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Home Politik

Allgemeinfloskeln statt differenzierter Analysen oder verwertbarer Vorschläge

Eine Erklärung des Willy-Brandt-Kreises

Redaktion Von Redaktion
6. Mai 2024
Urkunde zur Verleihung des Friedens-Nobelpreises an Willy Brandt

Ein Kommentar zum Brief von drei Historikern und zwei Historikerinnen an den SPD-Parteivorstand vom 20. März 2024;                                                                                                                                   28. April 2024

Ein interner Brief von drei Historikern und zwei Historikerinnen an den SPD-Parteivorstand vom 20. März 2024[1] hat für eine erneute Diskussion um zentrale sicherheitspolitische Fragen in Bezug auf die Ukraine und die künftige Russlandpolitik geführt.[2] Die Unterzeichner des Briefes fordern eine eindeutige Kommunikation und eine Positionsklärung der SPD-Führung insbesondere im Hinblick auf eine „klare Strategie für einen Sieg der Ukraine“. Wir schätzen Meinungsvielfalt und unterschiedliche Positionen, gestatten uns aber auch zu widersprechen, wo Allgemeinfloskeln die Diskussion regieren.

Für den Willy-Brandt-Kreis möchten wir folgende Punkte hervorheben:

  1. Nicht nur die SPD als Friedenspartei ringt um die richtige Unterstützung der Ukraine und eine angemessene Strategie zur Lösung des Konfliktes, sondern auch die deutsche Gesellschaft, die Europäische Union, der US-Kongress oder viele Think-Tanks. Um den Konflikt einzudämmen, eine Eskalation des Ukraine-Krieges zu verhindern und künftigen Kriegsgefahren und Übergriffen mit einer stabilen Sicherheits- und Friedensarchitektur zu begegnen, ist eine abgestimmte Strategie von Konfliktmanagement, humanitärer Hilfe, stärkerer Verteidigungsfähigkeit und diplomatischen Angeboten zweifelsohne notwendig. Uns scheint es so, dass die Bundesregierung dies in richtiger Weise anstrebt und umsetzt. Die Diskussion in anderen Ländern und Friedensvorschläge z.B. aus dem Globalen Süden werden bei dieser Professoren-Schelte ebenso wenig zur Kenntnis genommen wie die Diskussion zu Friedensmöglichkeiten in den USA.
  2.  Die Unterstützung Deutschlands für die Ukraine und die „Zeitenwende-Anstrengungen“ der Bundesregierung sind den Unterzeichnern des Briefes wohlbekannt bzw. gut nachlesbar.[3] Augenscheinlich scheint dies den Autorinnen und Autoren nicht auszureichen. Stattdessen wird insbesondere der SPD unter Punkt 1 vorgeworfen, die Drohungen durch Russland zu unterschätzen und zu zurückhaltend auf Putin zu reagieren. Konkret werden die Autorinnen und Autoren aber nicht. Uns scheint das Gegenteil der Fall zu sein: Unter einer SPD-geführten Bundesregierung wurde das größte Rüstungsprogramm seit Jahrzehnten aufgelegt und Truppenverbände z.B. nach Litauen verlegt. Diplomatische Anstrengungen in Bezug auf wichtige Länder des Globalen Südens werden unternommen.
  1. Die Briefschreiber und Briefschreiberinnen unterlegen ihre Forderungen nicht, wie in der Wissenschaft üblich, mit exemplarischen Belegen oder Beispielen, sondern mit wenig hilfreichen Allgemeinplätzen und Unterstellungen, die nicht weiter ausgeführt werden, wie z.B. „kurzsichtige Friedenspolitik“, „Realitätsverweigerung“ oder sogar „Wissenschaftsfeindlichkeit“. Sie machen dafür u.a. die Übernahme „Bahrscher Außenpolitik“ („Markenzeichen der SPD“) verantwortlich.
  1. Wir haben Ende 2023 in einer Stellungnahme, publiziert im Januar 2024, auf unserer Webseite auf die verschiedenen erfolgreichen Phasen der Entspannungspolitik hingewiesen[4]. Wir hatten uns dabei u.a. mit dem inkonsistenten Beitrag des Publizisten H.-A. Winkler auseinandergesetzt und dem verdienten Historiker emotionale Mobilmachung ohne sicherheitspolitische Perspektive vorgehalten. Wir danken Bernd Greiner, der in einem kurzen Beitrag die Randbedingungen der Entspannung, insbesondere angesichts der atomaren Bedrohung im Kalten Krieg, herausgearbeitet hat. Diese Dimension fehlt in dem Brief ebenso wie das jahrelange Ringen um Sicherheitsgarantien und Rüstungskontrolle.
  1. Einig sind wir uns darin: „Es müssen die Fehler, die zum Ukraine-Krieg führten, parteiübergreifend angegangen werden, auch wenn die Schuldfrage durch die völkerrechtswidrige Invasion in die Ukraine, befohlen von Präsident Putin, eindeutig beantwortbar ist.“ (Quelle: WBK-Statement Januar 2024) Die Fehler klar zu benennen, wäre die Aufgabe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, nicht die Einforderung einer Siegstrategie. Sicher gibt es Zeitgenossen, die die Brandtsche Entspannungspolitik „romantisierend“ auch heute anwenden möchten. Diese historisch abgeschlossene Phase aber für Putins Angriffskrieg verantwortlich zu machen, ist eine Verdrehung der Tatsachen, die geopolitische Faktoren ebenso ignoriert wie regionale Entwicklungen oder ein Scheitern der anfangs sehr erfolgreichen Rüstungskontrollpolitik. Dass eine fortgesetzte Entspannungspolitik u.a. auch der Merkel-Regierung („Wandel durch Handel“) mit der Invasion an ihr Ende gekommen ist und wir in einer Phase der Konfrontation angekommen sind, bezweifelt kaum jemand. Die Wissenschaft sollte sich daran beteiligen, Wege aus dieser Gefahr und die Entwicklung, die zu diesem Desaster geführt hat, genau aufzuzeigen, um Lösungen anzubieten.[5]
  1. Damit der Wissenschaftslabel der Briefschreiber seine Gültigkeit hat, kritisieren die Autoren, der Ratschlag von Völkerrechtlern und Osteuropa-Spezialisten werde vom Bundeskanzler und vielen SPD-Spitzenpolitikern ignoriert. Wir fragen, ob diese Expertise tatsächlich ausreicht, um die richtigen politischen Entscheidungen zu treffen? Abstrus wird es, wenn unterstellt wird, „oftmals stehen Behauptungen aus Kanzleramt und SPD den Expert*innenaussagen sogar diametral entgegen so beispielsweise in Bezug auf die technischen Eigenschaften von Waffensystemen“. Belege dafür bleiben aus. Hervorzuheben ist, dass die aufgeworfenen, zutiefst politischen Fragen nicht, wie behauptet, auf einem Dissens in Bezug auf militärtechnische Fragen von Waffensystemen zwischen Kanzleramt und Wissenschaft beruhen. Es verblüfft, dass hier in keinem Fall versucht wird, ein Gesamtbild der Lage zu diskutieren, indem Faktoren wie die Atomwaffenproblematik, Rüstungskontrolle und effektive Verteidigungsfähigkeit einbezogen werden, sondern militärische Logiken empfohlen werden, die kaum durchdacht sind.[6] 
  1. Wir empfinden es als intellektuell peinlich, wenn eine berechtigte Frage des Fraktionsvorsitzenden Mützenich („Wäre es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann? Geht es nicht politisch auch um diese Fragen?“) als „fatal“ oder Trumpscher Populismus bezeichnet und suggeriert wird, er wolle damit sagen, dass Deutschland nun die Ukraine nicht mehr bei ihrer Verteidigung unterstützen will.
  1. Die Autorinnen und Autoren des Briefes fordern holzschnittartig eine „echte Zeitenwende“, ohne konkrete Vorschläge (außer „Stärke zu zeigen“) zu präsentieren. Dass die Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine wiederhergestellt werden soll, ist einheitliches Ziel der Europäischen Union, der Nato oder der Bundesregierung. Der wiederholte Ratschlag der Verfasser und Verfasserinnen, allein auf militärische Mittel zu setzen, führt nicht weiter. Statt Moralisierung und Empörung brauchen wir ernsthafte Lösungsvorschläge und ein historisch und aktuell besseres Verständnis der Gesamtproblematik. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dürfen sich nicht auf den moralisierenden Kampf von Gut gegen Böse beschränken, sondern sollten auch ihre Expertise zur Verfügung stellen, um Vorschläge für die Beendigung eines andauernden, furchtbaren Krieges beizutragen. Wir empfehlen hier den Historikern, die Lektüre eines Buches ihres Freiburger Kollegen Jörn Leonhard: „Über Kriege und wie man sie beendet“. München 2023.

 

Für den Vorstand des Willy-Brandt-Kreises

Prof. Dr. Peter Brandt, Historiker
Dr. Rainer Land, Wirtschaftswissenschaftler
Dr. Hans Misselwitz, Naturwissenschaftler
Prof. Dr. rer. nat. Götz Neuneck, Physiker und Friedensforscher
Bundesministerin a.D. Heidemarie Wieczorek-Zeul

 

[1] Der durchgestochene Brief wurde von einem der Unterzeichner, Jan C. Behrends, Frankfurt an der Oder, gesättigt mit viel Polemik („Entintellektualisierung“) in einem Interview im Spiegel, 5. April 2024, erläutert.

[2] Der Brief wurde von der Bild-Zeitung, der SZ, der FAZ, Tagesspiegel etc. aufgegriffen, kommentiert und mit einigen aktuellen Diskussionen erweitert.

[3] Siehe z.B. den IWF-Ukraine Support Tracker: https://www.ifw-kiel.de/topics/war-against-ukraine/ukraine-support-tracker/

[4] Die Stellungnahme des Willy-Brandt-Kreises ist zu finden unter: http://www.willy-brandt-kreis.de/pdf_2024/NE_WBK_Winkler_aBDIP.pdf

[5] Stichworte sind hier: Die NATO-Erweiterungen, die Trump-Phase, der Afghanistan-Abzug, das Scheitern von Rüstungskontrolllösungen etc.

[6] Siehe hierzu der Beitrag von Wolfgang Richter: Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine: Vorbereitung – Kriegsverlauf – Ressourcen – Risiken – Folgerungen, Friedrich-Ebert-Stiftung, 19. Dezember 2023, https://peace.fes.de/e/russlands-angriffskrieg-gegen-die-ukraine

 

Bildquelle: Holger.Ellgaard, via Wikieadia, CC BY 3.0,

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Tags: FriedenHistorikerkommissionUkraine-KriegWilly BrandtWilly-Brandt-Kreis
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