Was will man mehr, wenn man 80 Jahre alt wird, wie jetzt am Ostermontag Theo Waigel, der ehemalige CSU-Parteichef und langjährige Bundesfinanzminister unter dem Kanzler Helmut Kohl. Er ist gefragt in der CSU, wo er spürt und hört, dass man ihn mag und respektiert, wo man gelegentlich seinen Rat einholt und befolgt. Das sieht er bei Markus Söder, der sich klar abgrenzt von der AfD, den offenen Streit mit der CDU vermeidet, Probleme lieber leise bespricht mit der neuen CDU-Chefin und einen Kurs der Mitte bevorzugt, wie das Waigel auch gern tat. Dass die CSU nach dem Tod ihres „Gottvaters“ Franz-Josef Strauß nicht zur Regionalpartei wurde, sei ein Verdienst von Waigel, hat der frühere Landtagspräsident Alois Glück ihn gewürdigt. Ohne Waigel hätte die skeptische CSU im deutschen und europäischen Einigungsprozess keine Rolle gespielt. Glück wörtlich: „Aus München kam nicht Unterstützung, sondern nur Gegenwind.“
Wer Waigel beobachtet hat in den letzten Jahren, hat einen Mann erleben können, der mit sich im Reinen scheint. Er hat fast alles erreicht in seinem Leben, eine Karriere hingelegt, die nicht vorgezeichnet war. Er stammte aus kleinen Verhältnissen, wuchs auf einem Bauernhof in Oberrohr im Landkreis Günzburg auf, sein Vater war Maurerpolier und Nebenerwerbslandwirt. Da wird man nicht reich, wenn man trotzdem lernen und studieren darf, erfüllt einen das mit Genugtuung. Theo Waigel macht das Abitur, studiert Jura, legt beide Examina ab, wird promoviert. Und wechselt ziemlich bald als Referent des Staatssekretärs Anton Jaumann in das bayerische Finanzministerium. Der Rest ist bekannt, der Mann wird Abgeordneter des Bundestages in Bonn, CSU-Landesgruppenchef, später Parteichef, Bundesminister der Finanzen. Als solcher gilt er heute als „Mister Euro“, der Mann, der den Euro erfunden hat. Und trotz des Höhenflugs hat Waigel die Bodenhaftung nie verloren und seinen hintersinnigen Humor auch nicht.
Kürzlich hat er seine Autobiographie vorgelegt: „Ehrlichkeit ist eine Währung“, so der Titel. Peter Hausmann, Regierungssprecher von Helmut Kohl, sicher auf Empfehlung von Waigel, hat dieses Buch für unseren Blog besprochen. Hausmann kennt Waigel sehr gut, das Buch ist eine ehrliche Bilanz von Waigel über Waigel, wenn dieses Wortspiel erlaubt ist. Ehrlich, oder besser gerade heraus, ungeschminkt, das war immer der Theo Waigel zum Beispiel in seinen Bonner Jahren. Ich kann mich noch gut erinnern, wie SPD-Abgeordnete über ihn gesprochen haben. Fast immer hieß es, der „Theo ist in Ordnung“. Das sagte Peter Struck, der Fraktionschef der SPD im Bundestag, Bundesverteidigungsminister, der Waigel als seinen Freund beschrieb. Auch Struck war eine gerade Haut, oft ziemlich direkt, offen und ehrlich, wenig diplomatisch. Beide haben zusammen Fußball gespielt in der Bundestags-Elf.
Ein überzeugter Europäer
Ich habe Waigel das erste Mal persönlich erlebt nach einer langen Bundestagsdebatte in den 80er Jahren. Man suchte danach hin und wieder eine Kneipe, um noch ein kühles Bier zu trinken. Waigel hörte das Gespräch von Journalisten, die nicht wussten, wohin man denn gehen solle. Im Regierungsviertel am Rhein war die Auswahl sehr dünn, Ossis Bar im Bundeshaus war schon dicht zu so später Stunde. „Ein Weißbier können Sie auch bei mit trinken“, schlug der CSU-Politiker vor. Damals war ich noch Korrespondent der WAZ in Bonn. Also ließen wir uns einladen, andere CSU-Leute folgten. Nach dem zweiten Bier erlebten wir einen gelösten Waigel, der einen CDU-Kollegen aus der oberen Etage-der Name bleibt geheim- bei Wahlkampf-Auftritten in Bayern beschrieb. Das war Kabarett vom feinsten. Wir haben uns gebogen vor Lachen.
So war der Theo Waigel auch, der aber nicht nur verbindlich sein konnte und unterhaltsam. In der politischen Auseinandersetzung konnte er aber auch durchaus zulangen, wenn das geboten schien, was nicht hieß persönliche Beleidigung, das war nicht sein Stil, aber hart in der Sache konnte er sein. Keine Frage. Aber der Streit wurde so ausgetragen, dass man sich anschließend noch freundlich begegnete und gemeinsam ein Bier trank.
Theo Waigel ist ein überzeugter Europäer, was nicht heißt, alles gut und richtig zu finden, was die da in Brüssel oder Berlin oder Paris oder London oder Rom oder oder europapolitisch produzieren. Aber die Idee des gemeinsamen Europa hält er für absolut richtig. Zwei Weltkriege hat das nationale und nationalistische Europa aushalten müssen, fast wäre es dabei in die Luft geflogen, Millionen Menschen hatten den Tod gefunden, vieles war zertrümmert worden, lag in Schutt und Asche. Waigel steuert zu diesem Thema seine persönliche, private Erfahrung bei. Über die Briefe seines Bruders Gustl, der als Soldat im Zweiten Weltkrieg fiel, erklärt er seine Überzeugung als Europäer. Über die Defizite der EU brauche ihm niemand etwas zu erklären, darüber könne er dickere Bücher schreiben als Peter Gauweiler. Und doch „konnte uns Besseres nicht passieren“, betont er. Und er hat ja Recht damit. Seit 1945 herrscht Frieden in Europa, muss sich niemand mehr fürchten vor dem allzu großen und mächtigen Deutschland, nicht die Polen, nicht die Holländer, Belgier, die Franzosen sind längst unsere besten Freunde.
Er ergriff Partei für Merkel
Der Mann ist gefragt, respektiert, er ist so etwas wie eine Institution in der CSU geworden. Als die Landtagsfraktion vor Jahr und Tag in Nöte geraten war, weil einige es nicht so genau hielten mit der Moral-gemeint,. dass man Familienmitglieder nicht im Büro des Landtagsabgeordneten beschäftigt-, hat man Theo Waigel gebeten, so etwas wie einen Werte-Kanon aufzuschreiben. Er hat es gemacht und das Thema ist wohl erledigt. Als die CSU im letzten Wahlkampf mehr und mehr Probleme bekam, weil die absolute Mehrheit dahinschwand, war es u.a. der Ehrenvorsitzende Theo Waigel, der versuchte, zu retten, was nicht mehr zu retten war. Aber die CSU konnte zumindest ihre Regierungsmehrheit behalten. Und vor einiger Zeit war es wieder Waigel, der der CSU bei einem heiklen Thema aus der Patsche half. Es ging um das Volksbegehren“Rettet die Bienen“, das an der CSU vorbei gegangen war und große Zustimmung gehabt hat im Volk der Bajuwaren. Der Vorschlag zum runden Tisch mit dem Moderator Alois Glück stammt von Waigel.
Er ist selber oft genug Moderator gewesen. Schon den großen Strauß hatte er in Kreuth belehrt, dass CSU-Alleingänge keinen Erfolg versprechen. Waigel war damals gegen den Trennungsbeschluss, weil er die Folgen bedachte und sich um die Rolle seiner CSU sorgte, die eben zur Fraktion mit der CDU verdammt ist, will sie erfolgreich sein, gehört werden im Stimmengewirr in Deutschland und Europa. Und als Horst Seehofer sich gegen Angela Merkel in der Flüchtlings-Debatte allzu laut aufbaute, war es Waigel, der Stellung bezog und Partei ergriff für die Kanzlerin, nicht weil er keine Probleme sah in der Debatte, sondern weil er die Konfrontation der CSU mit Merkel für falsch hielt. Differenzen spricht man unter vier Augen an, nicht auf dem Podium und nicht vor laufenden Kameras. Dass Markus Söder seit längerem moderat auftritt, hängt damit zusammen, dass er gelegentlich den Rat des Ehrenvorsitzenden Waigel sucht.
Er gilt als verläßlich, auch dann, wenn es schwierig wird. Dem Kanzler Helmut Kohl hat er loyal gedient, die Spendenaffäre wird ihm missfallen haben, was er aber nie öffentlich gesagt hat, sondern diesem persönlich vertraulich geäußert haben wird. Öffentlich habe ich ihn erlebt nach der Wahl von Horst Köhler zum Bundespräsidenten im Jahre 2004. Nach der Wahl gab es einen Empfang, zu dem auch Helmut Kohl erschien. Waigel sah ihn, bat seine Gesprächspartner um kurze Geduld, und eilte schnellen Schrittes zu „meinem Freund Helmut“. Da ließ er keine Zweifel aufkommen.
Machtkampf mit Edmund Stoiber
Wenn man über Waigel schreibt, darf das Kapitel über Edmund Stoiber nicht fehlen. Die beiden waren nie Freunde und werden es auch nicht mehr. Das hängt nicht nur mit der Verbindlichkeit und Kompromissfähigkeit eines Theo Waigel zusammen, der durchaus gönnen kann, wie das der Kölner gern formuliert, und nicht nur mit der Verbissenheit, mit der Stoiber Politik machte. Im Fall von Waigel/Stoiber steckt auch der damalige Machtkampf zwischen den beiden um die Macht in Bayern dahinter. Es ist müßig, heute darüber zu reden, wer damals vorn lag, also die angeblich besseren Karten gehabt habe. Mag sein, dass Waigel laut Umfragen damals, 1993, vor Stoiber lag. Er war ja auch beliebter, der Bundesfinanzminister. Aber die Frage, wer Ministerpräsident in Bayern wird, entscheidet nun mal maßgeblich die Landtagsfraktion. Und dort hatte Stoiber das Sagen, er hatte dafür gesorgt, dass an allen wichtigen Stellen der CSU-auch in der Bonner Landesgruppe und der Landesvertretung- Stoiber-Vertraute saßen. Das wussten wir Journalisten und wunderten uns darüber, dass der CSU-Parteichef dies zugelassen hatte.
Hinzukam eine andere, private Sache: Theo Waigel war damals noch in erster Ehe verheiratet, lebte aber getrennt von seiner Frau. In Bonn war es ein offenes Geheimnis, dass er mit der früheren Skirennläuferin Irene Epple liiert war. Aber es gehörte zu den Usancen der Bonner Republik, dass die Journalisten, denen man diese Geschichte gesteckt hatte, darüber nicht schrieben. Dass Edmund Stoiber später solche Machenschaften scharf verurteilt, ja behauptet hat, ihm seien derlei Vorgänge nicht bekannt gewesen, würde auch ich inhaltlich in das Reich von Märchen schieben. Und dass Waigel jetzt in seinem Buch dazu feststellt: „Das nehme ich ihm nicht ab“, kann ich gut verstehen. Ich würde ihm das auch nicht abnehmen. Die Geschichte wurde damals aus CSU-Kreisen in Bonn gestreut und gestreut in der Absicht, dass sie veröffentlicht würde. Lange her, diese Geschichte, aber Theo Waigel hat ein Elefanten-Gedächtnis.
Bei seinem Geburtstag wird das keine Rolle spielen. Er feiert in Seeg, dort lebt er mit Irene Epple zusammen, sie beiden haben einen Sohn Konstantin. Nach der Kirche wird er mit Freunden, Nachbarn und der Familie feiern. Sein schönstes Geschenk, so hat es die SZ aus seinem Mund erfahren, habe er von Schülern nach einem Besuch der Schule erhalten. Einer habe gesagt: „Ein geiler alter Knacker“, sei dieser Waigel. „Schade, dass er weg ist vom Fenster.“ Das ist er ja nicht.
Bildquelle: Bundesarchiv, B 145 Bild-F082410-0032 / Schaack, Lothar / CC-BY-SA 3.0