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Home Politik

Die Pandemie verschärft die soziale Frage

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
29. Januar 2022
Coronavirus

Nein, diese Gesellschaft ist nicht gespalten, wie das die Gegner unserer gewachsenen und immer noch starken demokratischen Institutionen behaupten. Wir streiten über eine Impfpflicht für alle,  die große Mehrheit ist für eine allgemeine Impfpflicht wie auch die große Mehrheit sich von Sprüchen von Corona-Leugnern, Esoterikern, Besserwissern nicht ablenken lässt von der Tatsache, dass es nun mal Corona gibt, weltweit. Daran zu zweifeln obliegt einer Minderheit, um die wir uns trotz allem kümmern, wohl wissend, dass wir nur einen Teil erreichen können mit vernünftigen Argumenten. Da hat der Bundespräsident schon Recht, wenn er betont: „Unsere Gesellschaft verfügt über ein starkes Netz an gegenseitiger Hilfeleistung, ja an Solidarität. Es stimmt eben nicht, dass die Menschen nicht über den Tellerrand der eigenen Interessen hinausdenken- sie erweisen sich jeden Tag als soziale, einander zugewandte Wesen.“

Die gezeigte Solidarität, der Zusammenhalt, die spontane Hilfe in den Hochwasserkatastrophen-Gebieten in Rheinland-Pfalz und in NRW im letzten Sommer stehen als Beweise dafür. Und doch ist das nicht alles, es ist nicht alles gut in dieser Republik. Risse durchziehen sehr wohl diese Gesellschaft, das hat der Alltag der Pandemie verdeutlicht, der die Kasse der Reichen und finanziell Bessergestellten zwar nicht schonte, aber er strapazierte sie auch nicht so, dass diese schlaflose Nächte gehabt hätten. Der Pandemie-Alltag traf in viel stärkerem Maße die sozial Schwachen, die ohnehin schon immer schauen müssen, dass sie über die Runden kommen, sie haben oft nichts auf der Kante, von dem sie zehren könnten.

Home-Office in einer Bude

Keine Frage, die Pandemie hat die soziale Frage verschärft. Wir reden von höheren Preisen für Gas und Strom, für den Diesel, für manches andere, was wir täglich brauchen, beklagen die Inflation.  Das geht ins Geld und stellt den sogenannten kleinen Mann vor große Probleme. Aber damit nicht genug.  Bundeskanzler Olaf Scholz hat in seiner Neujahrsansprache den gesellschaftlichen Zusammenhalt beschworen. Die große Sorge bereitet ihm gewiss nicht die Impfpflicht, das wird sich hoffentlich in einigen Wochen lösen. Die tieferen Probleme, das wird der SPD-Kanzler wissen, treffen zum Beispiel Familien und Alleinerziehende im Home-Office und im Home-Schooling. Was zunächst hübsch klingen mag für den einen oder anderen, weil er über eine schmucke und große Altbauwohnung in bester Lage verfügt, mit genügend Zimmern, wo jeder seinen Interessen nachgehen kann, ungestört. Mit Handy, Schreibtisch, Laptop. Aber was machen die anderen? Die kein eigenes Haus haben, wenig verdienen, nur eine kleine Bude haben. Oder die Familie mit vier Personen in einer kleinen 3-Zimmer-Wohnung. Wo das Geld immer schon ein wenig knapp war. Dort kann man sich nicht mal eben einen Laptop kaufen.

Was machen die Eltern, die eher aus der sogenannten bildungsfernen Schicht kommen, ohne Abitur, Studium, die ihren Kindern nicht mal schnell helfen können bei der Mathe-Hausaufgabe. Die auch nicht jeden Goethe und Schiller und Heine gelesen haben, Tucholsky kennen. Kinder aus ärmeren Familien tun sich schwerer, sind auf sich gestellt. Wen sollen sie fragen, wenn der Lehrer nicht da ist? Wenn die Eltern das Geld nicht für eine Nachhilfe zahlen können. Nein, das ist kein Einzelfall in dieser Gesellschaft. Wir haben nur zu wenig darüber geredet, weil erst die Pandemie diese Sorgen mancher Eltern wieder aufgedeckt hat.

Zusammenhalt zu fordern, ist leicht gesagt, aber der lässt sich so einfach nicht herstellen. In den Nachrichten hörte ich von der zunehmenden Vereinsamung von Menschen, gemeint nicht nur die Alten in Alters- und Pflegeheimen, oder die allein in ihrer Wohnung leben, nein, die anderen, die plötzlich allein zu Hause sind im Home-Office, weil Corona sie dazu zwingt, die ihre Arbeitskollegen vermissen, keinen Kontakt zu niemandem haben. Und denen die Decke über dem Kopf einzustürzen droht, weil sie Stunde um Stunde in ihrer kleinen Wohnung verbringen müssen.

Mehr Pflegekräfte

Nehmen wir ein anderes Beispiel, das wiederum von den eher Reichen und Bessergestellten gelöst werden kann. Die Rede ist von der Pflege und dem Pflegenotstand. Es ist ein Skandal, dass diese Gesellschaft, dass alle Parteien, Regierungen das Problem über die Jahre haben schleifen lassen. Uns fehlen Hunderttausende von Pflegekräften. Das ist keine neue Erkenntnis. Warum wurde das Thema nicht angepackt? Ich weiß es nicht. Auch hier ist es so, dass wohlhabende Kreise sich privat eine Pflegekraft welcher Nationalität auch immer locker leisten können. Zumeist kommen sie aus Osteuropa, nicht wenige arbeiten schwarz, ohne Arbeitnehmerrechte. Die Politik redet davon, die Pflegekräfte müssten besser bezahlt werden. Warum geschieht nichts? Im Grunde brauchen wir eine Pflegevollversicherung. Klar, das kostet Geld. Und das haben wir nicht? Haben wir nicht während Corona gezeigt, wie Milliarden Euro Schulden in die Gesellschaft geworfen wurden, um den Laden am Laufen zu halten? Dafür hatte der Bundesfinanzminister den Wumms erfunden. Wie war das noch mit der Schuldenbremse? Kommt später wieder, wenn es der FDP gefällt. Oder denken wir an die Banken-Krise vor einigen Jahren. Da wurden Milliarden um Milliarden in einen Sektor gepumpt, dessen führende Vertreter sich verzockt hatten. Und jetzt haben wir kein Geld für eine Pflegeversicherung, die den Namen verdient?  Die Deutschen werden älter und mehr und mehr von uns werden im Alter auf Hilfen angewiesen sein. Nochmal: Es kann nicht sein, dass wir diesen Riss in der Gesellschaft weiter zulassen, dass die Reichen sich alles leisten können, auch Pflegekräfte, die Ärmeren aber nicht. Und das sind Millionen, die davon betroffen sind. Sie haben nur keine Sprecher in der Öffentlichkeit, die laut protestieren, sie stehen nicht auf den ersten Zeitungsseiten, sind nicht im Funk zu hören oder im Fernsehen zu sehen, ihnen fehlt die Lobby.

Saubere Schulen

Politiker reden seit Jahr und Tag von der Bedeutung der Bildung. Je besser die Bildungschancen unserer Kinder, umso leichter ihr möglicher Aufstieg im Beruf, umso gesicherter seien sie gegen Arbeitslosigkeit. Alles richtig. Aber warum lassen dieselben Politiker aller Parteien dann unsere Schulen so verkommen? Es regnet rein, die Toiletten sind verdreckt, die Wasserspülung ist kaputt, Putz fällt von den Wänden, ein Außenanstrich von Schulen täte not, damit sie freundlicher aussehen. Die Eltern werden gelegentlich gebeten, ob sie mithelfen könnten beim Reinemachen. Man hört vielfach, es gebe im Moment nicht mehr die entsprechenden Handwerker. Dann müssen wir sie ausbilden, gut bezahlen, dafür sorgen, dass sie sich anerkannt fühlen in dieser Gesellschaft. Handwerk hat goldenen Boden.  Und warum fehlen Lehrer, wenn die kleine Klasse doch besser ist für unsere Kinder, die uns doch so wichtig sind. Weil es zu teuer ist?

Ja, Geld ist da. Die Hyperreichen demonstrieren uns das immer wieder, indem einer wie Jeff Bezos mal eben für einige Tausend Dollar ins All fliegt, um von oben auf den schönen Planeten zu schauen. Im Profifußball schmeißen sie mit Millionen nur um sich. Gleichzeitig klagen sie darüber, dass sie wegen Corona vor fast leeren Rängen spielen müssen. Im gleichen Atemzug lesen wir an anderer Stelle von fehlenden Betten in den Intensivstationen der Kliniken. Auf der Wirtschaftsseite stoßen wir auf Reallöhne, die sinken. Und darauf, dass sich Arbeitgeber aus der Tarifpflicht entfernt haben und deshalb auch keine Tariflöhne mehr zahlen. Solidarität? Sieht anders aus. Olaf Scholz hat angekündigt, ja versprochen, als eine der ersten Handlungen als Kanzler dafür zu sorgen, den Mindestlohn um drei Euro auf 12 Euro anzuheben. Wie erwartet, haben einige Arbeitgeber dagegen  gewettert, auf die Tarifhoheit hingewiesen. Man möchte lachen. Ein Stundenlohn von 12 Euro reicht kaum zum Leben aus, aber selbst den wollen einige nicht zahlen. Es lebe der Kapitalismus! 

Frauen besser bezahlen

Wir reden und streiten übers Gendern. Mir ist das ziemlich egal, was andere davon halten. Mir wäre es lieber, wir würden uns wirklich für mehr Gleichheit für Frauen im Beruf einsetzen, dafür kämpfen, dass Frauen endlich ihren Platz in Spitzenpositionen bekommen, der ihnen qua Ausbildung zusteht. Es muss endlich aufhören, dass jemand für einen gut bezahlten Job nicht genommen wird, weil sie eine Frau ist. Gleiche Löhne und Gehälter, ohne Rücksicht auf das Geschlecht, das ist Gerechtigkeit. Dafür ist jeder Kampf, jeder Streit richtig und wichtig, und wenn das erreicht ist, können wir meinetwegen über Gendern reden und streiten.

„Nur wenn wir unser Haus der Demokratie gemeinsam instand halten, können wir darin in Gemeinsamkeit und Vielfalt leben“. Hat Frank-Walter Steinmeier in einem Buch „Zur Zukunft der Demokratie“ geschrieben. Ein richtiger Satz. Meiner Meinung nach fehlt es in diesem Haus der Demokratie mehr und mehr an Gleichheit, an sozialer Gerechtigkeit. Wer will, kann darüber vieles nachlesen beim Kölner  Prof. Butterwegge, einem emeritierten Armutsforscher, der sich wie kein anderer der prekären Arbeitsverhältnisse in Deutschland angenommen hat. Oder Bert Brecht lesen, der dazu 1934 ein kleines Gedicht verfasst hatte: „Reicher Mann und armer Mann standen da und sah’n sich an. Und der arme sagte bleich, wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich.“

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