Für die Rubrik „Was macht eigentlich…?“ eignet sich Gerhard Schröder noch längst nicht. Zwar ist der Altkanzler am 7. April 76 Jahre alt geworden und schon bald 15 Jahre aus seinem Amt ausgeschieden, aber in den Medien scheint der Genosse aus Hannover so präsent wie lange nicht. In langen Interviews mit Berliner „Tagesspiegel“ und Ulmer „Südwest Presse“ äußerte sich Schröder in diesen Tagen über Corona, Merkel, Trump, Putin und die SPD, zusammen mit seinem früheren Regierungssprecher Bela Anda produziert er einen regelmäßigen Podcast („Gerhard Schröder – Die Agenda“) für die Plattformen Spotify, Deezer oder Apple, bei Linkedin lässt sich der Sozi über die seiner Meinung nach geeigneten Konjunkturspritzen aus, die aus dem ökonomischen Tief im Schatten der Pandemie führen, und teilt Interviews wie Fotos mit den Usern.
Während seine internationale Reisetätigkeit aus den bekannten Umständen derzeit ruht – geplante Besuche in Moskau und St.Petersburg wurden ebenso storniert wie private Abstecher in die südkoreanische Heimat seiner Frau Soyean Schröder-Kim -, ist der Ex-Kanzler medial also umso aktiver. Da macht er inzwischen sogar seiner Nachfolgerin Angela Merkel (CDU) Konkurrenz, die sich mit Pressekontakten erfahrungsgemäß schwer tut. Hinzu kommt, dass auch Schröders bessere Hälfte offenkundig Spaß an PR in eigener Sache hat. Jüngst war die gelernte Dolmetscherin und studierte Linguistin Fernseh-Gast in der NDR-Talkshow mit Barbara Schöneberger und Hubertus Meyer-Burckhardt, und auf ihrem Instagram-Profil postete Schröders fünfte Ehefrau sehr private Schnappschüsse ihres Gatten am heimischen Herd, beim Haareschneiden und als Kavalier mit selbst gepflücktem Blumenstrauß.
Das seit zwei Jahren verheiratete Paar zeigt sich in den Wochen des Lockdowns mehr denn je unzertrennlich. Seit die Golf-Plätze wieder geöffnet haben, drehen Gerhard Schröder und seine Frau ihre Runden, meist neun Löcher, da kommen – erzählt der bekennende „Anfänger“ schmunzelnd – locker fünf Kilometer Fußmarsch „plus Bällesuchen“ zusammen. Die Fußball-Bundesliga schaut sich „Acker“, wie der junge Kicker Schröder wegen seiner kampfbetonten Spielweise gern genannt wurde, zuhause am Bildschirm an, notgedrungen. Zwar fehlt auch dem Fan von Hannover 96 die Stimmung im Stadion, aber ein treuer Fußball-Anhänger bleibt er so oder so. Und fit ist der ältere Herr wie ein Turnschuh: Rudermaschine, Fahrrad, Hanteln – in seinem privaten „Gym“ in Hannover ist alles vorhanden. Von wegen „Risikogruppe“.
Im Interview mit der „Südwest Presse“ zeigt sich Gerhard Schröder locker, schlagfertig und pointiert wie immer. Der Altkanzler empfängt die beiden Journalisten in seinem Berliner Büro Unter den Linden, gegenüber der russischen Botschaft. Er selbst und seine anwesende Frau sowie seine Mitarbeiter tragen Mund-Nasen-Schutz, der Sicherheitsabstand wird gewahrt, auf Shakehands natürlich verzichtet. Noch bevor in Niedersachsen die Gesichtsmasken zur Pflicht wurden, legten die Schröders ihre textilen Infektionsstopper um – da herrscht eben in der Heimat von Soyeon Schröder-Kim seit langem eine andere Kultur, unabhängig von Corona. Dass es nun auch Fotos von ihm mit Mundschutz gibt, scheint den Altkanzler wirklich nicht zu beunruhigen. Überhaupt rät Schröder zu mehr Gelassenheit, nicht nur beim Umgang mit dem Protest gegen die Corona-Politik der Bundesregierung, die er als „alles in allem richtig“ lobt. Auch mit der gegenwärtigen Führung seiner Partei scheint er seinen Frieden gemacht zu haben. Das linke Führungsduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans habe „eine faire Chance“ verdient, abarbeiten will er sich an denen wohl ebenso wenig wie an Juso-Chef Kevin Kühnert. Dass er Olaf Scholz für den geeigneten Kanzlerkandidaten hält, überrascht nicht, auch mit seiner Empfehlung, mit der Nominierung nicht mehr lange zu warten (spätestens „im Herbst“), hält Schröder so wenig hinterm Berg wie mit seiner Forderung nach einer Autokaufprämie. Und am Ende des Gesprächs blitzt sogar wieder das für ihn typische Wahlkampfnaturell auf. Die Frage, was nach Angela Merkel kommt, beantwortet Schröder mit dem entwaffnenden Satz:“Vielleicht gibt es nach einer Phase der abwartenden Führung jetzt wieder eine Sehnsucht nach jemandem, der vorangeht.“ Wüsste man es nicht besser, könnte man es für eine persönliche Bewerbung halten.
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