Sage niemand, dass Politik im Fernsehen langweilig oder einsilbig sei oder dass Moderatoren vor Politikern kneifen oder gar buckeln. Gestern Abend, Donnerstag 4. Januar, zeigte sich das ZDF von seiner besten journalistischen Seite, kritisch, unabhängig, schlagfertig. Marietta Slomka, von der bekannt ist, dass sie sich nicht vor Königsthronen fürchtet, man frage Sigmar Gabriel, zeigte im Heute-Journal CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt die intellektuellen Grenzen auf. Seine Polemik gegen sein neues Feindbild, die 68er, verfing nicht, er stellte sich selber ein Bein und blamierte sich bis auf die Knochen. Eine konservative Revolution wollte er lostreten und trat am Ende schmallippig, blass und einsilbig von der Bühne. Sieben Minuten dauerte das journalistische Glanzstück.
Auf die linke folgt die konservative Revolution
Doch beginnen wir mit dem Gast-Beitrag von Dobrindt in der „Welt“, der Grundlage und Ausgangspunkt des Interviews im Heute-Journal war. Viele Bürger, so der Ex-Verkehrsminister, hätten das Gefühl, „dass sie in den Debatten mit ihren Positionen, ihren Meinungen und ihrem Alltag nicht mehr stattfinden. Dass der politische Kampf um Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit und Toleranz allen gilt, nur nicht ihnen.“ Die Mehrheit der Deutschen aber, so Dobrindt weiter, denke bürgerlich. Es formiere sich eine neue Bürgerlichkeit, was ich als Fernseh-Zuschauer schon fast als Drohung empfand, als ich mir das anhören musste. Und dann kam es noch dicker: „Auf die linke Revolution der Eliten folge eine konservative Revolution.“ Aha, dachte ich. Die Menschen, die sich nicht mehr vertreten fühlten, wanderten zur AfD ab, so Dobrindt. So hätten eine Million Wähler von der Linken und der SPD die AfD gewählt, die Verluste der CSU erwähnte er nicht. Betonte aber, dass diese Entwicklung hin zur AfD von der Union wie der SPD verhindern werden müssten. Etwa mit den Parolen einer Protestpartei? so Slomka.
Als Symbol für linke Meinungsführerschaft nannte der CSU-Politiker, den man bisher mehr als Erfinder der PKW-Maut kennt, den Berliner Bezirk Prenzlauer Berg. Da habe ich, auf meiner Couch in unserem Bonner Haus sitzend, schallend gelacht. Und zu meiner Frau sagte ich später: „Hast Du gewusst, dass wir damals im linken Meinungsbezirk Prenzlauer Berg gewohnt haben, quasi unter lauter 68er Leuten?“ Wir haben dort ein paar Jahre in der Kollwitzstrasse gewohnt, sehr bürgerlich, dort leben viele Familien mit Kleinkindern.
Und genau am Punkt Prenzlauer Berg setzte auch Marietta Slomka an, die sich im Gegensatz zu ihrem Gesprächspartner aus Bayern genau auskennt in Berlin und nicht nur dort. „Ich weiß nicht, welche Vorstellungen Sie vom Prenzlauer Berg haben.“ Dobrindt sah da schon etwas alt und mehr als irritiert aus. Frau Slomka klärte Dobrindt darüber auf, wer denn vor allem im Prenzlauer Berg wohne, nämlich Familien mit Kindern. Da bekäme ein Eiscafé wegen Ruhestörung schon mal Ärger. Prenzlauer Berg, das hat so gar nichts von einer revolutionären Zelle. Und am Ende dieser Passage fragte die ZDF-Moderatorin den CSU-Mann: „‚Gegen wen wollen Sie da eine Revolution anzetteln?“
Richtet sich Ihr Aufruf auch gegen Merkel?
Slomka nahm den Gedanken der Revolution und das mit der linken Meinungsführerschaft-oder sollte ich Diktatur sagen?- immer wieder auf und erinnerte sich an die geistig-moralische Wende Helmut Kohls 1982-83 und fragte Dobrindt: „Hat denn der Mann gar nichts erreicht, dass sie sich jetzt noch an den 68ern abarbeiten müssen?“ Nein, versuchte Dobrindt eine Erklärung, aber die bürgerliche Mehrheit fühle sich vom linken Mainstream nicht mehr verstanden.
Das Interview nahm richtig Fahrt auf. Slomka ließ Dobrindt nicht mehr entkommen aus der selbst gestellten Falle. „Sind Sie sicher, dass das deutsche Bürgertum eine Revolution will?“ Dobrindt muss Schweißausbrüche bekommen haben, so wirkte er. Und er versuchte sich mit „Überinterpretation“, die er Slomka unterstellte, herauszureden. Man spreche ja auch bei der digitalen Wende von einer Revolution. Ja, konterte Slomka, weil das Internet schließlich auch das Leben aller Menschen radikal verändert habe. Revolution sei ja nicht nur, dass man ein bisschen bürgerlicher werden wolle.
In Deutschland, so setzte Slomka weiter nach, regiere nun seit zwölf Jahren eine CDU-Kanzlerin. „Richtet sich Ihr Aufruf zur Revolution auch gegen Frau Merkel?“ Dobrindt wurde immer blasser. „Nein,“ antwortete er, „es geht ja nur darum, dass wir in den Meinungsdiskussionen dafür sorgen, dass alle gleichermaßen vertreten sind.“ Und: „Wir müssen 68 hinter uns lassen.“ Er, Dobrindt, halte es mit Frantz Josef Strauß, der gesagt habe: „Konservativ heißt, an der Spitze der Bewegung zu sein.“ Aha! Und was meinte er damit? Der CSU-Politiker eierte herum, weil er merkte, dass er sich völlig verrannt hatte.
Wollten Sie das alles zurückdrehen?
Doch damit gab er Slomka nur eine weitere Vorlage. Es sei in Deutschland heute problemlos möglich, dass Homosexuelle Minister werden. Da fiel mir sofort der Name von Guido Westerwelle ein, der unter Merkel Außenminister gewesen war. Auch den früheren Berliner Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit(SPD) hätte man erwähnen können. Oder den parlamentarischen Staatssekretär im Finanzministerium Jens Spahn(CDU), der vor kurzem seinen Lebenspartner geheiratet hat und der zu den Hoffnungsträgern der CDU zählt. Einmal in Fahrt fuhr Slomka fort: ein Theo Waigel bekäme nie mehr ein Problem wegen einer außerehelichen Beziehung. Waigel heiratete später die einstige Ski-Rennläuferin Irene Epple, die beiden haben ein Kind miteinander. Und weiter Slomka: „Man kann sogar ein außereheliches Kind haben und als CSU-Politiker Karriere machen.“ Damit meinte sie offensichtlich Horst Seehofer, den bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Parteichef. „Wollen Sie das zurückdrehen?“ fragte Slomka den völlig überforderten Dobrindt. Der wackelte bedenklich, beschwor die christlich-jüdische Wertegemeinschaft“ in Deutschland.
Am Ende bedankte sich Slomka für das Gespräch und Dobrindt antwortete kurz: „Sehr gern.“ Er wird erleichtert gewesen sein, dass es zu Ende war, ein Interview, bei dem er mit Sprüchen und Polemiken nicht ankam mit seiner Idee einer konservativen Revolution. 50 Jahre nach den Studentenrevolten und der sexuellen Befreiung. Nur zur Erinnerung der Slogan der Studenten damals: „Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren.“ Aber da war Dobrindt, Jahrgang 1970, ja noch nicht geboren.
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