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Steuerpolitik hat die soziale Ungleichheit verstärkt, kann aber zum nötigen Umsteuern genutzt werden – Gastbeitrag von Christoph Butterwegge

Gastbeitrag Von Gastbeitrag
5. Juli 2024
Superyacht

Die wachsende soziale Ungleichheit ist das Kardinalproblem der Gegenwart, weil sie zu ökonomischen Krisen, ökologischen Katastrophen sowie Kriegen und Bürgerkriegen führt. Wie stark Arm und Reich hierzulande mittlerweile auseinanderdriften, zeigen folgende Zahlen: 16,8 Prozent der Bevölkerung oder 14,2 Millionen Menschen galten 2022 nach EU-Kriterien als armutsgefährdet, sprich: einkommensarm, weil sie – sofern alleinstehend – weniger als 1.168 Euro im Monat zur Verfügung hatten. Umgekehrt konzentriert sich das Privatvermögen so stark in wenigen Händen, dass die fünf reichsten deutschen Unternehmer bzw. Unternehmerfamilien (Schwarz, Kühne, Boehringer/von Baumbach, Quandt/Klatten und Albrecht/Heister) zusammen etwa 250 Milliarden Euro und damit mehr besitzen als die ärmere Hälfte der Bevölkerung, d.h. weit über 40 Millionen Menschen.

Zu der sich immer mehr vertiefenden Kluft zwischen Arm und Reich hat die Steuerpolitik unterschiedlich zusammengesetzter Bundesregierungen maßgeblich beigetragen. Weil die soziale Ungleichheit durch parlamentarische (Fehl-)Entscheidungen zugunsten der Wohlhabenden, Reichen und Hyperreichen verschärft worden ist, besteht freilich auch die Möglichkeit, sie durch staatliche Eingriffe zugunsten der Armen und eines sozialen Ausgleichs zu verringern.

Begünstigung der Reichen und Belastung der Armen durch eine Steuerpolitik nach dem Matthäus-Prinzip

Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeiteten die CDU/CSU-geführten Regierungen unter Bundeskanzler Konrad Adenauer mit Hochdruck an Steuersatzsenkungen und – wenn sie gegen die von den Alliierten auf der Grundlage des Besatzungsstatuts vom 10. April 1949 eingesetzte, mit bestimmten Kontrollrechten ausgestattete Kommission nicht durchsetzbar waren – alternative Steuervergünstigungen für Spitzenverdiener und Unternehmen. Zunächst wurde die Bemessungsgrundlage „verschlankt“ und später der Spitzensteuersatz im Rahmen einer „Kleinen“ und einer „Großen“ Steuerreform, die 1953 und 1955 in Kraft traten, nach unten gedrückt.

1953 sank der Spitzensteuersatz der Einkommensteuer von 95 auf 80 Prozent. Auch nach der im darauffolgenden Jahr beschlossenen Großen Steuerreform behielt das westdeutsche Steuersystem seinen ausgesprochen progressiven Charakter. Dieser verhinderte nicht, dass es bald darauf zum sog. Wirtschaftswunder kam, obwohl heute so getan wird, als bräche der „Standort D“ unter der sehr viel niedrigeren Steuerlast zusammen.

Am 1. Januar 1958 wurde der Einkommenspitzensteuersatz auf 53 Prozent gesenkt. Die sozial-liberale Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt hob ihn zum 1. Januar 1975 wieder leicht auf 56 Prozent an, wo er bis zum Kanzlerwechsel von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl verharrte. Kaum hatten der neue Bundeskanzler und seine Minister am 4. Oktober 1982 unter dem Motto „Leistung muss sich wieder lohnen!“ ihre Ämter angetreten und sie in der vorgezogenen Bundestagswahl am 6. März 1983 verteidigt, senkten CDU, CSU und FDP die Vermögensteuer, später auch die (damals noch 56 Prozent auf einbehaltene Gewinne betragende) Körperschaftsteuer und den ebenso hohen Einkommensteuerspitzensatz.

Seither folgt die Steuerpolitik aller Bundesregierungen tendenziell dem Matthäus-Prinzip, heißt es doch in dem Buch dieses Evangelisten sinngemäß: Wer hat, dem wird gegeben, und wer nicht viel hat, dem wird auch das noch genommen. Einerseits schaffte man alle Besitz-, Kapital- und Gewinnsteuern, die es hierzu-lande gab, in den vergangenen Jahrzehnten entweder wie die Börsenumsatz- und die Gewerbekapitalsteuer ab, erhob sie wie die Vermögensteuer einfach nicht mehr, weichte sie wie die Erbschaftsteuer durch Firmen-erben privilegierende Sonderregelungen nach und nach auf oder beraubte sie wie die Einkommen-, die Kapitalertrag- und die Körperschaftsteuer durch Senkungen des jeweiligen (Spitzen-)Steuersatzes ihrer redistributiven Wirksamkeit. Andererseits wurde die Arme und Geringverdienende am härtesten treffende Steuerart, die zum 1. Januar 1968 als Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug und einem Normalsteuersatz von 10 Prozent eingeführte Mehrwertsteuer, wiederholt angehoben.

Statt der verfassungsrechtlich gebotenen Armutsbekämpfung haben die etablierten Parteien über Jahrzehnte hinweg systematisch Reichtumsförderung betrieben, was sich vor allem für Spitzenverdiener, Firmenbesitzer, Kapitaleigner, Finanzinvestoren und Hochvermögende auszahlte. Diese mussten ihr Geld folglich gar nicht in ferne Steueroasen transferieren, um es vor dem Zugriff des Fiskus zu bewahren.

Sozial umsteuern mittels einer gerechten Steuerpolitik!

Will man die ökonomische Ungleichheit verringern und zugleich verhindern, dass sich Deutschland sozial noch tiefer als bisher spaltet, muss die Steuergerechtigkeit erhöht und der Reichtum stärker besteuert werden, zumal Armutsbekämpfung viel Geld kostet. Durch steuerpolitische Maßnahmen lässt sich die Umverteilung von Oben nach Unten am besten in die Wege leiten. Das komplizierte Steuersystem macht es allerdings schwer, Besitz-, Kapital- und Gewinnsteuern als wichtigstes Instrument einer Rückverteilung des Reichtums an jene Menschen, die ihn durch ihre Arbeit geschaffen haben, ins öffentliche Bewusstsein zu heben.

Weil das Vermögen den Kern des Reichtums bildet, ist seine jährliche Besteuerung ein Schlüssel zur Verringerung der sozialen Ungleichheit. Ansetzen muss die Rückverteilung des Reichtums bei den großen Vermögen, weil diese und nicht – wie in der Medienöffentlichkeit teilweise suggeriert – sehr hohe Einkommen für ihn konstitutiv sind. Denn die Einkommensquellen vieler Menschen können über Nacht versiegen, wie die Covid-19-Pandemie mit dem ersten bundesweiten Lockdown im März 2020 gezeigt hat, große Vermögen aber nicht urplötzlich verschwinden.

Vordringlich ist die Wiedererhebung der Vermögensteuer, welche nicht bloß mehr Steuergerechtigkeit ermöglichen, sondern auch die Länder finanziell handlungsfähiger machen würde. Die Karlsruher Richter hatten in dem genannten Beschluss vom 22. Juni 1995 nicht etwa – wie von interessierter Seite gern behauptet – das Vermögensteuergesetz als solches für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, sondern nur moniert, dass für Grundbesitz der – seit 1964 bzw. 1974 trotz seiner Fortentwicklung nicht mehr angepasste – Einheitswert, für sonstiges Vermögen hingegen der Gegenwartswert als Bemessungsgrundlage zugrunde gelegt wurde. Dadurch war zwar der Gleichheitsgrundsatz verletzt, die bis heute in der Verfassung (Art. 106 Abs. 2 GG) stehende Vermögensteuer aber keineswegs hinfällig geworden. Vielmehr räumten die Karlsruher Richter dem Gesetzgeber eine Nachbesserungsfrist bis zum 31. Dezember 1996 ein, die er mit seiner damals schwarz-gelben Mehrheit allerdings bewusst verstreichen ließ, um sich auf diese Weise der nur Reiche treffenden Steuerart zu entledigen.

Kaum etwas widerspricht dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden so stark wie die schärfere Besteuerung von Arbeitseinkommen als von Kapitalerträgen. Letztere unterliegen seit dem 1. Januar 2009 einer pauschalen Abgeltungsteuer von 25 Prozent, wohingegen Gehälter ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 66.760 Euro (2024) mit dem Spitzensatz von 42 Prozent belegt sind. Deshalb muss die duale Einkommensbesteuerung wieder zugunsten der synthetischen Einkommensbesteuerung aufgegeben und jede Einkunftsart vom Fiskus gleich behandelt werden.

Ganz oben auf die steuerpolitische Agenda gehört die Abschaffung der Kapitalertragsteuer und ihre Reintegration in die normale Einkommensteuer. Wieso die einfachste und bequemste Möglichkeit für Wohlhabende und Reiche, viel Geld zu verdienen, nämlich durch den Kauf bzw. Verkauf festverzinslicher Wertpapiere und von Aktien, mit dem niedrigsten Steuersatz (25 %) begünstigt, um nicht zu sagen: belohnt wird, ist weder einzusehen noch länger hinzunehmen. Außerdem gilt für Kapitalbesitzer, Börsianer und Finanzspekulanten ein weitgehendes Bankgeheimnis, das für Transferleistungsbezieher/innen abgeschafft worden ist.

Flankiert werden müssten diese Reformpläne durch einen progressiver verlaufenden Einkommensteuertarif mit einem höheren Spitzensteuersatz. Millioneneinkommen, die kein Mensch braucht, um ein komfortables Leben zu führen, sollten deutlich höher besteuert werden als „normale“ und hohe Einkommen, die zwar den Lebensunterhalt (einer Familie) sichern, aber keinen Luxus ermöglichen. Wer ein zu versteuerndes Jahres-einkommen von über 1 Million Euro hat, kann für diese Summe übersteigende Beträge problemlos 60 Prozent Steuern zahlen. Wer ein noch deutlich höheres Jahreseinkommen (über 1,5 Millionen oder 2 Millionen Euro) hat, sollte in der Spitze mit 75 Prozent besteuert werden. Denn das bedeutet in unserem linear-progressiven Steuersystem ja nicht, dass er durch eine konfiskatorisch wirkende Millionärssteuer den größten Teil seines Einkommens an den Staat abtreten muss, sondern nur, dass er für den 1 Million Euro überschreitenden Betrag eine so hohe Steuer entrichten muss.

Firmenerben müssen in Zukunft genauso behandelt werden wie die Erben anderer beträchtlicher Vermögenswerte. Warum sollte das Kind eines Großunternehmers, der in Griechenland, Russland oder der Ukraine als Oligarch bezeichnet würde, im Erbfall gegenüber dem Kind eines Großgrundbesitzers, eines Bankiers oder eines Finanzinvestors steuerlich privilegiert werden?

Begründet wird die von CDU, CSU und FDP trotz der Bedenken großer Teile der SPD und der Bündnisgrünen durchgesetzte Begünstigung von Firmenerben üblicherweise damit, dass wegen deren Steuerbelastung die Insolvenz von Betrieben und der Verlust von Arbeitsplätzen drohe. Um diesen rein hypothetischen Fall auszuschließen, kann man den Freibetrag für inhabergeführte Familienunternehmen anheben. Außerdem würden die Nachteile eines plötzlichen Kapitalabzugs durch großzügigere Stundungsregelungen – beim Lastenausgleich erstreckte sich die Zahlung an den Fiskus auf 30 Jahre – oder eine stille Teilhaberschaft des Staates an dem betreffenden Unternehmen bis zur Begleichung der Steuerschuld vermieden. Bei größeren Immobilienvermögen kann die Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer ganz oder teilweise als Hypothek des Staates ins Grundbuch eingetragen und dem Erben zu marktüblichen Zinsen geliehen werden.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge hat von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt und kürzlich die Bücher „Deutschland im Krisenmodus. Infektion, Invasion und Inflation als gesellschaftliche Herausforderung“ sowie „Umverteilung des Reichtums“ veröffentlicht.

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Tags: ArmutDemokratieErbschaftssteuerSozial GerechtigkeitSpitzensteuersatzSteuerpolitikSteuerschlupflöcherVermögenssteuer
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Comments 1

  1. Marion.Bürkle says:
    1 Jahr ago

    Danke! Wie immer, ein treffender Beitrag von Butterwegge! Seine Forderungen teile ich voll und ganz.

    Antworten

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