„Kostenloser ÖPNV“, so begann der Einladungstext zur Podiumsdiskussion, zu der der Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung in das Haus der Universität in Düsseldorf geladen hatte. Kostenlos also Busse und Bahnen benutzen, warum eigentlich nicht? Die Teilnehmer der Runde, alles wirkliche Fachfrauen und Fachmänner, waren sich einig: es wäre der falsche Weg, damit wäre nichts gewonnen, die Busse und Bahnen wären überfüllt, sehr zum Ärger vieler Fahrgäste, aber dem höher gelegenen Ziel- mehr Klimaschutz- wäre überhaupt nicht gedient. Nein, der Preis für das Ticket müsse sein, das Geld in mehr Investitionen gesteckt werden, betonte u.a. Tobias Schönberg, Senior Partner von Roland Berger, um die Bus- und Zugflotte zu modernisieren, um die geforderte Elektromobilität endlich zu verstärken, der sauberen Luft zuliebe, von der wir alle ja auch profitieren. Und Herr Schönberg listete auf, dass sich der ansonsten als defizitär bekannte öffentliche Nahverkehr rechnen könne, ja in Metropolen von über einer Million Menschen könnten sogar Gewinne erzielt werden.
Alle Welt redet von Klimaschutz, das schwedische Mädchen Greta Thunberg ist längst Kult in fast der ganzen Welt. Nur was Klimaschutz denn heißen soll, wie er sich auswirken würde, wenn wir alles sauberer haben wollen oder sollen, das wird oft gar nicht oder sogar nur oberflächlich diskutiert. Der Moderator der Runde, Lutz Glandt, ehemals Vorstand der Deutschen Post, davor als Geschäftsführer in vielen Verlagen tätig, darunter bei der damals noch so genannten WAZ-Gruppe in Essen, brachte es ein wenig polemisch auf den aber trotzdem treffenden Punkt: Vom Umweltschutz reden, aber mit dem SUV zum Einkaufen fahren oder die Kinder in die Schule kutschieren. Da ist ja was dran, die Verkaufszahlen der SUV-Autos klettern und klettern in die Höhe. Wer es nicht glaubt, möge am nächsten Morgen sich vor Schulen aufbauen und sich den Verkehr dort anschauen.
Wien und das 365-Euro-Ticket
Was eigentlich muss sich ändern, damit wir die Klimaziele bis 2030 erreichen? Ein entscheidender Punkt ist dabei in der Tat die Rolle des ÖPNV, wie kriegen wir es hin, dass er noch stärker genutzt wird, wie schaffen wir es, mehr Autos aus den Städten verschwinden zu lassen, um die Verschmutzung der Luft zu verbessern? Noch einmal zum Anfang unserer Geschichte: Kostenloser ÖPNV ist keine Lösung, aber der zweite Teil des Podiums-Themas „Gewinn-Maximierung der Verkehrs-Unternehmen“ muss ja auch nicht sein. Eines jedoch stimmt, was die hochkarätig besetzte Debatten-Runde auch einhellig betonte: Verkehrspolitik ist auch Umweltpolitik. Und wie! Und er muss uns nicht nur lieb sein, der öffentliche Nahverkehr, er muss auch Geld kosten. Carolin Ritter, Bundesgeschäftsführerin vom Verkehrsclub Deutschland, sprach sich dezidiert für die Beibehaltung „dieser Säule der Finanzierung“ des öffentlichen Nahverkehrs aus. Angesprochen auf das 365-Euro-Jahresticket in Wien, betonte Sie: „Das ist eine schöne Idee. Aber Wien arbeitet auch schon seit über 20 Jahren an der Verbesserung seiner Infrastruktur.“
Es lohnt sich, abseits der Podiums-Runde einen Blick auf das erwähnte Wiener Beispiel zu werfen. In der österreichischen Metropole-dort leben rund zwei Millionen Menschen, also in etwa vergleichbar mit München- wird darauf geachtet, dass der Takt eingehalten wird. In Stoßzeiten fährt alle drei Minuten ein Zug, sonst alle fünf Minuten. Die Zuverlässigkeit wird mit 99 Prozent angegeben. Alle Zahlen und Angaben habe ich einer Reportage der „Süddeutschen Zeitung“ entnommen, die deren Korrepondent Peter Münch geschrieben hatte. Darin bezeichnete der Autor das Wiener Jahresticket als „einzigartig in Europa“. Ein Euro pro Tag muss man demnach bezahlen, wenn man dieses Ticket löst, das das Schwarzfahren überflüssig mache. Wer es trotzdem probiert und erwischt wird, erhält ein Bußgeld von 105 Euro. Happig. Die Wiener haben mit diesem Ticket die Fahrgastzahlen stark erhöhen können. Täglich benutzten 2,6 Millionen Fahrgäste die öffentlichen Busse und Bahnen. Übers Jahr käme man fast auf eine Milliarde Fahrgäste. Inzwischen sei es so, dass mehr Wiener -39 vh- den ÖPNV benutzten und nur noch 27 vh das Auto, sieben vh stiegen aufs Rad und weitere 27 vh gingen einfach zu Fuß. Fazit: Das Auto ist in Wien ziemlich überflüssig geworden, man fährt es nur noch, wenn man aus der Stadt raus will. Aber selbst in die Weinberge käme man mit den liebevoll „Öffis“ genannten Öffentlichen.
Wien hat genau das gemacht, was Herr Schönberg vorgeschlagen hat: die Flotte mit Bussen und Bahnen modernisiert, verstärkt auf Elektromobilität gesetzt. Ferner, auch dies etwas, was man hierzulande vielleicht den Ösis abschauen könnte: ein Sicherheitsdienst kümmert sich um die Durchsetzung von Regeln und Ordnung. Es herrscht Alkoholverbot in den Öffentlichen, ungern gesehen wird der Verzehr von Pizza und Burger in Zügen und Bussen, mehr Rücksicht auf andere gefordert, sichtbar gemacht auf Plakaten. Über die sozialen Medien wie Facebook und Twitter werden die Kunden in Echtzeit über Verspätungen informiert, umgekehrt melden die Kunden, wenn Züge verschmutzt sind. Dann rückt ein Reinigungstrupp heran und säubert die Fahrzeuge.Nachzulesen in der SZ.
Mehr Lebensqualität
Ein öffentlicher Nahverkehr also ein Stück Lebensqualität. Man wird gefahren, muss es nicht selber tun, steckt weniger im Stau, spart Nerven und Zeit. Das würde auch Sylvia Lier, Vorstand der Rheinbahn AG Düsseldorf, bestätigen. Nicht nur für sie ist ein funktionierender öffentlicher Nahverkehr Herzstück einer individuellen Mobilitätsnutzung, was zwingend bedeutet eine Verzahnung mit anderen Verkehrsmöglichkeiten. Man müsse das System zusammendenken, langfristig auf 20 Jahre, weil eine Umstellung, eine Modernisierung sehr lange dauere. Eine Straßenbahn, die man heute bestelle, werde erst in sieben Jahren zum Einsatz kommen. Sie wies auf die hohen Investitionen hin, an denen sich alle beteiligen müssten, auch Arbeitgeber, der Einzelhandel.
Die Kosten für den ÖPNV sind enorm, jedes Jahr finanzieren Staat und öffentliche Hand den ÖPNV mit 3,2 Milliarden Euro, nicht nur um die betriebswirtschaftlichen Kosten abzudecken, sondern auch um Umweltschutz, Daseinsvorsorge und anderes in deutschen Sädten sicherzustellen. Aber dieses Defizit müsse nicht sein, so Herr Schönberg, Metropolen könnten sogar Gewinne hereinfahren, in größeren Städten könnte der Verlust fast auf Null gesenkt werden und selbst in kleinen Städten sei mehr herauszuholen. Mehr Investitionen gerade am Anfang der Modernisierung, die sich aber lohnten, weil autonomes Fahren billiger sei, Antriebe mit nichtfossilen Brennstoffen weniger Wartung und Reparaturen bedürften, es werde weniger Energie verbraucht, es käme zu weniger Unfällen, Staus würden verhindert , der Ausstoß von Schadstoffen reduziert und Personal eingespart. Sharing-Fahren senke die Kosten, Verkehrsmittel würden nach Bedarf genutzt werden. Auch Großraum-Taxen, die autonom führen, kämen zum Einsatz und könnten Busse ergänzen oder ganz ersetzen.
Eine Vision? Dann müsste man nach Helmut Schmidt besser einen Arzt aufsuchen. Oder? Aber Spaß beiseite. denn das klingt alles gut, muss aber auch umgesetzt werden. Arno Kläre, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Mülheim/Ruhr , wies u.a. auf die Probleme hin, weil immer wieder gegen Bebauungspläne, neue Trassen der Bahn usw. geklagt werde. So sei die Eisenbahn-Linie Rotterdam-Genua vor allem auf einigen deutschen Teilstrecken nicht fertig.Grund seien die Klagen dagegen. Es müsse geworben werden für den Umstieg auf die Schiene. Kläre sprach sich gegen einen ÖPNV „für lau“ aus, wie man im Ruhrgebiet sage. Vielmehr müsse das Autofahren verteuert werden, damit der Autofahrer umstiege. Dazu gehörten auch teurere Parkplätze in den Parkhäusern. Oliver Zimmer plädierte für Anreize, um den Autofahrer auf den öffentlichen Nahverkehr zu leiten. Dazu stellte er eine selber entwickelte App vor, auf der Fahrten mit Bus und Bahn registriert und ebenso mit Punken versehen würden wie das Fahren mit dem Rad und der Einkauf von Bio-Produkten, diese Punkte könnten später in Euro ausgezahlt werden. Das könnte auch deshalb eine Teillösung sein, weil man keine Tickets mehr kaufen müsste. Wer versteht schon die Automaten in aller Welt?
Ein Stadtleben ohne Auto
Gibt es ein Stadtleben ohne Auto? Wohl so schnell und absolut nicht, nur ist mehr Lebensqualität für alle anderen Verkehrsteilnehmer, wie Fußgänger und spielende Kinder möglich und sicher auch erwünscht. Als Beispiele wurde u.a. der Umbau und Rückbau von Sraßen in Barcelona erwähnt, wo man ganze Kreuzungen vom Auto-Verkehr befreit habe und stattdessen dort Spielplätze und Cafes und anderes errichtet habe. Der Verkehr sei trotzdem nicht zusammengebrochen. Zusammenleben werde so wieder erleichtert. Als weiteres Beispiel wurde der Neubau einer Kleinstadt vor Wien genannt für 20000 Menschen. Als erstes habe man die Schienen für die S-Bahn gelegt, dann seien erst die Häuser gebaut worden, Parkplätze würden außerhalb der Siedlung, quasi um sie herum angelegt, Autos dürften nur noch zum Be- und Entladen in die Siedlungen hineinfahren.
Dass das Thema bei der Politik angekommen ist, belegte Lutz Glandt zum Schluß mit einem Text in der „Süddeutschen Zeitung“ vom Tage. Dort hieß es auf der ersten Seite: „Union plant Mobilitätsgarantie auch auf dem Land“ und zog damit eine Konsequenz aus dem schlechten Abschneiden der CDU in Sachsen und Brandenburg. Auch im ländlichen Raum müsse es von früh bis spät am Tag Angebote des öffentlichen Nahverkehrs geben. Tags drauf zog die SPD nach und forderte unter Hinweis auf das Wiener Modell die schrittweise Einführung eines 365-Euro-Jahrestickets. „Mobilität ist ein Grundrecht jedes Einzelnen“, so der SPD-Fraktionsvize Sören Bartol.
Es tut sich was im Kampf für das Klima, gegen den Stau und für saubere Luft.
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