Helmut Kohl wäre heute 90 Jahre alt geworden. Er ist am 16. Juni 2017 nach längerer Krankheit gestorben. Seit seinem Tod ist der einst so bedeutende Politiker zwar nicht in Vergessenheit geraten, doch ist das Gedenken an ihn keineswegs so lebendig, wie er es verdient hätte oder wie es nach wie vor Konrad Adenauer gewidmet wird.
Gnade der späten Geburt
Nach Konrad Adenauer und Helmut Schmidt zählte Helmut Kohl ohne jeden Zweifel zu den großen Kanzlern unserer Republik. Der Lebensweg des Pfälzers, der am 3. April 1930 in Ludwigshafen geboren wurde, war eindrucksvoll, zielstrebig und wechselvoll sowie am Ende auch tragisch. Helmut Kohl hat sich bereits als junger Mann politisch engagiert. Seine Erfahrungen, die er in den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges machen musste, haben ihn stark geprägt. Wenn er später von der „Gnade der späten Geburt“ sprach, wollte er damit allen erklären, dass ihm Verstrickungen mit der schrecklichen Nazi-Diktatur, das Einziehen in die Wehrmacht, eine Gefangenschaft in Russland oder anderswo sowie vieles andere erspart geblieben waren. Zeit seines Lebens machte er deshalb Front gegen jeden Radikalismus, vor allem auch gegen jede Form des Antisemitismus. Das führte in späteren Jahren zu einer freundschaftlichen Verbindung mit Simon Wiesenthal und anderen Repräsentanten jüdischen Glaubens sowie zu einer engen Beziehung zum Staate Israel.
Der starke Pfälzer
Helmut Kohl war bereits in seinen jungen Jahren ein politischer Macher, Anpacker und Gestalter. Im Landtag von Rheinland-Pfalz wurde er rasch der Vorsitzende der CDU-Fraktion und dann im Jahre 1969 als Nachfolger von Peter Altmeier Ministerpräsident. Mit einer hervorragenden Regierungsmannschaft, der u.a. Heiner Geißler und Bernhard Vogel angehörten, ging er mutig daran, überfällige Reformen durchzuführen und Rheinland-Pfalz, lange Zeit als „Land der Reben und Rüben“ bezeichnet, zu modernisieren. 1975 erreicht Kohl mit 53,9% den größten Wahlsieg seines landespolitischen Wirkens. Doch der „Schwarze Riese aus der Pfalz“ blickte damals über Mainz hinaus nach Bonn. 1976 trat er bei der Bundestagswahl als Kanzlerkandidat der Union gegen den amtierenden Regierungschef Helmut Schmidt an. Die Union mit dem Spitzenmann Kohl erzielte ein Ergebnis von 48,6 %, doch fehlten 100.000 Stimmen zum Gewinn der absoluten Mehrheit.
Bittere Erfahrungen
Der Pfälzer musste bittere Jahre erleben. Sein permanenter Widersacher Franz-Josef Strauß drohte mit der Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU, diskreditierte und diffamierte Helmut Kohl als „unfähig, charakterlich, geistig und politisch schwach“. 1980 musste der Pfälzer hinnehmen, dass die Mehrheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion weder Kohl noch den CDU-Mann Ernst Albrecht, sondern den Bayern Strauß zum Kanzlerkandidaten kürte. Doch Strauß schaffte es auch nicht, Regierungschef der Republik zu werden. Während Teile der Union sich auf die Suche nach einem neuen Kanzlerkandidaten machten und einige sich bereits für den Kennedy-Typen Leisler Kiep einsetzten, knüpfte Helmut Kohl enge Bande zu Hans-Dietrich Genscher. 1982 zerbrach die sozialliberale Koalition unter Helmut Schmidt, Helmut Kohl wurde Kanzler einer christlich-liberalen Koalition. Sein Regierungsamt behielt er bis zur Bundestagswahl 1998, dann erlitt er eine herbe Niederlage. In das von Kohl mit viel Herzblut mitentworfene Bundeskanzleramt in Berlin zog Gerhard Schröder ein.
Der große Europäer…
Helmut Kohl war keineswegs der Provinzpolitiker, als den ihn viele Journalisten immer wieder beschrieben und oft genug mit Häme bedachten. In seiner Regierungszeit hat er Deutschland zunächst einmal wieder auf den Kurs der Sozialen Marktwirtschaft gebracht, aus der Rezession geführt, die Sozialversicherungskassen und öffentlichen Finanzen saniert. Ein politischer Schwerpunkt seiner Kanzlerzeit war Europa. Gemeinsam mit seinem ungleichen Freund aus Frankreich, François Mitterand, befreite er die Europäische Gemeinschaft von der Eurosklerose, setzte er sich für die Aufnahme von Spanien und Portugal ein, engagierte er sich für die Schaffung des europäischen Binnenmarktes und das Euro-System. In der Tradition von Konrad Adenauer war Kohl ein großer Europäer, der vor allem auch in den kleineren Mitgliedsländern großes Vertrauen und Ansehen genoss.
..und geschätzte Atlantiker
Helmut Kohl hasste es geradezu den Gegensatz, den nicht wenige Politiker zwischen Europäern und Atlantikern bildeten. Vielmehr setzte er sich für eine starke europäische Gemeinschaft und das atlantische Bündnis ein. Deshalb wurde er gleichermaßen in Brüssel wie in Washington als Freund und Verbündeter hochgeschätzt. Mit den US-Präsidenten Reagan und Bush pflegte er ein Verhältnis, das auf politischer Gemeinschaft und gegenseitigem Vertrauen basierte. Im Weißen Haus wurde der Bundeskanzler Kohl stets mit geradezu überschwänglicher Freundlichkeit empfangen und als der „große Europäer“ geschätzt.
Kanzler der deutschen Einheit
Wie kein anderer Politiker hat Kohl an der Idee der deutschen Einheit festgehalten. Er war deshalb bereit, alles zu tun, um das Auseinanderleben der Menschen in den beiden getrennten Staaten in Deutschland zu unterbinden. Vor allem war ihm daran gelegen, Mauer und Stacheldraht an der deutsch-deutschen Grenze durchlässiger zu machen und gegenseitige Besuche der Menschen aus der DDR und der Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen. Dafür war er bereit, Erich Honecker in Bonn zu empfangen, der DDR Kredite zu gewähren und Handelserleichterungen einzuräumen.
Im Mai 1988 machte Helmut Kohl mit seiner Frau Hannelore und einigen Mitarbeitern einen „geheimen Besuch“ in der DDR. Danach stellte er fest, dass der Gedanke an die deutsche Einheit bei den Landsleuten in der DDR außerordentlich stark war. Dass diese Menschen im November 1989 mit ihrer friedlichen Revolution die deutsch-deutsche Grenze einrissen und das sozialistische DDR-Regime beendeten, überraschte indessen auch Helmut Kohl. Allerdings sah er sofort die Chance für eine Wiedervereinigung. Die erste frei gewählte Volkskammer der DDR beschloss im Sommer 1990 den Beitritt zum Grundgesetz der Bundesrepublik. So wurde Kohl, der mit größtem diplomatischen Geschick und seinem früher – vor allem in den USA – geschaffenen Vertrauenskapital operierte, der „Kanzler der deutschen Einheit“. Mit viel Herzblut und Engagement setzte er sich für den Wiederaufbau in Ostdeutschland, für die Restrukturierung der maroden Wirtschaft und die Beseitigung der Folgen des ökologischen Raubbaus ein. In der Tat wollte er „blühende Landschaften“ für die ostdeutschen Landesleute schaffen. In manchen Regionen hat es länger als erwartet gedauert, was jedoch dem Kanzler der Einheit gewiss nicht anzulasten war. Ihm gebührt eher großer Dank, dass er unbeirrt an seinen Zielen festhielt, nämlich die deutsche Einheit und die europäische Einigung zu erreichen.
'GEDENKEN AN HELMUT KOHL: * 3.4.1930' hat einen Kommentar
4. April 2020 @ 17:22 Margit-Rosa Rehn
Es ist sehr wichtig, in Zeiten wie diesen an Helmut Kohl zu erinnern. Wäre er heute noch Kanzler, hätte er vermutlich dafür gesorgt, dass vor allem Frankreich und Italien viel schneller Hilfe erhalten. Er hätte uns in der Corona-Krise damit so manche Peinlichkeit erspart.