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Home Politik

Ein Zensoren-Duo an der SPD-Spitze

Norbert Bicher Von Norbert Bicher
5. März 2021
Schriftzug Respekt

Wer ein guter Sozialdemokrat ist, wer ein schlechter, wer ein standhafter Sozialdemokrat ist, für wen man sich des Parteibuchs wegen schämen muss – das  wird seit neuestem offenbar von einem Zensoren-Kartell an der Spitze der Partei entschieden. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken und ihr Stellvertreter Kevin Kühnert nehmen sich das Recht, mit dem Daumen nach oben oder unten zu zeigen.

Als sich Esken vor zwei Jahren um den Vorsitz der SPD bewarb, maßte sie sich an, an der Standhaftigkeit als Sozialdemokrat des Mitbewerbers Olaf Scholz zu zweifeln. Das sei zum aktuellen Fall Wolfgang Thierse vorausgeschickt – um zu erinnern, dass Eskens Denken in Zensurkategorien kein Ausreißer ist.

Jetzt also steckt Thierse in der Mühle der Chefzensoren, weil er in der FAZ danach gefragt hatte, wie viel Identität die Gesellschaft verträgt und wann sie in Spaltung umschlägt. Thierse weist auf die Gefahren der rechten Identitätspolitik hin,  weil sie „Ab- und Ausgrenzung betreibt bis zu Intoleranz, Hass und Gewalt gegenüber den ‚Anderen‘, den ‚Fremden‘. Rechtextreme und Rechtspopulisten beschwören nationale Identitäten. Trotzdem meine ich: Heimat und Patriotismus, Nationalkultur und Kulturnation, das sind Begriffe und Realitäten, die wir nicht den Rechten überlassen dürfen.“

Aber neben den Gefahren der rechten Identitätspolitik sieht er auch auf der linken Seite Probleme, wenn er schreibt: „Wir leben gewiss mehr denn je in einer ethnisch, kulturell, religiös-weltanschaulich pluralen Gesellschaft. In ihr ist Diversität nicht das Ziel, sondern eine faktische Grundlage unserer Demokratie und Kultur. Dieses Faktum zu leugnen oder rückgängig machen zu wollen, ist das Fatale, ja Gefährliche rechter Identitätspolitik. Es zum Ziel aller sozialen und kulturellen Anstrengungen zu erhöhen, halte ich für das Problematische linker Identitätspolitik. Das Ziel muss vielmehr sein, die akzeptierte Diversität friedlich und produktiv leben zu können.“

Und: „Identitätspolitik, wenn sie links sein will, stellt auf radikale Weise die Gleichheitsfrage. Sie verfolgt das berechtigte Interesse, für (bisherige) Minderheiten gleiche soziale, ökonomische und politische Rechte zu erringen. Sie ist eine Antwort auf erfahrene Benachteiligungen. In ihrer Entschiedenheit ist sie in der Gefahr, nicht akzeptieren zu können, dass nicht nur Minderheiten, sondern auch Mehrheiten berechtigte kulturelle Ansprüche haben und diese nicht als bloß konservativ und reaktionär oder gar als rassistisch denunziert werden sollten.“

Thierses moderat vermittelnde Sicht, vermutlich von vielen als Selbstverständlichkeit empfunden, löste in der Queer-Community einen heftigen Shitstorm aus. Der Berliner Queer-Aktivist Alfonso Patisano entgegnete in der taz: „Diese tradierte Überlegenheit, diesen Anspruch auf Deutungshoheit und diese Macht, andere in gut und böse, in normal und unnormal, in richtig und falsch einzuteilen, gilt es zum Wohle aller endgültig zu überwinden.“ Und die AG-Queer der SPD ließ wissen, Thierses FAZ-Beitrag stehe „im Gegensatz zur Haltung der SPD“, weil ihm „Empathie und Einfühlungsvermögen für marginalisierte Gruppen und auch die gebotene Sensibilität“ fehle.

Für das Zensoren-Duo Esken/Kühnert oder vielleicht eher Kühnert/Esken Anlass, sich bei den Queer-Aktivisten für das „rückwärtsgewandte Bild der SPD“ zu entschuldigen und mitzuteilen, dass sie sich dafür schämen.

Als Thierse daraufhin fragte, ob er noch als Parteimitglied erwünscht sei und indirekt seinen Parteiaustritt ankündigte, ruderte das Duo zurück, versicherte   „Wir schämen uns nicht für Dich“ und bedauerte vor allem, dass ihr Scham-Schreiben öffentlich wurde. Das heißt nichts anderes, dass sie lieber hinter verschlossenen Türen über ihn hergezogen hätten. Die Sache macht das eher schlechter als besser.

Raus sind die beiden damit aus der Sache noch nicht. Denn Thierse verlangt ein öffentliches Signal der Parteivorsitzenden, bevor das Thema für ihn erledigt ist. Zustimmung erhält er aus fast allen Spektren der Partei. Ausdrücklich befindet beispielsweise der Ex-SPD-Vize und Parteilinke Ralf Stegner, der Text von Thierse sei „ein sozialdemokratischer Beitrag über gesellschaftlichen Zusammenhalt und keine Aufforderung, Minderheiten zu missachten“.

Vernichtend dagegen das Urteil des  SPD nahen Politologen Wolfgang Merkel über das Vorgehen Eskens und Kühnerts. Im Tagesspiegel weist er darauf hin, dass Thierse nur geschrieben habe, was der US-Autor Michael Sander über „Respekt“, den Schlüsselbegriff in Olaf Scholz Wahlkampfthema,  gesagt habe:  Eine linksliberale Elite missachte in ihrem Kulturkampf die Interessen der Unterprivilegierten und sorge dafür, dass sich wiederum diese Schicht missachtet fühle. „Genauso schreibt Thierse“, zitiert der Tagesspiegel Merkel. „Wenn Frau Esken und Kevin Kühnert das nicht so lesen können, stehen sie quer zu den sozialdemokratischen Traditionen und sind fehl in der Führung einer  Partei, die verzweifelt darum kämpft, Volkspartei zu bleiben.“

Der Mehrheit der Sozialdemokraten spricht er damit aus dem Herzen. Es ist für die meisten zum Fremdschämen, wie die Parteivorsitzende agiert. Statt Wahlkampf zu machen, Bashing eines verdienten Genossen. Unvermögen oder Arroganz? Da kommt eine Anekdote mit Hans Jochen Vogel aus den achtziger Jahren in Erinnerung. Nach einem schweren Fehler einer leitenden Angestellten im Bonner Ollenhauer-Haus wurde er von einem Journalisten gefragt: „Ist sie unfähig oder bösartig?“ Vogels Antwort: „Bösartig ist sie nicht“.

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Tags: IdentitätIdentitätspolitikinnerparteiliche Diskussionen SPDMinderheitenSPDWolfgang Thierse
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Comments 1

  1. R.Manfred says:
    5 Jahren ago

    kULTURKAMPF mit den Unterpriviligierten kann sich die SPD nicht leisten ist Sie doch die Arbeiterpartei ,die Wels
    1933 zeigte als er hart gegen den Nationalismus war, daher wäre es wichtig Respekt nicht kleinzureden,sondern zu Respekt
    gehört auch Kümmern und ausreden der Klassen die nicht der Mittelschicht?? oder Elite angehören

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