Als ich mir Teile der Haushaltsdebatte im Berliner Reichstag anhörte, fiel mir Loriot ein, ich musste nur Lametta ersetzen: Früher war mehr Debatte, was nicht heißt, dass alles besser war zu den Zeiten von Strauß, Brandt, Wehner, Schmidt. Es wurde gestritten, dass die Fetzen flogen. Vielleicht liegt die fehlende leidenschaftliche Auseinandersetzung über die Zukunft dieser Republik ja auch daran, dass wir in der vierten Legislaturperiode der Kanzlerin Angela Merkel die dritte große Koalition haben. Union und SPD regierten von 2005 bis 2009 zusammen, dann versuchte es Merkel mit den Liberalen, was diese bitter bereuten, schließlich flogen sie aus dem Bundestag. Auf die schwarz-gelbe Koalition folgte 2013 erneut die Groko und 2017 wieder eine Groko, weil eine Jamaika-Allianz zu nennende Koalition auch daran scheiterte, dass FDP-Chef Christian Lindner die Runde mit Merkel und Co verließ mit der Bemerkung: Lieber nicht regieren, als schlecht regieren. Lassen wir die Wertung so stehen.
Aber bleiben wir mal beim Vorsitzenden der Freidemokraten. Das waren noch Zeiten, als die Dehlers für die FDP stritten, oder die Scheels, die Genschers, Hamm-Brüchers, Baums oder Flachs. Lindner gefällt sich in der Rolle eines bestens gekleideten Mannes, der aber über seine äußere Ausstrahlung hinaus inhaltlich immer weniger zu bieten hat. Auch deshalb findet die FDP außerhalb von Talkshows kaum statt. Zwar ist an Talkshows kein Mangel, wie Wolfgang Kubicki beweist. Aber Fernsehen kann den Bundestag nicht ersetzen, auch wenn das sogenannte Hohe Haus oft genug nicht als politisches Zentrum der Republik wahrgenommen wird.
Einzuräumen ist, dass die FDP nur eine Oppositionspartei ist, nicht die zahlenmäßig größte. Aber sie würde punkten, wenn sie es denn könnte. Sie könnte die Finanzpolitik der Regierung angreifen, auseinandernehmen, sie könnte diese Attacke auf die Wirtschaftspolitik ausdehnen, das Durcheinander in der Energiepolitik dem Minister vorhalten. Aber was rüberkommt, ist etwas anderes, ist oft heiße Luft.
Die größte Opposition ist die AfD, die aber in der Haushaltsdebatte mehr dadurch auffiel, dass Alexander Gauland, ihr Fraktionschef, im Grunde den Klimawandel fast leugnete. Er erweckte mit seinen Attacken auf die Regierung den Eindruck, als wollte er ihr vorhalten, dass sie mit ihrer Klimapolitik die Automobilindustrie abwürge, den Motor der deutschen Wirtschaft. Dass hier umgesteuert werden muss, ist eigentlich unbestritten. Die Jobs der Menschen gerieten erst recht in Gefahr, wenn sich die Bosse von VW bis Audi und BMW bis Daimer-Benz keine Sorgen über die Zeit nach dem Verbrennungsmotor machten.
Haushaltsdebatten sollen eigentlich politische Auseinandersetzungen sein über die Politik der jeweiligen Regierung, sie sollen die Stunde der Opposition sein, in der sie der Regierung die Leviten liest und aufzählt, was sie ihrer Meinung alles falsch und was die Opposition besser machen würde. Keine der Oppositionsfraktionen wurde dieser Rolle gerecht, auch nicht die Linke. Ihr Vertreter Dietmar Bartsch versuchte sich in einer Sprache, die sich an den Fußball anlehnte, das Spiel, so ähnlich sein Bild, müsse zur Halbzeit abgepfiffen und dürfe nicht wieder angepfiffen werden. Es sei denn durch eine Neu-Ansetzung, will sagen, Neuwahlen.
Grünen hätten gern mit Merkel regiert
Kommen wir zu den Grünen, die im Bundestag in der Opposition sind. Wie gern hätten sie mit Merkel eine Jamaika-Regierung gebildet, aber das verhinderte der oben erwähnte Christian Lindner. Jetzt drücken die Grünen erneut die harten Bänke der Opposition, von denen aus man kritisieren kann, angreifen, aber nicht gestalten. Kriitk und Attacke, das macht der Anton Hofreiter für die Grünen, aber so richtig funkt es nicht, wenn er auf dem Podium steht. Das mag damit zusammenhängen, dass sich Politiker der Grünen wie Katrin Göring-Eckart und andere gern an den Regierungstisch mit Angela Merkel gesetzt hätten. Schwarz-Grün war ja längst auch die Traum-Verbindung in den Augen vieler Berliner Journalisten. Die Opposition fällt den Grünen auch deshalb im Bund nicht mehr so leicht, weil sie in Bundesländern längst selber regieren wie in Baden-Württemberg oder mitregieren wie in Hessen. Und zum Regieren gehört nun mal der Kompromiss, man muss Zugeständnisse machen, weil man nicht allein ist auf der Welt oder andere sogar über mehr Einfluss durch Stimmen verfügen.
In Bayern gelang den Grünen der Sprung in die Regierung nicht, weil Ministerpräsident Markus Söder, der später auch CSU-Parteichef wurde, die Freien Wähler vorzog und die Grünen auf die Oppositionsbänke schickte. Das war nicht ungeschickt, weil der CSU-Politiker sich nicht von den Grünen die Butter vom Brot nehmen und die Schau stehlen lassen wollte. Sie fühlten sich schon während des bayerischen Wahlkampfs reif für die Regierung, was dem Söder nicht entgangen war. Er hat die Grünen als den eigentlichen Gegner der CSU ausgemacht. Also besetzt er deren Themen, wirbt um Junge, um Frauen, tritt plötzlich als Grüner auf, sehr zum Verdruss der Ökopaxe, die als Partei in die Mitte drängen und dort das Wähler-Potential der alten Volksparteien für sich entdeckt haben. Die SPD haben die Grünen längst überholt, nun sitzen sie den Christdemokraten und Christsozialen im Nacken. Hin und wieder sind sie an der Union in Umfragen auch schon mal vorbeigezogen. Söder hat die AfD als Feind ausgemacht, er bezeichnet sie als die neue NPD. Er greift sie voll an und zielt dabei auf die Wählerinnen und Wähler der AfD, um ihnen klarzumachen, wer hinter dieser AfD steckt, dass sich in ihren Reihen auch Neonazis, Rassisten, Fremdenfeinde und Antisemiten tummeln.
Medien schreiben Söder als Kanzler hoch
Auffallend, wie die Medien den bayerischen Ministerpräsidenten hofieren, ihn hochschreiben als den nächsten Kanzlerkandidaten der Union, also als den nächsten Kanzler, wenn Merkel 2021 abtritt. So schnell geht das heutzutage, früher war Söder eher nicht der Liebling der Medien, jetzt haben sie ihn hoch droben ausgemacht. Abwarten, wie lange das hält. Söder lässt sich aber nicht so leicht vom Weg abbringen, er hat in Bayern viel zu tun. Seinem Image wird es guttun, dass er in der Polit-Liga mit an der Spitze liegt. Aber er weiß um die Kräfte-Verhältnisse in der Union, er kennt die Schicksale anderer CSU-Chefs wie Strauß und Stoiber, die beide, der eine 1980 gegen Helmut Schmidt, der andere 2002 gegen Gerhard Schröder verloren. Im Falle von Strauß hatte CDU-Chef Helmut Kohl dem Christsozialen den Vortritt gelassen, weil er wusste, dass die FDP nicht mit Strauß in eine Koalition gehen würde. Bei Stoiber war es Angela Merkel, die anlässlich des legendären Frühstücks in Wolfratshausen dem CSU-Politiker die Kanzlerkandidatur antrug und sich dabei fast verrechnet hätte. Denn Stoiber fehlten nur wenige Stimmen und er wäre Kanzler geworden. Was wäre dann wohl aus Angela Merkel geworden?
Sie wird sich diese Frage nicht mehr stellen müssen. Umstritten wie sie in Anfangsjahren als CDU-Generalsekretärin und dann als Vorsitzende war, eifersüchtigt beäugt von ihren innerparteilichen Konkurrenten wie Koch, Wulff und Merz, hat sie dann als Kanzlerin derartig an Profil gewonnen, dass sie zeitweilig zur stärksten Frau in Europa avancierte. Diese auch von den Medien gefeierten Zeiten sind vorbei, Merkel ist längst im Alltag angekommen und auf der letzten Etappe ihrer Kanzlerschaft. In der Haushalts-Woche verbrachte sie ruhige Stunden, sie konnte lachend verkünden, dass sie Lust habe, bis 2021 zu regieren, also bis ans selbst gesetzte Ende. Sie hat die lästige Parteiarbeit längst an Annegret Kramp-Karrenbauer abgegeben, der ehrgeizige Friedrich Merz blieb erneut außen vor.
Mützenich -starker SPD-Fraktionschef
Jetzt hoffen Merkel und sicher AKK darauf, dass die SPD auch in der Regierung bleiben will. Rolf Mützenich, der starke Fraktionschef der SPD, hat signalisiert, dass er die Arbeit in der Groko gern fortführen würde. Er hat die Erfolge der Regierung als Siege der gebeutelten SPD herausgestellt, er tat das an die Adresse von Merkel, damit diese das auch zulassen möge. Mützenich hat erneut den Akzent in der Außenpolitik aufs Politische gesetzt und nicht aufs Militärische, was ihn unterscheidet von der CDU-Chefin, die den Etat des Verteidigungsressorts aufstocken und in aller Welt Flagge zeigen will. Anders Mützenich, aus dem man fast ein wenig Willy Brandt heraushören konnte.
Was aber nichts aussagt über die Zukunft derGroko. Da kann Merkel nur hoffen. Olaf Scholz allein würde am liebsten so weitermachen, aber es ist nicht ausgemacht, dass Scholz die Abstimmung in der SPD gewinnt. Man darf daran erinnern, dass der Hamburger innerhalb seiner Partei nicht gerade der beliebteste Politiker ist, er hat bei Wahlen stets die schwächsten Ergebnisse erzielt. Seine Finanzpolitik der schwarzen Null wird ihm vielerorts angekreidet. Am Sonntag wissen wir mehr, dann wird das Ergebnis bekannt gegeben. Und Anfang Dezember fällt der SPD-Parteitag ein endgültiges Urteil, das sich aber anlehnen dürfte an das Abstimmungsergebnis der Mitglieder der Sozialdemokraten. Beim ersten Votum hatte Scholz nur denkbar knapp gegen Norbert Walter-Borjans gewonnen. Das Rennen ist offen.
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