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Die Erben Willy Brandts – Auch über ein Vierteljahrhundert nach Brandt sucht die SPD nach geeigneten Nachfolgern

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
16. November 2018
Die halbierte SPD

Seit Wochen diskutiert die CDU über die Nachfolge von Angela Merkel. Die Kanzlerin will  beim nächsten CDU-Parteitag nicht wieder für den Vorsitz der Union kandidieren. Merz, Spahn oder Kramp-Karrenbauer, das ist hier die Frage.  Ähnlich die Lage in München, wo die CSU den Nachfolger von Horst Seehofer sucht, der in Kürze die Parteiführung abtreten wird, es dürfte Ministerpräsident Markus Söder werden, wenn der denn will. Auch die SPD hat ein Führungsproblem, auch wenn die Führung bestrebt ist, das auszuklammern. Aber die älteste deutsche Partei kann ihre Probleme nicht verbergen. Gerade hat der neueste Deutschlandtrend die aktuellen Stimmungszahlen veröffentlicht: Demnach käme die SPD nur noch auf 14 Prozent, wenn am nächsten Sonntag gewählt würde. Sie landete damit hinter der CDU mit 26 Prozent, den Grünen mit 23 Prozent zusammen mit der rechten AfD auf Platz drei. Von einer Volkspartei ist die SPD weit entfernt, von einer Marke mit Machtanspruch auch. Dass diese gefährliche Entwicklung auch etwas mit der Führung der Partei zu tun hat, ist selbstverständlich. Die Debatte wird aber unter der Decke gehalten. Es gibt zur Zeit niemanden, der unumstritten wäre, würde er  Andrea Nahles ablösen wollen.

Der Stolz der SPD ist immer noch ihre Geschichte, auch wenn die amtierende Vorsitzende Nahles vor einiger Zeit die Historische Kommission der SPD aufgelöst hat. Ich weiß, ein Blick zurück macht die aktuelle Lage auch nicht besser. Aber er zeigt, dass es bessere Zeiten für die Partei gab, viel bessere. Willy Brandt war Vorsitzender der SPD von 1964 bis 1987. Seitdem wechselte die Partei den Vorsitzenden wie andere die Hemden. Über Hans-Jochen Vogel, den direkten Nachfolger der SPD-Ikone, Rudolf Scharping, Johannes Rau(kommissarisch), Björn Engholm, Oskar Lafontaine, Gerhard Schröder, Matthias Platzeck, Franz Müntefering, Kurt Beck, erneut Müntefering, Sigmar Gabriel, Marin Schulz, Andrea Nahles. Ich hoffe, ich habe niemanden vergessen in dieser langen Reihe. Kontinuität? Fehlanzeige. Oft bestimmten Hektik und Nervosität die Gefühlslage der SPD, wenn sie wieder mal auf der Suche nach einem Nachfolger von Willy Brandt war.

Übrigens begann Brandt, wenn er Parteitage der SPD als Vorsitzender eröffnete, gern damit, auf einen seiner berühmten Vorgänger hinzuweisen: Otto Wels, der 1933 das Nein der SPD zum Ermächtigungsgesetz der Nazis mit den Worten begründete: Das Leben könnt ihr uns nehmen, die Ehre nicht. Die SPD war die einzige Partei, die dieses schlimme Gesetz, das die Demokratie außer Kraft setzte, ablehnte. Es kam vor, dass Willy Brandt beim Vortrag dieser historischen Passage den Tränen nahe war.

Die Ahnengalerie-ein Stolz der Partei 

Der Name des Lübecker Friedensnobelpreisträgers und ersten SPD-Bundeskanzlers nach dem Krieg wird immer wieder genannt, als könnte man ihn wiederbeleben oder ihn neu erfinden. Ein vor Jahr und Tage verstorbener Journalist, ein Brandt-Kenner und Sympathisant, sagte mal -und gab damit die Sehnsucht vieler Sozialdemokraten wieder-: „Der Willy hätte nicht sterben dürfen.“ Dabei hatte Brandt selber schon in den 80er Jahren von seinen Enkeln gesprochen, die sein Erbe antreten sollten: In erster Linie hatte er seinerzeit Oskar Lafontaine gemeint, jenen Hoffnungsträger der Partei, der zunächst das Rathaus in Saarbrücken im Sturm eroberte und dann den CDU-Ministerpräsidenten an der Saar Werner Zeyer alt aussehen ließ. Aber als Brandt 1987 den Hut an den Saarländer weitergeben wollte, fühlte sich Lafontaine zwar geehrt, zuckte aber dann doch zurück. Wie bekannt, verließ Lafontaine im Streit mit dem Kanzler Gerhard Schröder die SPD und ist heute Mitglied der Linken, verheiratet mit Sarah Wagenknecht, einer Führungsfigur der Partei.

Ja, die Sache mit den Enkeln. Das war eine lange Reihe bekannter Namen: Neben Lafontaine, Scharping, Engholm, Schröder, dazu die SPD-Frauen Heidemarie Wieczorek-Zeul, Renate Schmidt, Herta Däubler-Gmelin. Und nicht vergessen darf man dabei die etwas älteren Sozialdemokraten dieser Jahre: Johannes Rau, Hans-Jochen Vogel, Helmut Schmidt, Annemarie Renger. Und wenn wir noch etwas weiter zurückgehen wollen, fallen einem die Namen ein: Carlo Schmid, der frankophile Weltmann, George Leber, Fritz Erler, Herbert Wehner, der alte Fuhrmann der Partei, der den Karren, gemeint die Fraktion, lange Jahre zog. Karl Schiller, Alex Möller, das waren Größen in der Politik. Oder nehmen wir Erhard Eppler, er ist inzwischen 92 Jahre alt. Ein Linker der Partei, der in der ersten Großen Koalition und unter dem Kanzler Willy Brandt Entwicklungshilfeminister war. Ein Mann, der die Umweltproblematik früh erkannte. Es sind nur einige aus einer langen Liste bekannter Namen, alle mit einem gewissen Glanz und Klang.

Mit Heinemann begann der Machtwechsel

Der erste SPD-Bundespräsident nach 1945, Gustav Heinemann, der Mann, der die Adenauer-CDU wegen des Streits über die Wiederbewaffnung Deutschlands verließ, die pazifistische GdP zusammen mit Diether Posser-später Finanzminister in NRW-  begründete, und schließlich zur SPD übertrat, schmückt ebenfalls die Ahnengalerie der Partei, wenn man so will. Als er Staatsoberhaupt der Bundesrepublik wurde, verband er das mit dem historisch gewordenen Satz, damit sei ein Stück Machtwechsel verbunden. Wenig später wurde Brandt Kanzler der ersten sozialliberalen Koalition mit Walter Scheel als Außenminister.

Ein Blick in die Länder zeigt, wie gut die Partei aufgestellt war: Ernst Reuter in Berlin, Heinz Kühn in NRW, Holger Börner in Hessen. Namen über Namen, die die heutigen Sozialdemokraten vor Neid erblassen lassen. Paul Nevermann und Max Brauer regierten die freie und Hansestadt Hamburg, in Bremen war es der SPD-Bürgermeister Wilhelm Kaisen, der Berühmtheit erlangte wie später Hans Koschnick. Oder Georg August Zinn, der SPD-Regierungschef in Hessen kurz nach dem Krieg, Hinrich Wilhelm Kopf.

Zugegeben, manche Namen sagen dem heutigen Zeitgenossen kaum noch etwas. Aber was mit der SPD immer verbunden war und heute noch ist, ist die Frage der sozialen Gerechtigkeit. Sie wird immer wieder genannt, wenn sich Leser in Briefen an Zeitungen kritisch mit der SPD befassen. So erzählt ein Leser der Süddeutschen Zeitung in einem Leserbrief der aktuellen SZ, dass sein Vater und Schwiegervater in der SPD gewesen seien. „Das war für mich in Ordnung, weil die SPD unter Willy Brandt und Helmut Schmidt die Partei der sozialen Gerechtigkeit war. Dieser Weg wurde unter Gerhard Schröder(zusammen mit dem Grünen Jürgen Tritten) verlassen.“ Der Leser fragt dann, wann die SPD zur sozialen Gerechtigkeit zurückkehre. Und wörtlich endet sein Brief: „Dann weiß der Wähler, auch wieder, wofür die SPD steht.“

Es fehlt an der Leidenschaft für Politik

Oder fehlt es den heutigen Politikern, nicht nur der SPD, an den Typen wie Wehner, Brandt und Schmidt, an Typen, die mit Leidenschaft Politik betreiben und darüber diskutieren, fehlt es an Nach- und Querdenkern, an Typen, die keine Angst vor niemandem haben und auch nicht davor, mal auf die Schnauze zu fallen, wie das ein anderer SZ-Leser sieht? Oder liegt der Fehler der SPD darin, dass sie nicht präsent ist, nicht nur in der Hauptstadt Berlin, dass sie ihre Politik im Bundestag zwar professionell „verkauft“, aber im Vorfeld wie danach nicht dafür sorgt, dass die Öffentlichkeit über den Segen der sozialen Gesetze, die ein Arbeitsminister Hubertus Heil gerade im Bundestag begründet und dafür eine Mehrheit bekommen hat, informiert worden ist? Wenn das so ist, darf man fragen, warum denn SPD-Minister ihre Nähe zu den Gewerkschaften, zu Betriebsräten, zur AwO und überhaupt den Wohlfahrtsverbänden nicht nutzen, um diese über ihre Politik zu informieren, damit es über sie weiter getragen werde in die Arbeitnehmerschaft in der ganzen Republik? Es fehlen der SPD heute auch Persönlichkeiten wie Peter Glotz, der der Partei die Intellektuellen näher brachte.

Was ich vermisse an der SPD, ist  eine neue Ostpolitik des Außenministers Maas. Warum begibt er sich nicht in die Spur von Willy Brandt, dem Erfinder der Ostpolitik Ende der 60er Jahre? Warum tritt er nicht dafür ein, Russland an den Tisch Europas zu holen, statt Moskau in die Isolation zu treiben? Warum fordert er nicht das Ende der Sanktionen, wie es auch die deutsche Wirtschaft tut? Eine eigenständige Politik der SPD wäre nötig und möglich.  Die Agenda-Politik von Gerhard Schröder muss weiter entwickelt werden, die SPD muss aufhören, ihren eigenen Ex-Kanzler so zu behandeln, als wäre er ein Gegner der Partei. Sie läßt sich von den Grünen die Butter vom Brot nehmen. Mehr SPD wagen, könnte man ein altes Motto von Willy Brandt verändern.

Ich habe vor Tagen ein Interview in der SZ gelesen, in dem Moritz Schularick, ein Professor für Makroökonomie, der in Bonn lehrt, betont und erläutert, dass die Globalisierungsgewinne unfair verteilt seien. Deshalb könnten Populisten das Nationale gegen das Globale ausspielen. Schularick fordert, der Mann auf der Straße müsse sehen, dass diese Gewinne gerechter verteilt würden. Wörtlich sagt er: „Wenn die Schulen in Ordnung sind, genug Polizei da sind und die Züge pünktlich fahren, können Populisten die Lage nicht schlecht reden.“ Es sei kein Zufall, dass Populisten gerade Zulauf hätten, schließlich hätten wir „drei Dekaden neoliberaler Attacken auf den Staat hinter uns, die Schulen sind nicht in Ordnung, es fehlt an Polizisten und kein Zug fährt pünktlich. Dem Gemeinwesen geht es nicht gut.“ Diese neoliberale Stimmung müsse umgekehrt werden, damit sich die Menschen wieder mit dem Gemeinwesen identifizierten, ohne in den Nationalismus abzugleiten. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, so die Empfehlung des Professors, müsse von Steuern und Abgaben entlastet werden, Topverdiener, Unternehmer und Firmenerben könnten dagegen mehr zahlen. Und wörtlich fügt er hinzu: „Deutschland braucht endlich eine Diskussion über eine Vermögensteuer ohne Scheuklappen.“

Wenn das kein Thema für die SPD ist!

Bildquelle: Wikipedia, gemeinfrei

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