Die Empörung ist groß, quasi deutschlandweit, parteiübergreifend. Der Fall Clemens Tönnies, bei dem es buchstäblich um die Wurst geht, wie die „Süddeutsche Zeitung“ es in ihrer Seite-3-Geschichte beschrieb, um die Wurst für Tönnies, für rund 1500 Mitarbeiter, bei denen Corona testiert wurde, für die Stadt, die von der angeblichen Großzügigkeit des Fleischfabrikanten gut lebt. Das „enorme Pandemie-Risiko“, das NRW-Ministerpräsident Armin Laschet(CDU) schon am Sonntag zu Protokoll gegeben hatte, hat nun doch nach einigem Zögern und Nachdenken dazu geführt, dass Laschet erstmals einen Lockdown über den Kreis Gütersloh verhängt hat, erstmals in NRW, erstmals in Deutschland. Nun also doch, der Milliardär Tönnies soll sich verantworten. Zeit wirds.
Da ist von Wut die Rede, von Empörung über den Fleisch-Fabrikanten Clemens Tönnies und die Praktiken, mit denen die armen Menschen aus 87 Nationen täglich Schweinehälften zerlegen, im Akkord zerschneiden zu Schnitzeln und Koteletts, man erregt sich darüber, wie diese Arbeiter in Wohnsilos leben müssen, „in Zuständen gehalten werden wie die Schweine, die sie schlachten“. So zitierte die SZ einen Hausmeister, der die Behausungen der Tönnies-Fleischer betreut. Dass hierbei, bei der täglichen Arbeit wie in den Wohnsilos ein erhöhtes Corona-.Risiko besteht, liegt auf der Hand. Aber die Zustände, über die nun die Welle der Empörung rollt, sie sind nicht neu, sie sind seit Jahr und Tag bekannt, zumindest dem, der sich dafür interessierte. Aber wen hat es wirklich beschäftigt? Das billige Stück Fleisch, das viele täglich auf dem Teller haben wollen, wird so seit Jahren produziert, unter unwürdigen, unmenschlichen Umständen, die einen jeden auf die Palme hätten bringen müssen, schon vor Corona, haben sie aber nicht, weil das gute und vor allem billige Kotelett und Rippchen einem wichtiger war als die Zustände in den Behausungen. Und dennoch wird so getan, als sei das alles neu
Gutmensch, vernetzt mit Putin und Hoeness
Dem Beobachter bietet sich ein Schauspiel geheuchelter Empörung. Und mittendrin steckt Clemens Tönnies, der in Rheda-Wiedenbrück auch und vor allem als Gutmensch bekannt ist, der sich sozial engagiert, der beim Schützenfest obenauf ist und der sich feiern lässt, der extrem gut vernetzt ist, nicht nur mit Wladimir Putin, sondern auch mit Uli Hoeness, dem einstigen Patriarchen vom FC Bayern München. Und ausgerechnet dieser Tönnies ist auch Aufsichtsratschef des FC Schalke 04. Warum das so ist, diese Frage müssen andere beantworten. Ich bin nur ein Fan der Schalker, kein Mitglied und gehe seit Jahren nicht mehr zu den Spielen dort. Das Theater um Millionen stösst mich ab.
Persönliche Verantwortung kann dieser Tönnies von sich weisen, viele der knapp 7000 Beschäftigten, die zwar für Europas größte Fleischfabrik schuften, tun dies über zumeist dubiose Subunternehmen, die die Arbeiter in rund 1300 verschiedenen Liegenschaften untergebracht haben. Man kann hier auch von pferchen sprechen, was laut Duden „hineinzwängen“ heißt und eigentlich im Zusammenhang mit Tieren verwendet wird. Es sind polnische Beschäftigte oder rumänische, jedenfalls zumeist aus Europa, die meisten von ihnen sprechen kein Wort deutsch, sie können sich nicht verständigen. Sie sind gekommen, um Geld zu verdienen, auch um ihre Familien in der Heimat zu unterstützen. Vermögen bleiben ihnen nicht, auch wenn sie auf kleinstem Raum hausen müssen, unter hygienischen Verhältnissen, die man sich hierzulande kaum vorstellen kann. Das Ganze ist dunkel, schwer durchschaubar und ohnehin nur darauf angelegt, dass Tönnies damit Geld verdient,viel Geld. Die SZ nennt Tönnies´ Geschäftsmodell „Erfolg durch Ausbeutung“. Noch einmal: Und dass dies so stattfindet, ist nicht neu, es ist bekannt. Deshalb wundert mich die Aufregung, mit der NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann(CDU) auf die Zustände und die äußerst geringe Kooperationsbereitschaft von Clemens Tönnies reagierte. Das alles müsste Laumann schon vorher bekannt gewesen sein wie übrigens auch seinem Chef, dem MInisterpräsidenten Laschet. Und auch der Landrat des Kreises Gütersloh, Sven Georg Adenauer(CDU), dürfte Kenntnis gehabt haben von den Arbeits- und Wohnverhältnissen der Tönnies-Arbeiter. Aber der Enkel des ersten Bundeskanzlers pflegte seit Jahren ein gutes Verhältnis zum Chef der Fleischfabrik, wies die Kritik an den Zuständen noch Anfang Mai zurück. Jetzt wird der Krisenstab mit dem Urteil zitiert: „Das Vertrauen, das wir in die Firma Tönnies haben, ist auf Null.“
Sklaven sind Opfer, nicht Täter
Das ist ja das Schlimme, dass man ihn hat gewähren lassen, den Clemens Tönnies, weil er als Gönner der Stadt bekannt und beliebt war. Und als die Kritik vor Wochen aufkam, wehrte sich der Milliardär aus Ostwestfalen gegen diese Art von „Generalverdacht“. Ich sehe das Bild heute noch im Fernsehen, habe ihm aber nicht mehr geglaubt, weil er sich vor Monaten daneben benommen hatte, als er über Afrikaner herzog und sich nachher für diese Entgleisung entschuldigte.
Und jetzt will derselbe Tönnies aufräumen, will die Branche verändern. Er will kämpfen, sagt er, wofür eigentlich? Glaubt er wirklich, dass man ihm abnimmt, wenn er reuig vor die Kameras tritt, zerknirscht. Nein, der katholische Pfarrer von Lengerich, Peter Kossen, widerspricht sehr klar, wie ihn die SZ in der Reportage zu Wort kommen lässt: „Das traue ich Clemens Tönnies nicht zu. Da hätte man mit Blick auf die Menschenwürde schon viel früher was verändern müssen. “ Kossen hat schon vor Jahren mit Plakaten „Moderne Sklaverei abschaffen“ vor Schlachtbetrieben in NRW protestiert. „Die Fleischindustrie laugt Leute aus, verschleißt Menschen“, erklärt Kossen. Die Arbeits- und Wohnsituationen der meisten Fleischarbeiter sei „lebensgefährlich“, wie die Corona-Tests ja gerade belegt haben. 1500 von 7000 waren positiv getestet worden. Angesprochen auf die Ankündigung von Clemens Tönnies, etwas verändern zu wollen, zitiert das Münchner Blatt den Pfarrer: „Sie können mit der Mafia keine Verträge schließen. Sie können die Mafia nicht mit der Mafia bekämpfen.“ Kossen macht sich zudem Sorgen über den Rassismus, der sich breit mache gegenüber den Polen und Rumänen, die hier arbeiteten, die infiziert seien. „Es dürfen nicht Täter mit Opfern verwechselt werden. Die Sklaven sind Opfer, nicht Täter.“
Die Missstände in der Fleischindustrie waren bekannt, durch die Pandemie wurde dieser anhaltende Skandal bei Tönnies einem Millionenpublikum via Fernsehen ins Wohnzimmer geliefert quasi auf den Esstisch. Dass sich Clemens Tönnies jetzt Sorgen um sein Unternehmen macht, muss er sich selbst zuschreiben. Dass es so gekommen ist, daran hat er mitgewirkt, er wusste um die Werkverträge und um die miserablen Wohnsituationen seiner Beschäftigen und hat jahrelang dazu geschwiegen. Der Profit war ihm wichtiger als die Menschen. Ja, es geht um die Wurst. Und es gibt erste Stimmen, die Clemens Tönnies verantwortlich machen wollen für den Skandal, der jetzt zum Lockdown eines ganzen Kreises in Ostwestfalen geführt hat. Es kann nicht sein, dass der Steuerzahler für die Fehler und Versäumnisse eines Milliardärs aufkommen muss, auch wenn dieser sehr gut vernetzt ist.
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