einfach kann Verständigung sein. An einigen Frontabschnitten werden endlich die Toten geborgen, die schon so lange im Niemandsland liegen.

Sie sangen Weihnachtlieder

Britische und französische Quellen unterstützen die Annahmen. Ein französischer Offizier schrieb für die Gegend nördlich von Ypern: „Überall an der deutschen Front leuchteten Christbäume auf. Die Deutschen begannen Weihnachtslieder zu singen. Ich blickte mich in unseren Stellungen um. Alle standen aufrecht und waren hellwach, und schließlich stiegen sie auf die Brustwehr. Einige hatten den Graben verlassen und liefen ins Niemandsland, um den unerwarteten Gesang besser hören zu können. Keiner hatte Angst, keiner war zum Scherzen aufgelegt. Vielmehr sah ich in den Gesichtern der neben mir stehenden Soldaten ein Gefühl von Ergriffenheit. Nichts wäre leichter, als die Szene mit einer einzigen Salve zu beenden. Doch wir hätten es nicht fertiggebracht, auf diese betenden deutschen Soldaten zu schießen.“

Ein britischer Soldat schrieb: „Was für ein Tag. Wir tranken von ihrem Schnaps, von unserem Rum. Wir aßen gemeinsam, zeigten uns Fotos unserer Familien, lachten viel. Von irgendwo tauchte ein Fußball auf, und sie begannen zu kicken, zwischen den Schützengräben, mit Mützen als Toren.“ Und ein britischer Offizier erinnerte sich: „Sie krochen aus ihren Schützengräben und liefen herum, mit Zigarettenkisten und Wünschen für ein fröhliches Weihnachtsfest. Was sollten unsere Männer denn tun? Etwa schießen? Man kann doch nicht auf waffenlose Männer schießen.“

Die Deutschen stellten ihre Tannenbäume auf

Die bekannteste Geschichte geht so: Die Deutschen stellten ihre Tannenbäume hoch auf die Brustwehren, kleine Laternen mit Lichtern waren daran aufgehängt. In den gegenüberliegenden Stellungen wurde es still. Da sangen die Deutschen „Stille Nacht“. Die Briten erwiderten „O  come all ye faithful (Herbei o ihr Gläubigen)“. Deutsche Soldaten verließen den Schützengraben, englische folgten ihrem Beispiel, ein gemeinsamer Gottesdienst wurde gefeiert, Geschenke wurden ausgetauscht und am Schluss wurde Fußball gespielt.

In einer britischen Quelle heißt es: „Soldaten von beiden Seiten kamen aus ihren Löchern heraus, um ihre Beine auszustrecken und dann im Niemandsland zwischen den Schützengräben zu fraternisieren – eine angenehme Situation, die dann in unserem Frontabschnitt etwa zehn Tage dauerte.“ Erinnerungsstücke wurden ausgetauscht, Knöpfe, Abzeichen, Zigarren. „Das am meisten geschätzte Andenken war die berühmte Pickelhaube.“

 

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Tags: 1. WeltkriegFrieden im KriegKriegKriegsweihnachtenWeihnachtenWeltkrieg
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Comments 2

  1. Pingback: Wunder der Weihnacht: Zwischen den Schützengräben war plötzlich Frieden   - Der Blogpusher
  2. Harbin89 says:
    4 Jahren ago

    Spannender Beitrag. Vor allem der letzte Abschnitt und dass Erinnerungsstücke wie Knöpfe, Abzeichen, Zigarren ausgetauscht wurden… 🙂

    Antworten

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