Politik, sagt der Volksmund, sei ein schmieriges Geschäft. Weil gekungelt wird, gemogelt, getrickst, gelogen. Stichwort gelogen: In einem Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestages raunte mir mein Nachbar nach vielen Zeugenaussagen zu: Wenn hier statt Beton Balken wären, würde die Decke einstürzen. In der Politik wird geschimpft und beschimpft. CSU-Chef Franz-Josef Strauß nannte einst seine politischen Gegner „Pygmäen“, damit wollte er zugleich deren nicht vorhandene Größe benennen. Herbert Wehner, sein Kontrahent auf der SPD-Seite, war wie Strauß ein Meister. Den CDU-Abgeordneten Todenhöfer bezeichnete er als Hodentöter. Um nur ein Beispiel zu nennen. Und Joschka Fischer rief dem amtierenden Bundestagspräsidenten Richard Stücklen einst zu: „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein A..“ Stücklen, ein CSU-Politiker und kein Kind von Traurigkeit, hatte dem Grünen den Saft abdrehen lassen, ohne Mikrophon redet es sich sehr schlecht.
So weit der gute oder schlechte Ton, der Umgangston im so genannten Hohen Haus, wobei man das mit dem Hohen ruhig lassen sollte. So fein geht es da unten im Plenarsaal und den dazu gehörenden Sitzungsräumen nicht zu. Um noch einmal auf Wehner zurückzukommen: Der langjährige Fraktionschef der SPD, den sie gern den Zuchtmeister nannten wegen seiner Härte im Umgang mit der Fraktion, bekam für seine verbalen Injurien die meisten gelben Karten, Ordnungsrufe. Er steckte sie weg wie ein Taschentuch.
Der Horst Seehofer ist ein anderer Fall und der hat mit Humor nun wahrlich nichts zu tun. Der CSU-Chef und Bundesinnenminister hat sich in der Vergangenheit schon einiges geleistet. Und wäre er nicht bayerischer Ministerpräsident gewesen und Parteichef der CDU-Schwester CSU, die Kanzlerin hätte ihn feuern müssen. Schon seine frühere Abqualifizierung der Politik der CDU-Chefin und Kanzlerin als „Herrschaft des Unrechts“ und seine Drohung, deswegen vors Bundesverfassungsgericht zu ziehen, wäre einer roten Karte würdig gewesen. Er hätte ferner damals, als er am Ende eines CSU-Parteitags die Berliner Regierungschefin Merkel an seinem Rednerpult minutenlang stramm stehen ließ, um sie abzukanzeln wegen des Streits über Obergrenzen und was sonst noch alles, vom Platz fliegen müssen. Merkel ließ ihn machen, weil sie damals wie heute nicht die Koalition platzen lassen will. Denn die wäre zu Ende.
Es fehlte die Geburtstagstorte mit 69 Kerzen
Seehofer, in Zentimetern gemessen ein Riese, ist offensichtlich mit dem Düsenjet durch die Kinderstube gebraust. Auch sein jüngstes Verhalten hat mit gutem Benehmen oder gar Anstand nichts zu tun. Der Mann verhält sich wie ein Elefant im Porzellanladen. Er weiß nicht, was sich gehört, was man tut und was man nicht tut. Kürzlich hatte er Geburtstag, 69 Jahre ist er geworden, der Mann aus Ingolstadt. Und er freute sich, so wird es geschildert, dass just an seinem Wiegenfest 69 Flüchtlinge nach Afghanistan abgeschoben worden sind. Der Minister grinste dabei in die Kameras, als er von dieser Geburtstagsüberraschung erzählte. Es fehlte noch die Torte, es fehlten noch die 69 Kerzen, für jedes Jahr und jeden Flüchtling eine, die man ausblasen kann. Ja, Herr Seehofer, man kann den Spaß übertreiben und weiter treiben, wenn das Menschliche abhanden gekommen ist. Die Geschmacklosigkeit kennt keine Grenze.
Denn es kommt erschwerend hinzu, dass einer der Flüchtlinge sich das Leben genommen hat. Er ist tot, einer der 69, die vergangene Woche nach Kabul abgeschoben wurden. Zugegeben, als Seehofer von seinem Geburtstag und den Flüchtlingen erzählte, wusste er nichts von dem Suizid. Aber dennoch: Wie kann er die beiden 69 überhaupt in einen Zusammenhang bringen? Als wenn das lustig wäre, Flüchtlinge nach Afghanistan abzuschieben, in ein Land, das nicht zur Ruhe kommt. Darüber kann man doch keine Witze reißen.
69 Jahre, 69 Flüchtlinge, welch ein Geburtstagsgeschenk?! Die Süddeutsche Zeitung spricht Seehofer den Anstand ab. Zu Recht. Die Frage sei, fragt die Zeitung, wann er diesen Anstand verloren habe. Da gibt es in der Tat einige Gelegenheiten, die wir oben beschrieben haben, am Rednerpult. Oder als er zum Besten gab, er werde sich doch nicht aus dem Amt werfen lassen von einer Kanzlerin, die ihm das Amt verdanke. Mein Gott, welche Hybris! Ich will hier gar nicht darüber urteilen, ob die Abschiebung gerechtfertigt war und warum sich der Flüchtling das Leben nahm. Nur eines ist sicher: eine Zwangsabschiebung- und das war es- ist kein Freudenfest für die Abgeschobenen. Sie werden am Heimat-Flughafen gewiss nicht mit Musik und Blumen empfangen. In Afghanistan herrscht Krieg, seit Jahren, wird getötet, werden Bomben gezündet und Menschen fliegen durch die Luft und landen tot auf der Straße.
Angst und Hass schüren die Stimmung
Dass Seehofer so handelt, wie er handelt und dabei grinst, entspricht einem Teil der Stimmung im Lande. Man hat die Angst vor Flüchtlingen geschürt und geschürt, die AfD versteht ihr Geschäft, das zu Lasten der Zuwanderer geht. Immer wieder greifen Rechtsradikale Flüchtlinge an, verletzen sie, beleidigen sie. Das ist trauriger Alltag. Gauland, Weidel, Höcke und wie sie alle heißen, nicht zu vergessen Pegida. Fremdenfeindliche Parolen sind ihr Programm, der Hass hat längst die Mitte der Gesellschaft erreicht. Sie werden nachgeahmt von Leuten wie Seehofer, weil er glaubt, die Stimmung ausnutzen zu können. Im Herbst finden Landtagswahlen in Bayern statt, die CSU bangt um ihre absolute Mehrheit. Da muss der Stammtisch bedient werden und deshalb erfindet die CSU den Begriff vom Asyltourismus und wirft ihn in die Debatte. Asyltourismus heißt nichts anderes, als dass die Fremden ohne jeden Grund mal eben nach Deutschland, nach Bayern reisen, dort die Knete abholen. Asyltourismus, welch ein Hohn dieser Begriff für Menschen, die aus Bürgerkriegsländern fliehen, um ihr Leben und das Leben ihrer Kinder zu retten.
So was geschieht bewusst, das ist kein Zufall. Verbale Verrohung, wie sie der italienische Innenminister Salvini pflegt. Egal was mit den Flüchtlingen geschieht, Hauptsache, sie kommen nicht bis nach Italien oder Bayern durch. Christliche Politik, das war mal. Und es ist ausgesprochen fragwürdig, wenn eine angesehene Zeitung wie die „Zeit“ die Frage nach dem Sinn von Seenotrettung stellt, weil Schleuser ihre Geschäfte mit Menschen machen und sie aufs Meer schicken in besseren Nussschalen, die oft genug kentern und Hunderte, ja Tausende im Mittelmeer versinken. Das Mittelmeer ein totes Meer. So weit sind wir gekommen, dass wir die Frage stellen, ob Seenotrettung sein muss. Oder ob wir es besser lassen? Und alle ersaufen lassen? Es ist humanitäre Pflicht, Menschen in Not, in Seenot zu retten, damit sie leben können. Meinetwegen schicken wir sie nach Afrika zurück, aber wir können, wir dürfen sie doch nicht ertrinken lassen, um den üblen Schleusern das Handwerk zu legen. Nein. Das wäre Barbarei.
Noch ein Wort zu Seehofer: Wielange soll der Mann noch Minister bleiben? Ein Mann, dem der Anstand abhanden gekommen ist, steht weiter an der Spitze der CSU, der christlich-sozialen Union. Merkel regiert mit ihm, die SPD sitzt neben diesem Mann auf der Bank. Er sollte sich schämen und dem Land einen letzten Dienst erweisen und gehen. Es ist genug, Horst Seehofer.
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'Ist der Seehofer noch zu retten? : Am 69. Geburtstag 69 Flüchtlinge – das soll ein Witz sein?' hat keine Kommentare
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