Donnerstag ist Wahltag in Großbritannien. Die Meinungsforscher meinen den Ausgang der Parlamentswahlen schon zu kennen. Sie sehen die Konservativen von Premierminister Boris Johnson klar vorn. Oppositionsführer Jeremy Corbyn und seine Labour-Partei haben demnach keine Chance, die Mehrheit im Unterhaus zu gewinnen.
Kommt es, wie die Demoskopen sagen, wird wohl der Austritt der Briten aus der Europäischen Union Ende Januar vollzogen werden. „Letˋs get Brexit done“, lautete Johnsons Parole im Wahlkampf, die einzige Aussage des zwielichtigen Rechtspopulisten, dem die Bevölkerung ohnehin nichts anderes glaubt, der ähnlich wie US-Präsident Donald Trump weder als vertrauenswürdig noch als regierungsfähig gilt, und der doch Wähler zu mobilisieren und zu begeistern weiß.
Umfragen sind keine Wahlergebnisse, und sowohl beim Brexit-Referendum als auch bei den vorgezogenen Unterhauswahlen, mit denen die konservative Regierungschefin Theresa May sich so empfindlich verrechnete, lagen die Vorhersagen der Institute daneben. Daraus lässt sich jedoch kaum noch Hoffnung auf einen Sieg der Vernunft ableiten. Denn die steht zumindest mit Blick auf die Brexit-Tragödie gar nicht zur Wahl.
Das Tauziehen im britischen Parlament hat den Schlingerkurs der Labour-Opposition deutlich zur Schau gestellt; auch im aktuellen Wahlkampf wollte sich Jeremy Corbyn nicht auf den Exit vom Brexit festlegen. Nachverhandeln, ein zweites Referendum, mal sehen, was wird. Sprich: die Hängepartie soll andauern, Ungewissheit weiter das politische Geschehen im Land lähmen. Jedoch: Die Wähler sind es leid.
Klare Haltung, wie sie die Liberaldemokraten von Jo Swinson gegen den Brexit zeigen, zahlt sich in der Wählergunst aus, doch das Mehrheitswahlrecht lässt nur schwer Erfolge von Dritten zu. So kann es kommen, dass Johnsons Plan aufgeht und den Torys eine Mehrheit für den unheilvollen Schritt verschafft, obwohl der EU-Austritt in der britischen Bevölkerung längst nicht mehr gewollt ist. Hauptsache, es bewegt sich endlich wieder etwas.
Für politisches Handeln gibt es tatsächlich jede Menge Anlass, insbesondere in der Gesundheits- und Sozialpolitik. Nach dem rigiden Sozialabbau in den Thatcher-Jahren und dem neoliberalen Irrweg von Labour-Mann Tony Blair, der sich gemeinsam mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder von den sozialdemokratischen Grundwerten abwandte, sind die Zustände himmelschreiend. Kinderarmut, Wohnungsnot, Suppenküchen, Krankenhausmangel: die Folgen des ungezügelten Kapitalismus, die den sozialen Frieden gefährden, lassen sich auch in Großbritannien nicht mehr verbergen.
Labour-Chef Jeremy Corbyn hat den Finger in die Wunde gelegt und mit einem ambitionierten Wahlprogramm entschiedenes staatliches Handeln gegen die Spaltung propagiert. Mit einem Wahlsieg der Konservativen jedoch wird es dazu nicht kommen. Das Zynische ist, dass die Abgehängten und Benachteiligten selbst für die Propaganda der Nationalisten und Populisten leichte Beute werden. Und der Brexit wird die Schwächsten weiter schwächen.
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'Johnson oder Corbyn – Vernunft steht nicht zur Wahl' hat einen Kommentar
11. Dezember 2019 @ 23:53 Kai Ruhsert
Die Hälfte der Labour-Wähler will den Brexit. Die von vielen Kommentatoren eingeforderte klare Haltung gegen den Brexit würde diese Stimmen anderen Parteien zutreiben. Das Versprechen von Corbyn, ein zweites Referendum abzuhalten, erscheint mir unter diesen Umständen als beste (und zugleich demokratische) Lösung.