Die Kanzlerin hat den Antisemitismus in Deutschland beklagt, neue Phänomene, „indem wir Flüchtlinge haben oder Menschen arabischen Ursprungs, die wieder eine andere Form von Antisemitismus ins Land bringen“. Antisemitismus habe es aber leider auch schon vor der Ankunft der vielen Flüchtlinge gegeben, sagte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel weiter. Kein jüdischer Kindergarten, keine Schule, keine Synagoge könnten ohne Polizeischutz sein. „Das bedrückt mich“, sagte die Bundeskanzlerin dem israelischen Nachrichtensender Channel 10 News weiter. Sie verurteilte antisemitische Angriffe und betonte, sie werde alles tun, um Übergriffe zu unterbinden. Die Regierungschefin kündigte zugleich an, noch in diesem Jahr Israel zu besuchen.
Die Debatte über wachsenden Antisemitismus im Land der Täter findet zu einem Zeitpunkt statt, da Israel den 70. Jahrestag seiner Unabhängigkeit feiert. Die Sicherheit Israels ist Teil der Staatsräson der Bundesrepublik, ein Satz, den Merkel auch in ihrem Interview herausstellte, der seit Jahrzehnten zum Kernbestand Deutschlands gehört und der zumindest in den demokratischen Parteien unumstritten ist. Und doch nimmt der Hass gegenüber Juden zu, mehren sich Attacken auf Menschen, weil sie eine Kippa tragen, hört man Warnungen, in bestimmten Ecken Berlins besser auf die jüdische Kopfbedeckung zu verzichten.
Unmenschliches Verhalten
Man schämt sich ob der Vorgänge, ist empört. Wer gibt einem das Recht, einen anderen Zeitgenossen wegen seiner Kippa zu attackieren?! Wer gibt Schülern das Recht, ein jüdisches Kind so lange zu mobben, bis es nicht mehr kann. Welch unmenschliches Verhalten der Mitschülerinnen und Mitschüler! Geschehen wiederum in Berlin. Und geradezu empörend die Konsequenz der Schule, an der das passiert ist: Man legt dem Schüler, dem Opfer nahe, die Schule zu wechseln. Andersherum wird ein Schuh draus: Die anderen Schüler, die Täter, die Mobber, seien es 10 oder 30 müssten die Schule verlassen wegen ihres unmenschlichen Verhaltens. Warum wird das Opfer betraft? Oder nehmen wir den Skandal um den Echo-Musikpreis. Rapper werden für ein judenfeindliches Album mit einem solchen Preis geehrt. Dass so etwas möglich ist bei uns, dass sich da niemand schämt, hätte ich nicht gedacht.
Der Fall und anderes wurde in der Fernseh-Sendung Anne Will diskutiert. Der wachsende Antisemitismus in Deutschland war das Thema, mit dabei der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, der Chefredakteur der Welt, Ulf Poschardt und Ahmed Mansour, Volker Kauder, Fraktionschef der Union, sowie Katja Kipping, Linken-Politikerin. Hat Deutschland etwa den Kampf gegen Antisemitismus schon verloren, wie behauptet wurde. Eine These, der ich nichts abgewinnen kann. Denn dann wären alle Ideen sinnlos, könnten wir das Feld den Rechtsextremen überlassen, was denen so passen würde. Nein, die sind die Minderheit, das anständige Deutschland ist die Mehrheit.
Grundgesetz ist Leitkultur genug
Nein, der Kampf war immer schwierig und wird es bleiben. Dass er heute noch komplizierter geworden ist, wird stimmen. Aber man sollte nicht den Fehler machen und die Zunahme an Hass und Gewalt gegenüber Juden allein den Zuwanderern, also den Moslems in die Schuhe schieben. Studien haben längst bewiesen, dass über 90 Prozent der Attacken gegenüber Juden von Deutschen verübt wurden, von Rechtsextremen. Dennoch gilt es darüber nachzudenken, wie man den Flüchtlingen dieses Land und seine Regeln und Gesetze näher bringt. Das Existenzrecht Israels als Teil des Staates Deutschland, das müssen sie früher wissen als Vorschriften über die Mülltrennung im Land. Wir müssen ihnen klarmachen, dass Deutschland die Verantwortung für den Holocaust der Nazis, für die Ermordung von sechs Millionen Juden trägt. Und dass es keinen Schlussstrich geben wird, auch wenn dies von 20 Prozent der Menschen angeblich gewünscht wird. Ihnen muss klar gemacht werden, dass sich hier an Regeln halten muss, wer hier leben will. Toleranz gehört dazu, Liberalität, Religionsfreiheit, gleiches Recht für Frauen, Menschenwürde, also die Würde eines jeden Menschen, gleich ob er weiß oder schwarz, Christ, Jude oder Moslem ist. Nein, Herr Kauder, dazu brauchen wir keine Leitkultur, das Grundgesetz reicht.
Klare Kante gilt es zu zeigen gegenüber Leuten von der AfD wie Björn Höcke, der einst das Holocaust-Mahnmal unweit des Brandenburger Tores in Berlin als Schande bezeichnet hat. AfD-Chef Gauland, der früher Mitglied der CDU war, hat sich davon nie distanziert. Vielleicht weil er davon ausgeht, dass rund sechs Prozent der Bundesbürger ein geschlossen antisemitisches Weltbild haben. Abfinden dürfen wir uns damit nicht, eher versuchen, die anderen davon zu überzeugen, dass sie auf einem falschen Weg sind. Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus gehören nicht zu einem modernen Deutschland, das mitten in Europa liegt und von Freunden umzingelt ist.
Moscheen und das Existenzrecht Israels
Es ist leicht, in solchen Debatten den Schulen die Schuld zu geben. Aber dass hier mehr passieren muss, dass Lehrer entsprechend ausgebildet und unterrichtet werden müssen, damit sie es weitergeben können an die Schüler, dürfte unbestritten sein. Wobei zu fragen ist, wie das bei Anne Will zu hören war, ob man den Unterrichtsstoff nicht ausweiten müsste: Also zum Beispiel den Nahost-Konflikt zum Thema zu machen, die Gründung des Staates Israel, den Unabhängigkeitskrieg 1947 bis 1949 und manches mehr. Ich habe als Student in München vor Jahrzehnten einen palästinensischen Amerikaner aus dem Libanon kennengelernt. Er erzählte, wie seine Familie während des Krieges von den Israelis vertrieben worden sei. Es handelte sich um das fruchtbare Gebiet, aus dem die Jaffa-Orangen kommen. Auch darüber muss geredet werden. Bei Anne Will plädierte Mansour dafür, auch Moscheen sollten über das Existenzrecht Israels berichten.
Ich habe als Zeitungs-Korrespondent Politiker, Kanzler, Bundespräsidenten, Minister auf ihren Reisen begleiten dürfen. Wer in Europa unterwegs ist, wird sehr oft mit geschichtlichen Ereignissen konfrontiert, kaum ein Land, das von den Nazis nicht überfallen wurde, Städte wie Rotterdam und Warschau, um nur zwei zu nennen, die schwer zerstört wurden. Wir haben das Konzentrationslager in Auschwitz besucht, die Vernichtungsstätten der Nazis in Treblinka, sahen die Bilder des Grauens in Mauthausen, ich sah mit Schrecken, wie Kabelträger von Fernsehanstalten über die Gräber von Theresienstadt stolperten, habe mit Holocaust-Überlebenden gesprochen. Am 29. April 1945 wurde das KZ Dachau von den Amerikanern befreit, es war das erste KZ, das Himmler einst eröffnen ließ und das letzte, das befreit wurde. In wenigen Tagen wird dieser Befreiung gedacht in München und Umgebung. Übrigens: München, das schöne München, war einst die Hauptstadt der braunen Bewegung. Schlimm, ja. Und unter diese Geschichte wollen wir einen Schlussstrich ziehen, also vergessen machen, was Deutsche anderen Menschen angetan haben? Damit das nicht vergessen wird: Deutschland hat Polen überfallen, Deutschland hat die Sowjetunion überfallen und einen Vernichtungskrieg geführt mit dem Ziel, die Untermenschen zu ermorden. Allein 27 Millionen Russen fanden den Tod, als Soldaten und als Zivilisten.
Nein, das Feld darf man nicht den Neonazis überlassen. Es ist Teil unserer Geschichte. Wie der Holocaust. Und das Existenzrechts Israels.
Bildquelle: Wikipedia, Von Paulae – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0