Als ich den Titel der Einladung zuerst las“40 Jahre Nord-Süd-Kommission“, legte ich den Zettel, im Grunde fast gelangweilt-pardon-, beiseite. Das übliche, ein Datum halt, ein Jahrestag eines Jubiläums. Dabei ist das Thema, wenn man kurz darüber nachdenkt, brandaktuell. Es ging damals schon um das große Thema Flucht, um Kriege, um Entwicklung, Frieden, um Hunger, um Afrika-nicht nur, aber auch-, ja und dann geht es bei der Veranstaltung um Willy Brandt. Das hatte ich vergessen. „Das Überleben sichern“, so einer der Buch-Titel über die Arbeit, die als Brandt-Report weltweiten Ruhm erlangte. „Hilfe für den Weltfrieden“, so der andere Titel. Eingeladen hatte das Willy-Brandt-Forum in Unkel in der Nähe von Bonn, der letzten Wohnstätte des Altkanzlers. Dort gibt es ein kleines, aber sehr feines Museum, das sich einem Teil des Lebens der SPD-Legende widmet. Heidemarie Wieczorek-Zeul, die langjährige Entwicklungshilfeministerin, eine, die zum edlen Kreis der Brandt-Enkelinnen und -Enkel gehörte, hielt die Rede zu diesem Jubiläum, wenn der Begriff erlaubt ist.
Nord-Süd-Kommission. Da muss man zunächst an die Anfänge denken, daran, dass ausgerechnet der frühere US-Verteidigungsminister Robert Mc Namara Willy Brandt bat, den Vorsitz einer solchen Kommission zu übernehmen. Derselbe Mc Namara, der im Vietnam-Krieg eine blutige Rolle gespielt hatte. Den Dschungel in Vietnam wollte er damals entlauben, mit Brandbomben und anderen gefährlichen Waffen. Später bedauerte er den Krieg der Amerikaner in Vietnam, bezeichnete ihn als Fehler. Aus dem Verteidigungsminister wurde der Präsident der Weltbank, aus dem Saulus ein Paulus, wie das die SPD-Politikerin kurz anschnitt. Statt Waffen sollten Vorschläge zur friedlichen Entwicklung des vergessenen Kontinents, überhaupt der Dritte-Welt-Länder gemacht werden. Und dass der Amerikaner da auf Brandt stieß, war nicht ungewöhnlich, schließlich war der frühere Bundeskanzler Friedensnobelpreisträger. Zudem hatte Brandt in einer Zeit des Kalten Krieges die Ostpolitik erfunden, Dialog hatte er an die Stelle der Konfrontation gesetzt, Wandel durch Annäherung lautete seine Formel. Ausgerechnet dieser SPD-Mann bat um Versöhnung und fiel in Warschau auf die Knie. Ein Deutscher, der nie Nazi war, der selber fliehen musste vor Hitlers Schergen, bat in der polnischen Hauptstadt für die Verbrechen der Nazis um Vergebung.
Entwicklungsländer nicht in der Minderheit
„Da, wo rettend Zusammenarbeit ist, stellt sich auch der Frieden ein.“ Ein Satz, den er gesagt hat anläßlich der Verleihung des Friedensnobelpreisträgers. Die neu geschaffene Kommission tagte von 1977 bis 1983 an verschiedenen Orten und setzte sich aus international anerkannten Experten und einstigen namhaften Politikern zusammen: Olof Palme gehörte der Kommission ebenso an wie Edward Heath, die amerikanische Verlegerin Graham, der indische Gouverneur Kant Jha, der indonesische Bankier Malik, ein kanadischer Gewerkschafter saß neben einem japanischen Diplomaten, ein Algerier neben einem Franzosen, ein Kolumbianer neben einem Chilenen. 21 Personen waren es, Brandt achtete sehr auf die Zusammensetzung, Angehörige der Entwicklungsländer sollten nicht in der Minderheit sein und es sollte keine politische Farbe vorherrschen, also berief er Christdemokraten, Sozialisten und Konservative. Das Gremiums konstituiert sich im Schloß Gymnich bei Bonn, das war damals ein Ausweichquartier auch für Staatsgäste der Bundesregierung.
Am 12. Februar 1980 legte Brandt den ersten Bericht vor, eine schonungslose Bestandsaufnahme des Elends der Dritten Welt. Auch bei diesem Thema zeigte sich Brandt als Mann der Visionen, als einer mit Weitblick, wie ihm sein Biograph Peter Merseburger bescheinigte. In einem atemberaubendem Tempo werde der ganz Erdball von denselben Problemen betroffen sein, so zitiert Merseburger aus dem Brandt-Bericht, Problemen wie wir sie heute kennen: Energieverknappung, Verstädterung, Verschmutzung der Umwelt, eine immer komplizierter werdende Technologie . Brandt zog daraus die Folgerung: Man brauche eine „Globalisierung der Politik“, erstmals tauchte der Begriff bei ihm auf, eine Art Weltinnenpolitik. Seine Hoffnungen setzte Brandt auf die Vereinten Nationen, jene internationale Gemeinschaft, „die durch Ausgleich und Gerechtigkeit geprägt “ sein sollte.
Die südliche Halbkugel befände sich in einem Armenkreislauf von Unterernährung und Analphabetismus, Bevölkerungsexplosion und Unterbeschäftigung. Helfen könnten hier nur die Industriestaaten des Nordens, die die Länder des Südens als gleichberechtigte Partner anerkennen müssten. Er forderte massive Geldtransfers von Nord nach Süd, ferner eine Art Globalsteuer, Eindämmung der Wechselkursschwankungen und Rohstoffabkommen, damit die Preise auf einem Niveau gehalten werden könnten, den die armen Länder bezahlten könnten.
Hunger, Krieg und Rüstung
Brandt versuchte, nicht nur in der Kommission, die Zusammenhänge zwischen Hunger und Krieg, Rüstung und Rückschritt ins Bewusstsein der Menschen zu heben. Er hatte, wie er selber in seinen Erinnerungen schreibt, erlebt und gelernt aus der Geschichte, „wie Kriege Hunger nach sich ziehen… Wo Hunger herrscht, kann Friede nicht Bestand haben. Wer den Krieg ächten will, muss auch die Massenarmut bannen. Satte Menschen sind nicht notwendigerweise frei, hungernde Völker sind es in jedem Fall nicht.“
Der Bericht Brandts ist stets als visionär bezeichnet worden. Darauf wies auch Heidemarie Wieczorek-Zeul hin. Er war wegweisend, auch die Frage der Flüchtlinge schnitt er an und die Fragen des damit zusammenhängenden Asyls, er plädierte gegen jede Abschottung, gegen Mauern, wie man sie heute wieder errichten will, forderte einen Ausgleich zwischen Arm und Reich. Kam der Bericht zur falschen Zeit? In Afghanistan waren die Russen einmarschiert, in den USA wurde der reformwillige Carter durch den Präsidenten Reagan ersetzt, auch der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt war auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe kein Überzeugungstäter. Frau Thatcher regierte in Downing Street.
Aber all die widrigen äußeren Umstände konnten Brandt die Sicht der Dinge in der Welt nicht vernebeln. Er war nun mal, wie seine letzte Ehefrau Brigitte Seebacher in ihrer Biographie über Brandt schreibt, mit der sozialen Frage groß geworden. Diese soziale Frage stellte sich für Brandt in seinem eigenen Land nicht mehr, zumindest nicht in der Größenordnung, wie er sie international kennengelernt hatte. Das Elend der Welt blieb ihm nicht verborgen. Er empfand „den Gegensatz zwischen Nord und Süd als die große Frage des ausgehenden 20. Jahrhunderts, sie würde zu einer Überlebensfrage der Menschheit werden. Wo Hunger herrschte und sich über weite Landstriche ausdehnte, konnte Entwicklung nicht greifen und Frieden nicht herrschen.“
Dass es Veränderungen geben müsse, darauf hat schon Willy Brandt hingewiesen, wenn die Menschheit überleben will. Daran hat Frau Wieczorek-Zeul in ihrer Rede hingewiesen. Die Politik müsse den Menschen und nicht dem Profit dienen, sie müsse nachhaltig sein, gerecht. Die Klima-Vereinbarungen von Paris müssten eingehalten werden. Ganz im Sinne von Willy Brandt. Sie wies auf die Gefahren der Klima-Erwärmung hin, darauf, dass sich das Klima in wenigen Jahren um drei bis vier Grad erwärmen werde, wenn nichts geschehe, wenn nicht endlich umgesteuert würde, gemeint hier vor allem der Ausstieg weltweit aus der Kohle. Ein wenig Hoffnung verbreitete sie: der heiße Sommer habe vielen klargemacht, dass der Klimawandel keine Erfindung sei, sondern Realität.
Quellen: Willy Brandt, Erinnerungen. Frankfurt, Propyläen. 1989. Brigitte Seebacher: Willy Brandt. Piper-Verlag. München. Peter Merseburger: Willy Brandt. 1913-1992. Visionär und Realist. DVA, Stuttgart-München. 2002.
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