Als ich hörte, dass der WDR die Fernseh-Serie „Holocaust“ wiederholen würde, habe ich mich sehr darüber gefreut. Gerade heute, dachte ich, sei es wichtig, das Thema wieder in die Köpfe der Deutschen zu bekommen, gerade heute, da Nationalisten, Rassisten, Fremdenfeinde, Neonazis und auch Antisemiten wieder salonfähig geworden sind und sich breit machen in Europa, da wir eine Partei wie die AfD im Bundestag und in allen Landtagen sitzen haben, deren Meinungsführer Gauland die Nazizeit für einen Vogelschiss in der deutschen Geschichte hält und der dafür plädiert, die Leistungen der deutschen Wehrmacht wieder entsprechend zu rühmen, dabei ist die Mitwirkung der Wehrmacht an den Kriegsverbrechen der Nazis bewiesen. Aber einer wie Gauland will das verharmlosen. Und Gaulands Parteikollege Höcke hat vor Zeiten gegen das Holocaust-Mahnmal in Berlin neben dem Brandenburger Tor gewettert, als sei die millionenfache Ermordung der Juden durch die Nazis nicht eines der größten Verbrechen der Menschheit.
Die Serie „Holocaust“ jetzt zu zeigen passt in die Zeit, dachte ich weiter, zumal die Zeitzeugen, die das alles erlebt haben und die man fragen konnte, immer weniger werden, und die Jungen keine Ahnung haben von dem größten Zivilisationsbruch, begangen von den Deutschen. Aber dann las ich in der Zeitung, dass die Serie im WDR, im NDR und im SWR erst ab 22 Uhr läuft, also zu einer Zeit, da die Schüler, die am nächsten Morgen in die Schule müssen und die es eigentlich angehen sollte, schon im Bett liegen. Ähnlich dürfte es für die Berufstätigen sein, die das Thema interessiert. Warum so spät? Und warum nicht zur besten Sendezeit? Befürchtet man wie damals Proteste von den alten Nazis, Bombendrohungen wie Ende der 70er Jahre? Oder will mir jemand weismachen, dass der „Vorkoster“ unbedingt am gestrigen Montag, 7.Januar im WDR um 20.15 Uhr gezeigt werden musste? Was ist eigentlich mit dem früher viel gerühmten Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender? Am heutigen Dienstag läuft im WDR um 20.15 Uhr das Abenteuer Erde. Konnte man das nicht verschieben? Holocaust II ist erst ab 22.10 Uhr zu sehen und endet gegen 23.40 Uhr.
Der Feind steht rechts
Wer immer das so entschieden hat, ist leider zu kurz gesprungen, er hat die Dimension des Themas nicht erkannt, die Chance, die Öffentlichkeit aufzurütteln, damit sie merkt, was man verlieren kann, wenn man nicht für eine Sache kämpft, für die zu kämpfen es sich lohnt. Ja, ich meine unsere heutige Republik, über die sich ihre Feinde hinwegsetzen möchten, deren Errungenschaften sie abwerten, sich über die Repräsentanten des Staates lustig machen. Dabei ist diese Bundesrepublik das Beste, was wir je zustande gebracht haben. Auch Hitler wurde demokratisch gewählt. Der Feind steht rechts, das hat Reichskanzler Joseph Wirth, Mitglied der Zentrumspartei, gesagt am Tag nach der Ermordung des liberalen Reichsaußenministers Walter Rathenau durch die Rechten. An diese Worte hat vor Wochen NRW-Ministerpräsident Armin Laschet(CDU) erinnert. Nicht ohne Grund.
Holocaust, den Begriff kannten wir Schüler kurz nach dem Zweiten Weltkrieg nicht. Wir wussten nichts vom Grauen der millionenfachen Judenvernichtung, von Auschwitz, Treblinka, Maydanek, von Dachau. In der Schule kam das Thema so gut wie nicht vor, Altertum und Mittelalter hatten Vorrang im Geschichtsunterricht. Das mag mit dem Alter der Lehrer zusammengehängt haben, deren Vorgeschichte, ich erspare mir Vorurteile. Aber dass die Nazizeit in den 50er und auch in den 60er Jahren bewusst ausgeblendet wurde, darüber besteht kein Zweifel. Man denke an den großartigen und mutigen Fritz Bauer, der gegen massive Widerstände die Auschwitz-Prozesse durchsetzte. Bauer erhielt Morddrohungen.
Und dann sendeten im Januar 1979, 40 Jahre nach Kriegsausbruch und 24 Jahre nach dem Ende der braunen Diktatur, die an fünf Abenden zusammengeschalteten Dritten Programme der ARD die US-Serie „Holocaust“. Ein Begriff, der zum Wort des Jahres wurde, der das Gedächtnis der Alten auffrischen half und plötzlich die Deutschen in ihrem Innersten erschütterte. Plötzlich wurde die Nazi-Zeit wieder lebendig, mit all den Schikanen, der völligen Entrechtung der Juden und deren Vernichtung, dem Abstieg eines Volkes in die Barbarei, eines Volkes, das gerühmt worden war als das Volk der Dichter und Denker und aus dem in wenigen Jahren das Volk der Richter und Henker wurde, eines einstigen Kulturvolkes, dem Beethoven und Schiller entstammten, das aber jetzt von Hitler, Goebbels, Heydrich und Konsorten geprägt wurde, die die Bücher ihrer großen Dichter auf den Scheiterhaufen warfen.
Das Leid der Opfer im Zentrum
Und jetzt die Wiederholung, in deren erster Folge am Montagabend schon die Entgleisung der Gesellschaft zu sehen, gezeigt am Beispiel der jüdischen Arzt-Familie Weiss. Da war die „Juden-Sau“ zu hören, nicht nur auf dem Sportplatz, da wurden die Scheiben der jüdischen Geschäfte zerschlagen, ihre Inhaber verprügelt, andere von der Gestapo abgeholt, wieder andere wurden ermordet und Tausende in Konzentrationslager deportiert. Und die Bilder zeigten, wie viele, zu viele Deutsche am Rande standen und zu-oder wegschauten. Der Film zeigt das Leid der Opfer, die im Zentrum der Handlungen stehen. Opfer, weil sie Juden waren, normale Menschen, der Arzt Weiss, der gegen die Vorschriften arische Patienten behandelt, deutsche Bürger, die täglich zur Arbeit gingen, assimilierte Juden.
Damals, 1979, sahen 20 Millionen Zuschauer die Serie. Mehr als 23000 Menschen riefen nach der Sendung an und stellten in den anschließenden Diskussionssendungen Fragen nach der Hitler-Zeit. Die Zuschriften zeigten neben vielen positiven Urteilen auch, wie sehr rechtsradikale und antisemitische Einstellungen unter den Deutschen verbreitet waren. Das genaue Ausmaß erfuhr man erst Jahre später, als unter dem damaligen Bundesinnenminister Gerhard Baum(FDP) Anfang der 80er Jahre eine sogenannte Sinus-Studie veröffentlicht wurde, aus der hervorging, dass 15 Prozent der Deutschen rechtsradikalen Ideen nahestünden. Briefe von Zuschauern ergaben, dass Leute den Holocaust anzweifelten. Die gezeigten Grausamkeiten könnten hierzulande nicht einmal erfunden worden sein. „Dazu sind Deutsche in ihrer Einfalt nicht fähig.“
Ich bin damals als politischer Redakteur der WAZ in eine Oberprima eines Gymnasiums in Essen gegangen und habe mit den Schülerinnen und Schülern über den Film geredet. Sie hatten wegen des Films mit ihren Großvätern über die Vergangenheit gesprochen, die diese aus unterschiedlichen Blickwinkeln erlebt oder mitgemacht hatten. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich, der Holocaust war in deutschen Wohnungen bis 1979 im Grunde kein Thema gewesen. Umso emotionaler waren dann die Diskussionen der Enkel mit den Opas. Der Schock traf beide Generationen. Die einen, die Jungen, die es anfangs nicht glauben wollten, was da Ungeheuerliches passiert war, und die anderen, die plötzlich nach so vielen Jahren ihr Schweigen brechen mussten.
Noch ein Wort zur Serie: Die Mitglieder der Familie Weiss werden deportiert, nur eines überlebt die Mordmaschinerie. Insgesamt wurden sieben Millionen Juden von den Nazis ermordet, vergast, zu Tode geprügelt, erschossen, man liess sie verhungern oder sich zu Tode arbeiten.
Bildquelle: DVD Cover „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“