Nein, niemand sollte denken, die Causa Özil wäre längst auf dem Stapel der erledigten Akten gelandet, wenn der Spieler frühzeitig der pflaumenweichen Stellungnahme seines Mitspielers gefolgt wäre. Ilkay Gündogan, der sich deutlicher als Özil bei „seinem Präsidenten“ angebiedert hatte, behauptete schlicht, eine politische Botschaft habe er damit nicht beabsichtigt, und war damit schnell aus der Schusslinie. Özil schwieg lange, und als er sich dann vehement mit einer dreiteiligen Invektive gegen alle Vorwürfe zur Wehr setzte, brach erneut ein Sturm los, der alles durcheinander fegte, Empörung, Zorn und Hass, Rationales und Irrationales. Die Flammen schlugen höher gar als zuvor, und auf deren Feuer konnten nun alle noch mal ihr Süppchen kochen, die Heuchler und Selbstgerechten, die Hetzer und Verleumder. Sie hatten ihn ja, den Prügelknaben der Nation, Mesut Özil.
Doch ist diese Causa letztlich Ausdruck einer fehlgeleiteten Liaison, die der Fußballsport mal freiwillig, mal unfreiwillig mit den Herrschenden dieser Welt eingegangen ist.
Jahrzehntelang wurde den Anhängern dieser Sportart vorgegaukelt, dass Fußball die schönste Nebensache der Welt sei, dass Sport mit Politik nicht vermengt werden dürfe. Dabei wurde häufig übersehen, dass eine säuberliche Trennung nichts als eine flüchtige Illusion ist. Denn Sport und Politik haben sich zusammen mit dem Großkapital und den immer einflussreicher werdenden Medien zu einem mächtigen Bündnis vereint. Sie buhlten umeinander, unterstützten sich, und befehdeten sich immer dann, wenn es darum ging, die eigenen Interessen durchzusetzen: Offene und versteckte Korruption, Bestechungen, schmierige Geldschiebereien, Machtkämpfe diesseits und jenseits der Legalität. Und das alles wahrlich nicht erst seit Özils Fototermin mit Hemd und Händedruck im Mai.
WM-Gewinn und Nationalfeiertag
13. bis 30 Juli 1930. Das Turnier der ersten Fußball-WM. Sie findet in Uruguay statt. Das kleine südamerikanische Land hatte den Zuschlag bekommen – auch aus sportlichen Gründen – es hatte die olympischen Turniere 1924 und 1928 gewonnen. Aber es gab auch einen politischen Grund: Die Fifa und die Regierung in Montevideo wollten damit die Tatsache würdigen, dass Uruguay hundert Jahre zuvor die Unabhängigkeit von der spanischen Kolonialherrschaft erreicht hatte. Als die Mannschaft des kleinen Landers die des großen Nachbarn Argentinien im Endspiel mit 2:1 besiegte, erklärte die Regierung diesen Tag spontan zum Nationalfeiertag. Ganz Uruguay geriet in einen Taumel. Tage- und nächtelang wurde gefeiert. In Buenos Aires schmissen Argentinier Steine auf die Botschaft von Uruguay.
In den folgenden Jahren wurde Fußball immer populärer. Dass man dies gut für politische Propaganda nutzen konnte, begriffen die Politiker schnell, allen voran der italienische Diktator Mussolini. Für die WM 1934 in Italien ließ er alte Stadien runderneuern und prächtige neue errichten. Um seinen Ruhm zu mehren, verfügte er für sie die passenden Namen. Dem Stadion in Rom gab er den Namen seiner Partei, das in Turin hieß von nun an Estadio Municipale Benito Mussolini. Und wie selbstverständlich griff er auch auf seine Weise ins Spielgeschehen ein: Den schwedischen Schiedsrichter Eklund lud er zu einem illustren privaten Abendessen ein. Der Unparteiische sollte am nächsten Tag, auch dafür hatte Mussolini gesorgt, das Halbfinalspiel Italien gegen Österreich leiten.
Der eigentliche Sieger war Mussolini
Als beim Stande von 1:0 für die italienische Mannschaft kurz vor Schluss eine vielversprechende Flanke in den Strafraum der Gastgeber kam, köpfte Eklund den Ball beherzt über die Außenlinie, bevor der österreichische Mittelstürmer ihn erreichen konnte. Eklund entschied auf Abstoß. Italien gewann das Spiel wie auch das Turnier und wurde Weltmeister. Der eigentliche Sieger war Mussolini.
Auch Adolf Hitler versuchte, mit sportlichen Großereignissen die Überlegenheit der germanischen Rasse zu propagieren. so bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin. In der Tat, die deutschen Sportler waren die erfolgreichsten. Sie holten mit 33 die meisten Goldmedaillen. Beim Fußballturnier aber scheiterte der Versuch kläglich. Die deutsche Mannschaft schied schon in der Vorrunde gegen Norwegen aus. Hitler schäumte vor Wut. Reichstrainer Professor Otto Nerz wurde gefeuert. Sepp Herberger kam.
Diese Schmach sollte auf der WM 1938 in Frankreich getilgt werden. Im März waren deutsche Soldaten in Österreich einmarschiert. Keine drei Monate später musste Herberger auf Befehl aus Berlin eine neue Mannschaft mit mindestens fünf Österreichern auflaufen lassen. Der Versuch misslang ebenfalls. Die Amateure um den gelernten Bergmann Fritz Szepan aus Gelsenkirchen passten nicht zu den verwöhnten Profis aus Wien, die leichtfüßig und elegant den Ball bewegten. Das großdeutsche Team verlor gegen die Schweiz, wieder in der Vorrunde. Herberger allerdings durfte Reichstrainer bleiben.
Bundespräsident Heuss: Nun siegt mal schön
Nach der Nazi-Diktatur dauerte es Jahre, bis die Bundesrepublik Deutschland wieder zu internationalen Sportereignissen eingeladen wurde. Als sich die Mannschaft für die WM 1954 in der Schweiz qualifiziert hatte, wurde dies von den Politikern noch wenig beachtet. Bundespräsident Theodor Heuß gab den Spielern nur ein spöttisches „Nun siegt mal schön“ mit auf den Weg.
Zur Überraschung vieler Fußballexperten holte sich die bundesdeutsche Mannschaft mit einem 3:2-Sieg über die hoch favorisierten Ungarn den WM-Titel. Bei der Siegerehrung im Nieselregen fehlten sowohl der Bundespräsident als auch der Kanzler. Der damalige Außenminister von der CDU, Gerhard Schröder, war zum Deutschen Galopp-Derby nach Hamburg gereist. Sie alle hätten im Berner Wankdorf-Stadion einen Skandal miterlebt. Adenauer und Heuß hatten sich 2 Jahre zuvor darauf geeinigt, dass allein die dritte Strophe des „Liedes der Deutschen“ von Hoffmann. von Fallerleben als Nationalhymne gesungen werden durfte. Aber das kümmerte die deutschen Schlachtenbummler nicht. Sie stimmten lauthals die erste Strophe an. Die Schweizer Rundfunkanstalten brachen aus Protest die Live-Übertragung ab.
Dennoch, der WM-Titel stärkte das Selbstbewusstsein der Bundesbürger. Langsamer als es heute geschähe – es gab erst 40 000 Fernsehgeräte in der Bundesrepublik – breitete sich bei der Bevölkerung die Überzeugung aus:“Wir sind wieder wer“, und nun dämmerte es den Politikern und Sportfunktionären, dass sie Sprüche dieser Art wieder in ihr Repertoire für Sonn- und Feiertagsreden aufzunehmen hatten. Die Ansprache, die der DFB-Präsident Peco Bauwens leicht angesäuselt im Münchner Löwenbräukeller vor den Spielern, den Helden von Bern, und zahlreichen Gästen hielt, hat sich von heute aus betrachtet als richtungsweisend erwiesen: „….und da haben die Jungs dann wirklich gezeigt, was ein gesunder Deutscher, der treu zu seinem Land steht, zu leisten vermag. Sie haben in dem Lande Tells daran gedacht, ans Vaterland, ans teure, schließ Dich an. Das halte fest mit ganzem Herzen, hier sind die starken Wurzeln Deiner Kraft.“
Zusammenspiel von Sport und Spiel
Das Zusammenspiel von Sport und Politik wurde in den folgenden Jahren immer wieder ungescheut sichtbar gemacht. So Bundespräsident Heinrich Lübke mit seiner Einschätzung des entscheidenden dritten Tores beim Endspiel von 1966 im Londoner Wembley-Stadion:
“Es war kein Tor“, womit er das offizielle Ergebnis und den Sieg der Engländer in Frage stellte und zielsicher in Herz und Hirn vieler aktiven wie passiven Fußballer traf.
Bei der Siegerehrung 1974 in München, als die Mannschaft aus der Bundesrepublik zum zweiten Mal den Titel holte, stand dann Bundespräsident Walter Scheel wie selbstverständlich in der Nähe von Mannschaftskapitän Franz Beckenbauer und war einer der fröhlichsten Gratulanten.
Deckungsgleich war offensichtlich auch die Interessenslage von Sport und Politik, als es um die Teilnahme an der WM 1978 in Argentinien ging, wo eine Militärjunta diktatorisch herrschte und Tausende Zivilisten verschleppt, gefoltert und getötet wurden. Die deutsche Bevölkerung diskutierte über Menschenrechte und Verantwortung, von der Regierung in Bonn gab es dazu keine Empfehlungen. Man war sich einig: Der Titel sollte verteidigt und die Militärs in Argentinien sollten durch eine Absage nicht brüskiert werden. eine Konstellationi, ähnlich der vor der WM in diesem Jahr. Und so konnte Mannschaftsführer Bertie Vogts ungestraft sagen: “Ich habe keinen politischen Gefangenen gesehen.“
Ebenso blieb eine bundesweite Empörung aus, als Franz Beckenbauer, damals Repräsentant des DFB und Gast in aller Herren Länder, manchem Zweifel an der Rechtmäßigkeit, die WM 2022 an Qatar zu vergeben, in gewohnt lockerer Art begegnete: “Ich habe keinen einzigen Sklaven in Katar gesehen. Die laufen alle frei rum, nicht gefesselt, nicht in Ketten und auch nicht mit einer Büßerkappe.“
Anfang der 80er Jahre beschlossen die Verbandsfunktionäre im Einverständnis mit den Politikern, bei der Finanzierung sportlicher Großereignisse wie WM und Olympia neue Wege zu beschreiten. Der Amateursport hatte sein einst blühendes Leben ausgehaucht. Sponsoren mussten gesucht werden. Man fand sie in verschiedenen Bereichen der Großindustrie. Weltkonzerne wie Coca Cola, Brauereien und Fernsehstationen, die alle Übertragungsrechte zu immer höheren Preise erwarben, sprangen bei und sicherten sich in diesem erweiterten Bündnis Macht und Einfluss.
Unersättliche Raffsucht der Funktionäre
Die Proteste gegen die Vormacht dieser unerschütterlichen Allianz aus Sport, Politik, Sponsoren und Medien wurden, weil wirkungslos, ständig leiser. Man stört sich kaum noch an der unersättlichen Raffsucht der Funktionäre, die alle sportlichen Entscheidungen überlagert. Folgerichtig wird die WM 2026 in Mexico, den USA und Kanada stattfinden, denn diese drei Länder versprachen über 11 Milliarden Dollar Gewinn, mehr als doppelt soviel wie der Mitbewerber Marokko bieten konnte. Die hohen Fußball-Funktionäre in ihrer Verblendung ließen keinen Zweifel zu, dass diese Summe tatsächlich in die Kassen der Fifa fließen werde.
Wenn derartige Geldbeträge ins Spiel gebracht werden, regt sich kaum noch einer über eine Transfersumme von über 200 Millionen Euro auf, ebenso wenig über die Millionengehälter der Spitzenspieler, die sich damit von der Lebensrealität der Fans endgültig entfernt haben. Man streift sich ohne Protest ein Vereinstrikot über, für das man an die hundert Euro zahlt, das in der Herstellung aber nur ein Bruchteil davon kostet, man ergötzt sich an Siegen und verdrängt bittere Niederlagen, man wundert sich nicht, wenn Sportfunktionäre sich in Ehrenlogen mit Politikern jeder Weltanschauung amüsieren, man lächelt schadenfroh, wenn der französische Präsident Macron sich bei der Siegerehrung nass regnen lässt und neben ihm der „lupenreine Demokrat“ Putin unter einem Schirm trocken gehalten wird, man wunderte sich nur anfangs, dass der SPD-Kanzler Gerhard Schröder, der als Jugendlicher wohl ein auffälliger Außenstürmer gewesen sein mag, keine Tribüne ausließ, un sich volksnah zu zeigen, man findet es cool, wenn Angela Merkel den Siegern bis in die Kabine hinterher eilt und sich Mesut Özil artig und mit freiem Oberkörper für die Glückwünsche bedankt, und übersieht gern, dass die Kanzlerin nach einer Niederlage keinen Trost in die Kabine schickt.
So konnten die Entscheidungsträger des mächtigen Vierer-Bündnisses jahrelang ungestört kungeln und sich bereichern. Wenn einmal Skandale bekannt wurden, schob man die meisten zur Bearbeitung lässig auf die lange Bank.
Türkische Bewerbung um die EM 2024
Doch tauchen ab und an und unvermeidlich Konflikte auf, die auf unterschiedlichen Wertvorstellungen dieses Bündnisses beruhen und sich nicht harmonisieren lassen. Es liegt an der Struktur steiler Hierarchien, dass Probleme, die man oben im Führungsbereich nicht lösen kann, von leichter Hand nach unten durchgereicht werden, wo sie dann oft hilflos ausgebadet werden müssen. Politische Streitfragen sind das zumeist, zum Beispiel: Wie behandelt man Erdogan und die türkische Bewerbung um die EM 2024. Aussitzen ist da eine bewährte Taktik, mit Boykottandrohungen gehen Politiker und Funktionäre eher zögerlich um, stehen doch auch immer das persönliche Ansehen, die Karriere und auch ein Haufen Geld auf dem Spiel.
So landete das Problem Erdogan schnell unten beim Spieler Özil. Er musste sich ohne Hilfestellung des DFB entscheiden, ob er sich benutzen lässt, wenn der türkische Präsident Propaganda machen will für sich, für sein Land oder die EM in der Türkei. Die Bevölkerung in Deutschland, in der Flüchtlings- und Migranten-Problematik tief gespalten, freute sich auf die Weltmeisterschaft in Russland. Der Konflikt, der aus der Veröffentlichung des ominösen Fotos entstand, traf die Menschen unvorbereitet. Als die Bundesrepublikaner dann auch noch von schmählichen Niederlagen gebeutelt wurden, legte der Konflikt Vorurteile frei, die man längst überwunden glaubte. Viele reagierten unüberlegt und ließen sich zu rassistischen Hetztiraden hinreißen. Der Konflikt inkarnierte in einer Person, Mesut Özil, dem Prügelknaben.
Özil befand sich dabei in einer aussichtslosen Lage. Für ihn gab es keinen gangbaren Ausweg aus der Affäre. Zwei Herzen, so sagt er, schlagen in seiner Brust, ein deutsches und ein türkisches. Eine faustische Konstellation. tragisch im Sinne von Aristoteles. Wenn er sich für das eine Herz entscheide, verletze er das andere und umgekehrt. Nein zu sagen, kam für ihn nicht in Frage. Die drastischen Folgen musste er dann ertragen – eine klassische Situation, die viele Migranten in vielen Ländern und zu allen Zeiten zu durchleiden hatten. Und zu den für ihn schwer verständlichen Elementen dieser Tragik gehört auch, dass vor seinem ersten Fototermin mit Erdogan vor 8 Jahren Kanzlerin Merkel mit dem Präsidenten über neunzig Minuten geduldig, vielleicht sogar friedlich zusammen saß, um sich ein Spiel beider Ländermannschaften anzusehen. Solch ein Konflikt kann nur in der Literatur für jedermann passabel gelöst werden, Aber auch Goethe hat Jahrzehnte gebraucht, bis er für seinen Faust und dessen „zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust“ eine Lösung fand, bis er sein Werk vollendete und der Öffentlichkeit preis gab.
Franz Beckenbauer hat als Spieler nicht gesungen
Den Vorwurf, er singe nicht mit bei der Nationalhymne, konnte Özil entkräften. Er bete derweil, für einen guten Ausgang des Spiels und die Gesundheit seiner Mitspieler. Das muss man ihm abnehmen. Wer könnte denn eine Unwahrheit beweisen. Franz Beckenbauer, der als Spieler nicht gesungen hatte, forderte als Trainer 1988 seine Spieler auf, in den stadionweiten Chor mit einzustimmen. Der Integrationsbeauftragte des DFB, der ehemalige Nationalspieler Cacau, verkündete, dass er, mit Hintergrundwissen ausgestattet, sagen müsse, dass Özil „das mit dem Foto anscheinend bewusst getan habe.“ Ohne dass er Beweise dafür geliefert hätte, grenzt diese Aussage gefährlich an eine Verschwörungstheorie.
Sicherlich kann man von einer gewissen Mitschuld Özils am Entstehen und Ausmaß der Auseinandersetzung sprechen, dennoch fällt auf, dass er ziemlich allein gelassen wurde bei der Bewältigung des Konfliktes. Vom Bundestrainer allemal, zu dessen Lieblingsspielern er gehörte. Zaghaft auch nur äußerten sich seine Mannschaftskameraden. Julian Brandt, einer der jüngeren Spieler, hält es für verkehrt, Özil die Alleinschuld für das sportliche Desaster zuzuschieben. Eine solche Aussage gilt schon als mutig. Mannschaftskapitän Manuel Neuer sagte, es müsse sich etwas ändern, Was das sein könne, wusste er wohl noch nicht.
Aber auch die Politiker, die sich zuvor gern mit ihm geschmückt haben. ließen Özil im Stich. Die Kanzlerin äußerte sich nur lau, der Außenminister nur abfällig. Deutlicher wurde der Beinah-Außeminister, Cem Özdemir. Er verurteilte mit empört hoch gezogenen Augenbrauen das Vorgehen Özils als verantwortungs- wie geschmacklos. Ein Nationalspieler habe Vorbild zu sein. Vorbild ja. Nationalspieler sollen zeigen, wie man gute Pässe schlägt, gefährliche Ecken stößt, weite Einwürfe macht und Tore schießt. Für die Einhaltung von Menschenrechten im eigenen Land wie in fremden Ländern aber sind vorrangig die Politiker zuständig.
Italiener sollen Chinesen das Fußballspielen beibringen
Die unantastbare Allianz von Sport, Politik, Geld und Medien wird wohl auch in Zukunft nicht zu gefährden sein. Eine langfristige Perspektive öffnete im vergangenen Jahr der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping. Kurz vorher hatten zwei chinesische Großunternehmen die beiden Mailänder Traditionsvereine AC und Inter für jeweils rund 800 Millionen Euro gekauft und damit schuldenfrei gemacht. Als Gegenleistung wird nun in China erwartet, dass italienische Experten mit Know-how, mit Trainern und Organisatoren ins Reich der Mitte kommen, um das fußballerische Niveau in die Höhe zu treiben. Xi Jinping will, dass China bald auch auf bisher unterentwickelten Gebieten Führungspositionen einnehmen wird. Das Land soll bis zum Jahr 2050 ein wohlhabendes und wunderbares Land sein, geführt von der kommunistischen Partei und geprägt von einem Sozialismus mit chinesischen Charakteristika. Genau in jenem Jahr wird nach den Vorstellungen des Präsidenten der Kampf um die Fußballweltmeisterschaft in den größten Stadien des Landes stattfinden, und Weltmeister, so Xi Jinping, wird dann selbstverständlich die Volksrepublik China sein.
Es gibt sicherlich viele Menschen, die hoffen, dass die Causa Özil, weil ohnehin zu weit aufgebauscht, beendet wurde mit seinem Verzicht auf einen weiteren Verbleib in der Nationalelf. Aber das ist nur ein frommer Wunsch. Die Causa wird weiter existieren, vielleicht unter einem anderen Namen. Die Diskussion über den Umgang mit rechtsgerichteten populistischen Politikern sowie mit dem NATO-Partner Türkei und seinem Präsidenten ist längst nicht ausgestanden.
Gesetzt den Fall, die Türkei bekäme den Zuschlag für die Europameisterschaft 2024 und Erdogan, was auch nicht auszuschließen ist, wäre dann noch Präsident, und gesetzt den Fall, die deutsche Nationalmannschaft wäre auch ohne Özil wieder erstarkt und würde den Titel holen, was dürfte, könnte und müsste geschehen , wenn dann bei der Siegerehrung dieser Präsident vor laufenden Kameras und im Blitzgewitter der Pressefotografen den deutschen Spielern, den Helden von Istanbul, zum Gratulieren die Hand reichen wird?
Und um zum Schluss vom Tragischen in das Groteske zu wechseln: Was würde unser Bundespräsident antworten, wenn ihm bei dieser Siegerehrung Erdogan zwei Trikots überreichte und zuflüsterte: “ Bitte, zurückgeben an meine beiden verehrten Fußballfreunde, frisch gewaschen und gebügelt, mit einem schönen Gruß von meiner Frau. Und wie geht’s weiter? EM ja, aber EU nein?“
Bildquelle: Google Bildsuche, public domain
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