„Wieder eine Politiker-Biographie!“ mögen viele bei der Meldung, „Theo Waigel hat seine Autobiographie veröffentlicht“, denken. Achtzig Jahre auf 328 Seiten zwischen zwei Buchdeckeln. Auch der Zeitpunkt zehn Tage vor seinem 80. Geburtstag passt. Also alles wie schon öfter gehabt.
Doch schon der Titel „Ehrlichkeit ist eine Währung“ sollte den geneigten Leser neugierig machen. Geht es nach den landläufigen Vorurteilen, die gerne von Populisten jeglicher Couleur geschürt werden, wollen die Begriffe „Politik“ und „Ehrlichkeit“ nicht so recht zusammenpassen. Als ich aus dem Amt des Regierungssprechers von Helmut Kohl ausschied, begegneten mir etliche Zeitgenossen, die mich drängten, meine Erinnerungen an den „ewigen Kanzler Kohl“ zu schreiben. Ich hatte Skrupel, weil ich mich meinem Chef trotz Entlassung loyal verbunden fühlte und deshalb über meine Erlebnisse im inneren Zirkel der Politik lieber schweigen wollte. Theo Waigel, den ich als Pressesprecher die ersten Jahre seines Parteivorsitzenden-Daseins begleiten durfte, bestärkte mich in meiner Haltung: „Entweder Du schreibst ein ehrliches Buch. Dann werden einige die Straßenseite wechseln, wenn sie Dich sehen. Oder Du schreibst die üblichen Floskeln und Gemeinplätze auf über zweihundert Seiten zu einem Buch zusammen. Dann will es niemand lesen.“ Lautete sein Rat.
Als ich die Einladung zur Buchvorstellung seiner Autobiographie bekam, war ich ziemlich gespannt, wie er sich entschieden hatte. Um es vorweg zu nehmen. Theo Waigel hat sich nicht nur dem Titel nach für die Ehrlichkeit entschieden.
Sein Buch enthüllt, was Theo Waigel politisch an- und umtrieb. Er beschreibt, wie der Tod seines 18-jährigen Bruders, der im Zweiten Weltkrieg in Lothringen fiel, sein Leben –auch das des Politikers Waigel – prägte. Der Leser erlebt, warum er in den 50er-Jahren zur CSU stieß, wie es ihm als Vorsitzenden der CSU-Bundestagsabgeordneten im Maschinenraum der „Männerfreundschaft“ zwischen Helmut Kohl und Franz Josef Strauß erging und wie er als CSU-Chef die friedliche Revolution in der DDR, den Fall von Mauer, Stacheldraht, Selbstschussanlagen und die Deutsche Einheit erlebte. Die Ideen und Gedanken zur von ihm maßgeblich geprägten europäischen Gemeinschaftswährung, dem Euro, leben noch einmal auf. Der Autor Theo Waigel begleitet faktenreich diese historische Zeit ohne dabei darauf zu verzichten, sie mit ein paar Histörchen auszuschmücken.
Das Kapitel „Mut vor Götterthronen – Der Kreuther-Trennungsbeschluss“ dürfte für alle Zeithistoriker besonders interessant sein. Konnte der Autor beim Schreiben doch auf seine stenographischen Notizen zurückgreifen, die das wohl einzig existente Protokoll der denkwürdigen Diskussion in der Klausurtagung der CSU-Landesgruppe mit Franz Josef Strauß sind. Damals, 1976, hätte sie beinahe zur Trennung der Unionsschwestern CDU und CSU geführt. Doch Straußens Motto „Getrennt marschieren – vereint schlagen“ wich zuletzt glücklicher Weise Theo Waigels Überzeugung, dass die Trennungsverluste größer wären als die Gewinne des getrennten Marschierens. Die Sätze passen ins Stammbuch jener CSU-Parteifreunde, die auch heute noch Nostalgie für eine politische Option halten und Trennungsgedanken hegen.
Besonders nahe lässt Theo Waigel seine Leser an sich heran, wenn er über die Zeit 1992/93 schreibt. Damals rang er mit Edmund Stoiber um die Nachfolge von Max Streibl im Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten. Waigel gab schließlich auf, weil in den Medien seine zerrüttete erste Ehe und seine Liebe zu Irene Epple thematisiert worden war. Die schlimmen persönlichen Verletzungen von damals sind verheilt, doch die Narben schmerzen auch heute noch.
Der Epilog des Buches ist quasi Theo Waigels politisches Vermächtnis an seine CSU. Er wirft Fragen auf und gibt Antworten für die Zukunft. Beides ist vor dem Hintergrund der heutigen Diskussion um die Zukunft der Volksparteien in einer immer stärker individualisierten Gesellschaft mehr als notwendig.
Zusammengefasst „Ehrlichkeit ist eine Währung“ ist eine lohnende Lektüre für alle, die Politik betreiben und für die, die immer einmal wissen wollen, wie es in der Politik wirklich zugeht. Theo Waigels Autobiographie ist darüber hinaus eine Pflichtlektüre für alle Zeithistoriker. Auch wenn sie für manche von ihnen problematisch sein könnte, weil Zeitzeugen bekanntlich das Schlimmste für Historiker sind, weil sie alles selbst erlebt haben.
Theo Waigel/ Ehrlichkeit ist eine Währung – Erinnerungen, erscheinen im Verlag Econ
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