Wenn sich heute die Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitz-Birkenau zum 74. Mal jährt, ist das für viele Menschen ein Anlass, den unvorstellbaren Verbrechen des Holocaust zu gedenken. Millionen Menschen beteiligen sich daran, in Netzwerken wie Twitter oder Instagram kursiert der Hashtag #WeRemember tausendfach. Doch wie selbstverständlich ist dieses Gedenken für Menschen aus Generationen heute noch, die die Zeit des Zweiten Weltkriegs nicht miterlebt haben oder keinen Bezug zu Zeitzeugen haben und hatten? Verbinden jüngere Generationen überhaupt noch konkret etwas mit der Erinnerung an die millionenfache Ermordung von Juden?
In der Schulzeit wird jeder mit der Zeit des Nationalsozialismus und den Verbrechen der Nazis konfrontiert. Hier kommt man – zumindest im besten Fall – auf verschiedene Weise mit dem Holocaust in Verbindung. Es ist extrem wichtig und wertvoll, dass zum Unterricht auch Exkursionen, in ein Konzentrationslager oder die Synagoge vor Ort sowie die Konfrontation mit persönlichen Schicksalen von Holocaust-Opfern durch Zeitzeugen-Gespräche oder zumindest Filme und Dokumentationen gehören. Denn mehr noch als historisches Faktenwissen vermitteln solche direkten Erfahrungen ein Gefühl für die Ausmaße der Massenvernichtung und ein Bewusstsein dafür, welch unvorstellbares Leid die Nazis über Abermillionen Menschen und die jüdische Gemeinde in Europa gebracht haben.
Die Frage ist jedoch, welche Bedeutung die Erinnerung an den Holocaust über die Schulzeit hinaus hat. Inwieweit ist die Erinnerung an den Holocaust tatsächlich noch identitätsprägend für junge deutsche Staatsbürger? Es gibt durchaus großartige Positivbeispiel, wie beispielsweise die Initiative Heimatsucher e.V., in dem junge Menschen Zeitzeugen interviewen und diese Geschichten in Schulen und Ausstellungen weitererzählen. Im tagespolitischen Geschäft und in der medialen Öffentlichkeit wird abseits des Gedenktages jedoch nur selten so konkret auf die Bedeutung des Holocaust für das Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland hingewiesen, wie beispielsweise Außenminister Heiko Maas es tat, als er sagte, er sei wegen Auschwitz in die Politik gegangen.
Politiker und andere gesellschaftliche Akteure, die öffentliche Diskurse maßgeblich prägen, sollten die Gräuel der Nazizeit und vor allem die Lehren daraus wieder häufiger ins Bewusstsein rücken. Das ist kein Anachronismus, die Auseinandersetzung mit dem Holocaust und seiner Entstehung sind hochaktuell. Wer weiß, wie sich der Judenhass schon Jahrzehnte zuvor weit in der Gesellschaft verbreitete und die antisemitische Ideologie der Nazis deshalb auf fruchtbaren Boden fiel, versteht, wie bedeutsam es ist, die liberale und demokratische Gesellschaft gegen jede Form von Intoleranz gegenüber Minderheiten zu verteidigen. Auch die Verfolgung der Juden begann im Kleinen, durch Feindseligkeiten im Alltag, durch vermeintlich kleine rechtliche Einschränkungen.
Wer eine lebendige Erinnerungskultur ernsthaft in Frage stellt, sägt gleichzeitig schon an den Grundfesten der Demokratie in Deutschland. Es gehört deshalb zu den wenigen wirklichen Alternativlosigkeiten, die Erinnerung an den Holocaust von Generation zu Generation weitergetragen wird. Die Lehren daraus konkret ins Hier und Jetzt zu übertragen, ist die Aufgabe von Politikern, Journalisten Lehrern und anderen gesellschaftlichen Akteuren, die im Großen oder Kleinen einen Einfluss auf die heutige Generation haben.
Bildquelle: Bundesarchiv, B 285 Bild-04413 / Stanislaw Mucha / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de